Koenig-Kugel

Aus Trümmern geborgen: Das Kunstwerk, das 9/11 überlebte

9.9.2021, 14:00 Uhr
Aus Trümmern geborgen: Das Kunstwerk, das 9/11 überlebte

© imago images/Courtesy Everett Collection, NN

Es war wie ein Wunder: Unter den rauchenden, meterhohen Schutt- und Aschebergen des pulverisierten World Trade Centers kam bei den Bergungsarbeiten auf einmal etwas Glänzendes zum Vorschein. Ein Ball im Trümmermeer. Deformiert zwar, teilweise geköpft und verbeult, aber letztlich heil hatte die „Kugelkyriatide“ als stiller Zeuge der Gräueltaten überlebt. Aus Bayern war dieses Kunstwerk von Fritz Koenig einst an den Hudson gekommen – das größte, das den Atlantik je überquert hat.

Aus Trümmern geborgen: Das Kunstwerk, das 9/11 überlebte

© Armin Weigel, dpa

Die ebenso tragische wie tröstliche Geschichte begann vor genau 50 Jahren: Damals wurde „The Sphere“ (Himmelsgewölbe), wie die Amerikaner die riesige, sich sanft um sich selbst drehende Brunnenskulptur nennen, nach Amerika geschippert und vor den Twin Towers aufgestellt. Eine Art Bauchnabel des ansonsten recht nüchternen Platzes. Hier traf man sich, genoss das Sonnenlicht, das die Bronze reflektierte und das Wasser, das sie umspülte. Niemand konnte damals ahnen, dass diese Kugel zu einer Ikone werden würde, zu Amerikas wohl berühmtestem Kunstwerk – und ihr Schöpfer zum bekanntesten deutschen Bildhauer in den USA.

Den Auftrag zu dem Werk bekam Fritz Koenig in den 1960er Jahren. Eine Mammut-Aufgabe – künstlerisch und logistisch. Kein Wunder, dass er sich wie David gegen Goliath fühlte, wie er mehrfach bekannte. Wie sollte sich ein Kunstwerk – und sei es noch so groß – gegen die mächtigen, 410 Meter hohen Türme behaupten? Wie den 20.000 Quadratmeter großen Platz adäquat füllen? Und wie die monumentale Architektur menschlicher machen? Koenig entschied sich für eine mit abstrakten Elementen aufgebrochene Kugelform, die an einen keimenden Samen erinnert, aber auch an einen Schädel mit Zyklopenauge. Insgesamt 7,60 Meter hoch, 5,20 Meter im Durchmesser und 25 Tonnen schwer.

Aus einem flapsigen Spruch wurde bitterer Ernst

In verschiedenen Interviews erinnerte sich der gebürtige Würzburger, der seit Kindertagen in Landshut wohnte, später an den Auftrag des Twin-Towers-Architekten Minuro Yamasaki: „Er meinte immer, ich solle die Skulptur größer und größer machen, damit sie zu seinem Entwurf passte, aber ich wollte lieber einen Kontrast dazu. So entwarf ich die Kugel, von der einige Leute meinten, sie erinnere an einen Kopf mit Helm. Da habe ich gelacht und zu Yamasaki gesagt: ,Der Helm ist da, weil mein Kopf nicht von den Türmen erschlagen werden soll, wenn sie einstürzen.’ Das war natürlich nur Spaß, aber wer weiß schon, warum ich das gesagt habe?“

Aus Trümmern geborgen: Das Kunstwerk, das 9/11 überlebte

© Mark Lennihan, dpa

So einen Auftrag realisiert man nicht im normalen Atelier. Dafür ist er viel zu groß. In seinem ländlichen Refugium in Ganslberg, einem Örtchen fünf Kilometer außerhalb von Landhut, ließ Koenig dafür eigens eine große Werkhalle aufstellen mit Kränen, Laufschienen und allem, was an Technik benötigt wurde. Er arbeitete sich voran – vom Minientwurf bis zum Gipsmodell in Originalgröße, das zum Transport in die Münchner Gießerei in 67 Teile zerschnitten werden musste. In einer eigens konstruierten „Kiste“, angeblich der größten, die je von einem deutschen Hafen verladen wurde, trat die „Kugelkyriatide“ 1971 die Reise nach New York an.

Aus Trümmern geborgen: Das Kunstwerk, das 9/11 überlebte

© imago images, NN

Im Landshuter Museum Koenig steht ein handliches Minimodell der berühmten Kugel. Groß wie ein Briefbeschwerer. In dem 1998 in Regie des Künstlers selbst errichteten Skulpturenmuseum unter dem Hofberg kann man eintauchen in seinen Kosmos. Man lernt diesen brillanten Zeichner und leidenschaftlichen Sammler afrikanischen Kunsthandwerks kennen, den Pferdezüchter und Naturliebhaber. Und natürlich den Schöpfer von „The Sphere“. „Dieses Werk hat eine in der Kunstgeschichte einmalige Transformation erlebt: Von der Skulptur über das Opfer zum Mahnmal“, sagt Alexandra von Arnim, seit kurzem neue Chefin des Landshuter Koenig-Museums.

In einer Sonderausstellung anlässlich des 20. Jahrestages der Anschläge auf das World Trade Center versammelt sie Werke zeitgenössischer Künstler, die eines eint: „Zeitdokumente von damals sind die Basis der Arbeiten.“ Kunst also, die sich aus Relikten der Realität speist und nach der die Kuratorin lange und weltweit gesucht hat.

Die als Performer berühmte Blue Man Group zum Beispiel hat mit angekokelten und zerrissenen Papierstücken, die aus den brennenden Türmen geweht waren, das Video „Exhibit 13“ erstellt, Caro Jost in ihren Streetprints Abdrücke der realen Straßenoberfläche rund um Ground Zero abgenommen und Beate Passow die abstürzenden Aktienkurse vom 12. September 2001 auf Rohseide eingestickt. Parallel dazu ehrt – in Kooperation mit Landshut – auch die Wallach Art Gallery der Columbia University in New York den Schöpfer der berühmten Kugel mit einer Ausstellung.

Das Landshuter Museum mit seinem herrlichen Skulpturenpark vor der Türe verwahrt nicht nur rund 5000 Kunstwerke und Sammlerstücke des Bildhauers, die der Maria-und-Fritz-Koenig-Stiftung gehören, sondern auch ein riesiges, vom Künstler selbst zusammengetragenes Pressearchiv.

Kontroverse Frage: "Wohin damit?"

Das macht Alexandra von Arnim parallel zur Jahrestag-Ausstellung zugänglich – passend zu ihrer faktenbasierten Kunstauswahl. Medien weltweit hatten über das wundersame Überleben der Koenig-Kugel berichtet – und im Fortgang auch über die kontrovers diskutierte Frage: Wohin damit?

Aus Trümmern geborgen: Das Kunstwerk, das 9/11 überlebte

© imago images/Rüdiger Wölk, NN

Auf Ground Zero, wo das bei einem 2003 durchgeführten Wettbewerb ausgewählte Mahnmal „The Reflecting Absence“ von Michael Arad und Peter Walker 2011 eingeweiht wurde, war kein Platz mehr für sie. Immer wieder gab es neue Vorschläge für Aufstellungsorte, immer wieder wurden sie verworfen. So fristete „The Sphere“ ihr Dasein bis 2017 im Battery Park, einen Kilometer von „Ground Zero“ entfernt.

Nicht zuletzt durch den unermüdlichen Einsatz von Michael Burke, den Bruder eines bei den Bergungsarbeiten im brennenden Nordturm zu Tode gekommenen Feuerwehrmannes, wurde Koenigs Kugel schließlich 2017 im neu angelegten Liberty Park an der Südkante des ehemaligen World Trade Center Campus wieder dauerhaft positioniert. Der Bildhauer hat ihre Aufstellung und damit das Ende ihrer Odyssee nicht mehr erlebt. Er starb fünf Monate zuvor im Alter von 92 Jahren.

In seiner Heimatstadt wird der Nachlass von Koenig heute gering geschätzt

Während sein berühmtestes „Kind“ eine neue Heimat in Amerika gefunden hat, ging es mit Koenigs Bleibe in seiner Heimat bergab. Sein Refugium in Ganslberg, wo er einst ein Wohnhaus, Stallungen für seine Pferdezucht und eben die Kugel-Halle bauen ließ, steht seit seinem Tod leer. Landshut fand bislang keine Lösung für den Umgang mit dem Erbe seines berühmtesten Sohnes, dessen Werke unter anderem vor der deutschen Botschaft in Madrid, im Park von Schloss Bellevue in Berlin und im Münchner Olympiapark zum Gedenken an die Anschläge von 1972 stehen.

Nicht nur die Architektin Susanne Köhler, seine ehemalige Schülerin, ist betrübt über „die Geringschätzung des Nachlasses von Fritz Koenig“. Jetzt zeichnet sich eine Lösung ab: Ende Mai 2021 hat der Landesdenkmalrat beschlossen, dass der Ganslberg unter Denkmalschutz gestellt werden soll mit dem Ziel, das Künstleranwesen einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Eine Machbarkeitsstudie ist in Auftrag gegeben. Ergebnisse sind bis Ende des Jahres zu erwarten.

Aus Trümmern geborgen: Das Kunstwerk, das 9/11 überlebte

© Ted Warren, dpa

Die Ausstellung „9/11 und die Koenig Kugel“ ist vom 11.9. bis 12.2.2022 im Koenig-Museum in Landshut (Am Prantlgarten 1) zu sehen (Di.-So 10-17 Uhr). Zur Eröffnung heute ab 20 Uhr Open-Air-Filmprogramm. Morgen 11-13 Uhr „9/11 Dialoge“. Weitere Infos: www.koenigmuseum.de

Publikationen: „The Sphere. Kunstwerk und Mahnmal“, Buch mit 2 DVDs hrsg. vom Freundeskreis Fritz Koenig, 276 Seiten, 42 Euro.

Dietrich Clarenbach: Fritz Koenig. Eine Bildbiografie, hrsg. von der Stadt Landshut, 54 S., 18 Euro.

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