Filmemachen als Exzess

"Babylon – Rausch der Ekstase" erzählt von Hollywoods Kinoindustrie im Übergang zum Tonfilm

19.1.2023, 14:55 Uhr
Schafft eher durch Zufall den Sprung ins Filmgeschäft: Margot Robbie als Starlet Nellie LaRoy in "Babylon – Rausch der Ekstase".

© Paramount Pictures Germany Schafft eher durch Zufall den Sprung ins Filmgeschäft: Margot Robbie als Starlet Nellie LaRoy in "Babylon – Rausch der Ekstase".

Filmemachen als Drecksarbeit: Damit beginnt Damien Chazelle seinen dreistündigen Ritt durch die Filmindustriegeschichte der späten 1920er Jahre. Da ergießen sich die Exkremente eines Elefanten im Schwall über den anschiebenden Helfer.

Später auf der Party des Produzenten dient der Elefant als Lockvogel, um Blicke auf sich zu ziehen, damit im Hintergrund der leblose Körper einer jungen Frau entsorgt werden kann. Nein, das Hollywood der frühen Jahre war kein Ort für Zimperliche.

Das ist nichts Neues, wie überhaupt an Chazelles "Babylon" wenig neu ist. Nicht der Titel, nicht die Figuren und nicht der Plot, der als wilde Orgie von einer grellen Szene in die nächste stolpert. Aber diese Darstellung vom Filmemachen als Blutsport – sie hat eben auch was. Natürlich gibt es da die Schicht der Selbst-Heroisierung und es gibt die Sensationslust. In ihren Anfängen wohnte der Filmindustrie auf besondere Weise das uramerikanische Versprechen inne, dass es jeder hier schaffen könne.

Zwei Außenstehende, die unbedingt reinwollen, setzt Chazelle ins Zentrum: den Mexikaner Manuel (Diego Calvo), der seinen Platz in der Industrie zwischen Statisten-Dompteur und Ideengeber erst schaffen muss. Und Nelly LaRoy (Margot Robbie), das Starlet, dem es gelingt, durch Party-Crashing in sehr kurzem Kleidchen so viel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, dass irgendein Mann auf sie zeigt, als ein Ersatz für das leblos hinausgeschmuggelte Mädchen gefunden werden muss. Und wie es sich im Genre gehört, verliebt sich Manuel in Nelly.

Übergang vom Stumm- zu Tonfilm

Doch nicht die Gefühle treiben die Handlung voran, sondern die Technik, der Übergang von Stumm- zu Tonfilm.

Es ist die Ära der Kinoindustrie, bevor kontrollierende Richtlinien die Filme "anständiger" und gleichförmiger machten. In unterschiedlichen Formen erweist Chazelle Aspekten des Filmemachens seine Reverenz.

Gleich die zweite Sequenz zeigt parallele Dreharbeiten auf einem noch unerschlossenen Stück kalifornischer Wüste. In der einen Ecke beweist Nelly, dass sie das Kunststück der Einzelträne für die Nahaufnahme beherrscht. In der anderen verzweifelt ein Team daran, die große Panorama-Aufnahme noch rechtzeitig vor Sonnenuntergang in den Kasten zu bekommen.

Dass es bis zum Beginn der Tonfilm-Ära mehr Frauen und mehr Minderheiten gab, davon erzählt Chazelle mit melancholischer Beiläufigkeit: Li Jun Li spielt als Lady Fay Zhu eine offen lesbische Sängerin und Autorin, die ihren Job verliert, als der Tonfilm die Schrifttafeln überflüssig macht. Jovan Adepo gibt den schwarzen Jazz-Trompeter Sidney, der zu Ruhm kommt, aber dann zum "Blackfacing" gezwungen wird. Brad Pitt hat die fast langweiligste Rolle: Er verkörpert jenes romantisch-dramatische Männerideal, das mit dem Stummfilm verschwand.

An manchen Stellen bewusst ahistorisch, will "Babylon" keine präzise Rekonstruktion der Ära sein. Der Film setzt auf Andeutung, um den Zuschauer am Ende mit dem Gefühl des Verlusts zu entlassen. Als Manuel 1952 mit "Singing in the Rain" den Film über "seine" Zeit im Kino sieht, zeigt sein tränenüberströmtes Gesicht, dass die Produktion eine bis zur Unkenntlichkeit gesäuberte Version dessen ist, was wirklich stattgefunden hat. (188 Min.)

In diesen Kinos läuft der Film.

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