Vor 100 Jahren

Wie Ludwig Thoma tödlichen Hass schürte

25.8.2021, 08:42 Uhr
Wie Ludwig Thoma tödlichen Hass schürte

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26. August 1921. Matthias Erzberger, Politiker der katholischen Zentrums-Partei, ist im badischen Bad Griesbach mit einem Bekannten spazieren. Da nähern sich zwei Männer am helllichten Tage und auf offener Straße. Sie schießen auf den 45-Jährigen, stellen ihm nach, als er über eine Böschung springt, strecken ihn nieder.

Später stellt sich heraus: Es ist das erste einer langen Reihe von Attentaten, die Rechtsradikale in der Weimarer Republik gegen Demokraten und Unterstützer der Weimarer Republik verüben. Ein Jahr später töten erneut Angehörige der "Organisation Consul", eines rechten Geheimbunds, einen prominenten Politiker: Nach Ex-Finanzminister Erzberger, der eine auf sozialen Ausgleich setzende Steuerreform auf den Weg gebracht hatte, wird 1922 Außenminister Walter Rathenau ermordet.

26. August 1921. Am gleichen Tag, an dem Erzberger niedergestreckt wird, erliegt Ludwig Thoma mit 54 Jahren in seinem Haus im Ort Tegernsee einem Magenkrebs, dessen spät entdecktes Endstadium der höchst populäre Heimatdichter nicht lang überlebt.

Anonyme Hetzartikel im Miesbacher Anzeiger

Was haben der Erfolgs-Autor und der Politiker miteinander zu tun - außer dem gemeinsamen Todestag? Nun: Erzberger gehörte zu den Lieblingsfeinden des Schriftstellers. Thoma ließ in seinem letzten Lebensjahr seinem Hass gegen "die" in Berlin (die demokratische Regierung) und auch gegen "die" Juden freien Lauf.


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Und er fand dafür im Miesbacher Anzeiger eine Zeitung, die seine insgesamt 172 buchstäblich einschlägigen, weil brutal den Gegner attackierenden Meinungsbeiträge gern veröffentlichte. Anonym.

Der Erfinder der "Lausbubengeschichten", des "Münchners im Himmel", der "Filserbriefe" oder der "Heiligen Nacht" als anti-republikanischer Agitator? Das passte zunächst so gar nicht zu Thoma, der vor dem Ersten Weltkrieg zudem als eher linksliberaler Autor im Satire-Blatt "Simplicissimus" gegen alles Preußisch-Autoritäre anschrieb und wegen antiklerikaler Gotteslästerung auch mal sechs Wochen in München-Stadelheim einsitzen musste.

Gegner der jungen deutschen Demokratie

Doch Ende der 1980er Jahre wurde publik, dass just dieser Ludwig Thoma der Autor der Hass-Kommentare im Miesbacher Anzeiger war. Während des Ersten Weltkriegs wohl hatte sich der studierte und in Erlangen 1891 promovierte Jurist zum Anhänger des Kaiserreichs und dann, nach der Revolution von 1918, zum Gegner der jungen deutschen Demokratie entwickelt - wie so viele im Lande.


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"Eine Welt ist für mich versunken", schrieb Thoma 1919, nach der deutschen Niederlage, an einen Vertrauten. Und Matthias Erzberger galt ihnen als "Novemberverräter": Der Mann aus dem katholischen Zentrum, erfahrener Parlamentarier im Reichstag vor 1914 wie nach dem Ersten Weltkrieg, gehörte zu der Delegation, die ebenfalls im November 1918 in einem Eisenbahnwaggon im französischen Compiègne das Waffenstillstandsabkommen mit Frankreich unterzeichnete - in den Augen viele Deutscher ein "Schandfrieden".

"Diese Regierung, ... diese Spottgeburt aus Dreck und ohne Feuer, verabscheuen und hassen wir": Das war die Tonlage, mit der jener einst so lustige Ludwig Thoma nach 1919 seine Gegner attackierte. Bayerns ersten Ministerpräsidenten Kurt Eisner beschimpfte er als "Saujud"; dessen Ermordung nannte er eine "Hinrichtung".

Matthias Erzberger gehörte für Thoma zur "jüdischen Mörderbande", zur "galizischen Pest". Im Nachlass des Schriftstellers fand sich ein unausgefüllter Mitgliedsbeitrag für die damals noch junge, erfolglose NSDAP Adolf Hitlers.

Eine Tonlage wie in den Hetzblättern der Nazis

Von der Härte her könnten es Thomas fanatische Einpeitsch-Artikel jedenfalls locker mit der Tonlage aufnehmen, die später die Hetzblätter der Nazis anschlugen. Und zur Miesbacher Tarock-Runde des Schriftstellers gehörte auch Dietrich Eckart, einer der engsten Wegbegleiter Adolf Hitlers, der sich damals gerade anschickte, München zur "Hauptstadt der Bewegung" zu machen.

Wie Ludwig Thoma tödlichen Hass schürte

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Die Hass-Artikel Ludwig Thomas kamen bei ihm gut an, die Auflage des Blattes stieg, wegen seiner Schärfe fand der Miesbacher Anzeiger reichsweite Beachtung. Alles, was da aus dem Norden der Republik kam, war ihm zuwider. Erzberger gehörte zu seinen Erzfeinden. "...dass der Erzlu..., äh der Erzberger, hinter den Kulissen schon lange wieder sein Unwesen treibt" - das prangerte Thoma in einem seiner Texte an. Und fragte schon mal: "Schlagen wir jeden Hund tot, der das arme Vaterland in neues Verderben stürzen will?"

Später griff Hitler diese Wortwahl auf und sprach vom "Erzlump" Erzberger. Thoma forderte wenige Tage vor dessen Ermordung: "Schafft reine Luft!" Da schrieb ein Mann, der längst mehr als ein Schreibtischtäter geworden war.

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