In Schwabach und Roth

Mit zwölf zur Impfung? Das sagen Kinderärzte

5.8.2021, 06:04 Uhr
Ein Zwölf- und ein 13-Jähriger blättern vor ihrer Impfung in ihren Impfbüchern. Was halten Kinder- und Hausärzte in der Region von der neuen Empfehlung der Politik?

© Swen Pförtner, NN Ein Zwölf- und ein 13-Jähriger blättern vor ihrer Impfung in ihren Impfbüchern. Was halten Kinder- und Hausärzte in der Region von der neuen Empfehlung der Politik?

Die Gesundheitsminister der Länder haben bei ihrem jüngsten Treffen vereinbart, Kindern und Jugendlichen ab zwölf Jahren die Impfung gegen Covid-19 zu empfehlen. Die Reaktionen fielen sehr unterschiedlich aus. Der Deutsche Hausärzteverband kritisiert, dass die Ständige Impfkommission (Stiko) außen vor gelassen wurde.

„Diese Diskussion unter Missachtung der Kompetenz der Ständigen Impfkommission kann eher zur Verunsicherung führen, als dass sie der Impfkampagne hilft“, wird der Bundesvorsitzende Ulrich Weigeldt zitiert. „Warum eine Empfehlung der Stiko dazu zunächst nicht abgewartet werden kann, die sich auf Basis von fundierten Studien zeitnah äußern will, ist mir schleierhaft.“ Die Stiko empfiehlt die Impfung bisher nur für Kinder mit schweren Grunderkrankungen.

Dass die Impfkommission „umgangen“ wurde, findet auch der Schwabacher Kinderarzt Dr. Georg Baier. Aber nur ein bisschen. Denn schon bisher habe es geheißen, „nach Aufklärung von Impfwilligen und Erziehungsberechtigten“ sei eine Impfung möglich. „Dieses kleine Schlupfloch haben die Gesundheitsminister jetzt genutzt und die Tür weiter aufgemacht“, so sieht es Baier.

Nur ein Viertel der Kinder blieb übrig

In seiner Kinderarztpraxis sei man „nicht ganz so forsch“, führe aber eine Liste aller in Frage kommenden jungen Leute – das sind in seiner Praxis etwa 100 – und biete ihnen Impftermine an. Das Ergebnis: Nur 26 der Jugendlichen (auch mit schweren Vorerkrankungen oder einer besonderen Familiensituation) blieben für eine potenzielle Impfung übrig. Die, die sich immunisieren lassen möchten, „tun das nicht aus Angst vor der Krankheit“, sagt Baier. „Sie wollen ihre Freiheit wieder haben.“

Aber er hört bei den Einladungen zum Impfen auch, dass „viele noch ein bisschen warten wollen“. Das verstehe er, denn einige Fragen seien nicht ganz ungerechtfertigt: „Für die Jugendlichen ist das Risiko der Erkrankung nicht ganz so groß. Und ist die Impfung wirklich so gut verträglich? Wie groß ist das Risiko einer Herzmuskelentzündung?“ Gleichzeitig macht Baier deutlich: „Eine Verträglichkeit von 99,999 Prozent – die hätten wir bei anderen Impfstoffen gern.“ Und: Auch Covid kann eine Herzmuskelentzündung zur Folge haben.

Sein persönliches Fazit: „Die positiven Auswirkungen der Impfung sind auf jeden Fall größer als mögliche Nebenwirkungen.“ Aber, das ist ihm wichtig: „Man muss unbedingt ausführlich aufklären!"

"Ein 15-Jähriger muss die Welt unsicher machen"

Über die „Verwirrung“, die die unterschiedlichen Betonungen jetzt auslösen, sei er nicht glücklich, so Baier. „Vielleicht hält das sogar den einen oder die andere vom Impfen ab.“ Trotzdem sei das „Angebot“ an die jungen Menschen – verbunden mit gründlicher Aufklärung – ganz wichtig.

„Denn wir wollen im Winter nicht wieder die gleiche Situation wie im Vorjahr erleben, dass Schulen schließen müssen. Viele Jugendliche erkranken nicht schwer an Corona, aber sie leiden deutlich unter psychischen Folgen.“ Georg Baier: „Ein 15-Jähriger muss eigentlich die Welt unsicher machen.“

Sein Kollege Dr. Ronny Jung, der eine Kinderarztpraxis in Roth betreibt, unterstützt die Entscheidung der Gesundheitsminister noch entschiedener: Er findet sie „gut“ und weist darauf hin, dass die Minister bereits im Mai angekündigt hätten, den Jugendlichen bis Ende August ein Impf-Angebot zu machen. „Und das wird jetzt umgesetzt.“

Psychosoziale Folgen drohen

Jung hält das für wichtig, denn: „Momentan herrscht Impfmüdigkeit, parallel steigt aber die vierte Welle. Und das beunruhigt mich.“ Nach wie vor leben die Menschen dem Kinderarzt zufolge in einer Pandemie, und „solange wir keine Herdenimmunität erreichen, drohen weiterhin psychosoziale Folgen für Kinder und Jugendliche.“ Konkret sei immer öfter das Kindeswohl gefährdet, häusliche Gewalt nehme zu. Ziel müsse also unbedingt sein, einen weiteren Lockdown zu vermeiden.

Jung selbst hat auch schon an einem Pilotprojekt des Landkreises teilgenommen und Schülerinnen und Schüler des Abschlussjahrgangs an der Anton-Seitz-Mittelschule in Roth geimpft. Etwa ein Drittel der 15- und 16-Jährigen habe sich den Piks verpassen lassen.

Auch mit niederschwelligen Impfterminen am Impfzentrum in Roth erreiche man Jugendliche. Und auf seine Frage, ob die jungen Leute freiwillig oder auf Mamas Druck hin kommen, „sagen alle, dass sie selbst geimpft werden wollen“, so Ronny Jung. Sein Appell: „Fragen wir doch die Jugendlichen selbst! Denn vor allem sie haben unter dem Lockdown gelitten.“

Noch mehr Verunsicherung

Im Übrigen spielt Jung den Ball an die Stiko zurück. Denn die habe angekündigt: Wenn es neue Daten gibt, werde sie ihre Empfehlungen überarbeiten und daran anpassen. Inzwischen, so Jung, „gibt es neue Daten, zum Beispiel aus den USA“. Von der deutschen Impfkommission könne man jetzt schon erwarten, dass die neuen Erkenntnisse auch eingearbeitet werden.

„Nicht glücklich“ ist dagegen Peter Roch mit der jüngsten Entscheidung. Der Vorsitzende des ärztlichen Kreisverbands Südfranken glaubt, dass die Empfehlung „noch mehr Verunsicherung mit sich bringt“. Immerhin sei die Stiko „eine hochqualifizierte Kommission, die sehr genau weiß, wovon sie redet“. Bisher gebe es bei Kindern halt wesentlich weniger Zahlen über Beobachtungsfälle als bei Erwachsenen.

„Und man muss berücksichtigen, dass das kindliche Immunsystem um ein Vielfaches stärker reagiert als das von Erwachsenen“, so Peter Roch. Zudem gibt der Verbandschef zu bedenken: „Früher sind bis zur Zulassung eines Impfstoffes drei bis fünf Jahre vergangen. Die Covid-Impfstoffe waren binnen weniger Monate auf dem Markt.“

Bei einer Abwägung von Nutzen und Risiko sei er selbst „hin- und hergerissen“, eine Entscheidung über das Impfen Jugendlicher überlasse er deshalb den Kinderärzten. Er glaubt aber, dass auch die Stiko bestimmt in den nächsten zehn bis 14 Tagen eine Neubewertung vornehmen werde, „und dass dann zwischen Politik und Wissenschaft auch wieder Konsens hergestellt ist“.

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