Neubaukomplex

"Stinksauer und traurig": Warum wurde die Radloff-Eiche in St. Johannis gefällt?

2.6.2021, 07:19 Uhr
Blick Richtung Westfriedhof: Am 7. Mai wurde die 100-jährige Eiche gefällt. Auf dem Areal am Nordwestring/Ecke Schnieglinger Straße entstehen 125 Wohnungen.  

© privat Blick Richtung Westfriedhof: Am 7. Mai wurde die 100-jährige Eiche gefällt. Auf dem Areal am Nordwestring/Ecke Schnieglinger Straße entstehen 125 Wohnungen.  

Nun wurde sie doch gefällt. Die 100 Jahre alte Eiche auf dem ehemaligen Radloff-Gelände hatte gerade angefangen, auszutreiben. Der Baum lag nicht nur dem früheren Eigentümer des Areals am Herzen, sondern auch vielen Kunden des damaligen Gartencenters sowie Anwohnern. Viele Nürnberger wandten sich an den Bürgerverein St. Johannis und machten sich für die Eiche stark oder riefen in unserer Redaktion an – auch nach der Fällung.

"Was im Weg ist, kommt weg"

Wie Rita Barlow. Die Nürnbergerin war „stinksauer und traurig zugleich“, als sie an Pfingsten sah, dass der „wunderschöne alte Baum“ plötzlich verschwunden war. „Ich dachte, man wollte ihn erhalten?“, fragte sie enttäuscht. „Typisch Bauträger: Was im Weg ist, kommt weg.“

Ein Blick zurück: Das rund 6250 Quadratmeter große Areal am Nordwestring/Ecke Schnieglinger Straße – gegenüber dem Westfriedhof – hat die Schultheiss Unternehmensgruppe im Jahr 2019 erworben. Das Bauprojekt trägt den Namen „Flora54“, bezugnehmend auf das damalige Gartencenter mit der Hausnummer 54. Die Zukunft der alten Eiche, der einzige Baum auf dem Gelände, war damals ungewiss. Es hieß, man wolle versuchen, die Eiche zu erhalten.


125 Wohnungen für St. Johannis


Im Zuge der Planungen – hier entsteht ein Neubaukomplex mit 125 Wohnungen – berichtete Rüdiger Sickenberg, Vorstandsmitglied von Schultheiss, im Dezember 2020: „Von ihrem Erhalt, auch ein mögliches Versetzen war technisch nicht realisierbar, mussten wir nach intensiver Prüfung und Diskussion absehen.“ Er betonte: „Um den Anforderungen des Standorts, insbesondere an den Schallschutz, gerecht zu werden, war es nötig, die Bebauung an dieser Stelle zu schließen.“

Mathias Schmidt vom Bund Naturschutz (BN) zweifelte an, dass eine Umsetzung des Baumes nicht möglich wäre. Er suchte das Gespräch. Zu jenem Zeitpunkt stand die Eiche hinter Absperrgittern auf dem leeren Gelände, die Abbrucharbeiten waren Ende 2020 so gut wie abgeschlossen.


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Das Umweltamt und die Bauordnungsbehörde forderten schließlich vom Investor ein Gutachten zum Zustand des Baumes – und ob er versetzt werden könne. Also wurde eine Firma für Großbaumverpflanzungen damit beauftragt. Dabei hatte das Umweltamt bereits einen neuen Standort für jene Eiche im begrünten Innenhof des Neubaukomplexes festgelegt, sagte Amtsleiter Klaus Köppel.

Eine Aufnahme des Baumes von 2020.

Eine Aufnahme des Baumes von 2020. © privat

„Die Untersuchungen kamen leider zum Ergebnis, dass ein Versetzen der Eiche fachlich nicht zu empfehlen sei, da dem Baum auf Grund verschiedener Schäden bei einer Versetzung nur begrenzte Überlebensperspektiven einzuräumen wären“, bedauert der Chef des Umweltamts. Somit stimmte seine Behörde den Antrag auf Fällung am 6. Mai zu.

„Es wäre mutig gewesen“

Einen Tag später fiel die Eiche – und mit dem ersten Spatenstich erfolgte der Start für das Bauprojekt. Schultheiss plant auf dem Areal umfangreiche Neuanpflanzungen.

Mathias Schmidt vom BN stellt die Notwendigkeit der Fällung infrage: Das Gutachten besage lediglich, dass der Baum in seiner Lebenserwartung eingeschränkt sei und zum Weitererhalt nach einer Verpflanzung keine eindeutige Prognose abgegeben werden könne.

„Es ist zu vermuten, dass die erwarteten hohen Kosten einer Großbaumverpflanzung die Firma Schultheiss davon abgehalten haben, mutig die Umsetzung der Eiche zu wagen. Nachdem Flora 54 ein Projekt mit einem Wert von geschätzt 50 Millionen Euro ist, sollte das Risiko für eine Großbaumversetzung eigentlich verkraftbar sein“, sagt er.

Auch wenn die Eiche fallen musste, ist der Fall wegweisend. Denn künftig soll frühzeitig geprüft werden, ob im Bedarfsfall die Verpflanzung von Großbäumen möglich sei, kündigt Amtsleiter Köppel an. Gerade vor dem Hintergrund, dass in Bayern aufgrund rechtlicher Änderungen die zulässige Dichte für eine Bebauung immer stärker zugenommen hat, „was die Möglichkeiten zum Baumerhalt oder zur Umplanung deutlich einschränkt“.

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