Reichsparteitagsgelände: Wo Tausende von Kriegsgefangenen starben

25.4.2021, 16:23 Uhr
Reichsparteitagsgelände: Wo Tausende von Kriegsgefangenen starben

© Stadtarchiv Erlangen

Im Jahr 1939 hatten die Nationalsozialisten noch den "Parteitag des Friedens" geplant. Doch die Massenveranstaltung fiel wegen des Kriegsbeginns aus. Stattdessen nutzte man die vorhandene Infrastruktur für mehrere Kriegsgefangenenlager. Rasch war das Gelände mit Stacheldraht und Wachtürmen gesichert.

Heute ist der riesige Lagerkomplex im Südosten Nürnbergs fast vollständig verschwunden: Dort befinden sich große Teile des Stadtviertels Langwasser. Auf den letzten Seiten der Publikation sind Fotos von heute zu sehen. Unter anderem ein Bild aus dem Jahr 2019 von Albina Petrova aus St. Petersburg und ihrem Enkel, die mit Begleitern auf einer Wiese sitzen. Dort war einst der Haupteingang des Kriegsgefangenenlagers.

Bei Fluchtversuch erschossen

Petrovas Vater, der sowjetische Kriegsgefangene Michael Smirnow, war 1944 bei einem Fluchtversuch erschossen worden. Die Seniorin wollte den Ort aufsuchen. Da es keinen Hinweis darauf gibt, ging sie zu der Stelle, an der einst der Haupteingang gewesen ist.

Eine Straße mit Fußgängerweg führt an der Wiese vorbei, gegenüber stehen Wohnhäuser. Albina Petrova hatte das Bedürfnis, dort die Erde zu berühren. Als Andenken nahm sie einige Eicheln und Zapfen mit in ihre Heimat.


Dokumentationszentrum ist ein Besuchermagnet


Der Katalog zeigt weitere Angehörige, die nach den letzten Spuren ihrer Verwandten suchen. Die verschiedenen Lager, in denen mehrere zehntausend Kriegsgefangene und auch "feindliche Zivilisten" eingesperrt waren, sind immer noch präsent.

Tatort nationalsozialistischer Gewalt

Interessant ist daher ein Luftbild von Teilen Langwassers, über das eine gelbe Folie mit den verschiedenen Gefangenen-Unterkünften gelegt ist. So bekommt der Betrachter ein Gespür für die riesigen Dimensionen des Areals.

Es war ein Tatort nationalsozialistischer Gewalt, betonen die Autoren der Publikation, die die Wissenschaftlerin Hanne Leßau herausgegeben hat. Tausende Kriegsgefangene starben dort an Mangelernährung, schlechter Unterbringung, dürftiger medizinischer Versorgung, harter Arbeit oder durch Hinrichtungen. Am Südfriedhof gibt es Sammelgräber für die Opfer.

Historiker Janosch Steuber merkt an, dass die deutschen Wehrmachtsoffiziere im frostigen Winter 1941/42 kein Problem damit hatten, die sowjetischen Gefangenen in Zelten unterzubringen und "ihren massenhaften Tod durch Kälte und Mangelernährung in Kauf zu nehmen".

Propagandafilm über Kriegsgefangenenlager

Die Wissenschaftler stellen fest, dass die osteuropäischen und italienischen Kriegsgefangenen deutlich schlechter behandelt wurden als Westeuropäer. Auch gab es ein eigenes Offizierslager, dieses war viel besser ausgestattet als die Areale für die Mannschaften.

Reichsparteitagsgelände: Wo Tausende von Kriegsgefangenen starben

© Stadtarchiv Erlangen

Im Offizierslager wurde 1941 sogar ein Film über einen "Jahrmarkt" mit Buden, einem Fahrgeschäft und akrobatischen Darbietungen gedreht. Der Propagandastreifen sollte der Öffentlichkeit vorgaukeln, dass die Gefangenen gut behandelt werden.

Wachmann: "Die fressen von den Toten die Schenkel"

Die Wirklichkeit sah anders aus; dies belegt unter anderem der erschütternde Brief des deutschen Wachmanns Otto Madl an seine Familie vom Dezember 1941: "Wie es hier zugeht, ist ein Bild des Grauens und Schreckens und kann es Euch im Brief nicht so schildern. Die gefangenen Russen fallen nur um, dann sind sie tot. Die werden ganz nackt auf einen Wagen geworfen und abends werden sie eingegraben. Einige Fälle sind vorgekommen, dass sie einige auffraßen ... Die fressen von den Toten die Schenkel. Wieder andere haben einige abgeschlachtet, dann haben sie Herz und Lunge raus(gerissen) und haben sich eine Mahlzeit bereitet..."

Es war eine Folge der Mangelernährung, wobei dieses Wort die völlig unzureichende Versorgung mit Essen nur beschönigend beschreibt. Die Zuteilung von Lebensmitteln wurde ab 1942 besser - aber nur, weil man die Kriegsgefangenen als Zwangsarbeiter brauchte.


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Denn der Mangel an deutschen Arbeitskräften wurde immer größer, im Oktober 1942 waren in Nürnberg fast 11.000 sowjetische Kriegsgefangene beschäftigt. Sie wurden unter anderem in Rüstungsfirmen wie Siemens, Zündapp Werke oder MAN eingesetzt.

Brutale Behandlung von jüdischen Bürgern

Neben der Situation der Kriegsgefangenen beschreibt der Katalog die beiden Abtransporte von fast 2000 jüdischen Deutschen ab dem (noch existierenden) Bahnhof Märzfeld. Für die meisten von ihnen war es eine Fahrt in den Tod. Bevor sie in Güterwaggons nach Riga (Lettland), Izbica (Polen) oder Theresienstadt (Tschechien) gebracht wurden, mussten sie in Nürnberg noch eine brutale Behandlung über sich ergehen lassen.

Ihnen wurden Schmuck, Geld und Ausweispapiere abgenommen, sie mussten ihre Ausbürgerung bestätigen und Leibesvisitationen erdulden. Zuletzt hatten sie zuzustimmen, dass ihr gesamter Besitz an das Deutsche Reich fällt.

Historiker: "Keinerlei persönliche Reue"

Die jüdischen Frauen, Männer und Kinder wurden total entrechtet und in den Tod geschickt. Historiker Alexander Schmidt merkt über die deutschen Bewacher an, dass "die an der Deportation Beteiligten auch in der Nachkriegszeit in der Regel keinerlei persönliche Reue" gezeigt haben.


Der Katalog "Das Reichsparteitagsgelände im Krieg" basiert auf der gleichnamigen Sonderausstellung im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, die bis März 2020 zu sehen war. Das 162 Seiten starke Buch ist in einer Auflage von 1300 Stück erschienen und kostet 18.95 Euro. Interessierte können es über den Michael Imhof Verlag beziehen, der Shop des Dokuzentrums ist corona-bedingt geschlossen.

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