Der NN-Kunstpreis 2020: Starke Kontraste, große Strahlkraft

8.7.2020, 10:20 Uhr
Der NN-Kunstpreis 2020: Starke Kontraste, große Strahlkraft

© Foto: Stefan Hippel

In Zeiten von Corona brauchen Kulturschaffende mehr denn je Unterstützung. Für die Verlegerinnen der Nürnberger Nachrichten, Bärbel Schnell und Sabine Schnell-Pleyer, war es von Anfang unbestritten, dass der NN-Kunstpreis, seit 1993 eine der wichtigsten Auszeichnungen für die mit der Region verbundenen Künstlerinnen und Künstler, auch in diesem Jahr verliehen wird.

Nachdem die Ausstellungshäuser wieder öffnen dürfen, war auch klar, dass die begleitende Schau im Kunsthaus stattfindet – natürlich unter Beachtung der Hygiene- und Abstandsauflagen.

Abstand halten gilt dabei nicht nur für die Besucher, auch die von der Jury nominierten Werke (deren Zahl bewusst etwas kleiner gehalten wurde) präsentieren sich in einer luftigen, weniger dicht gedrängten Inszenierung als in manchen Vorjahren. Ihrer Wirkung kommt das nur zugute – und auch die insgesamt 64 Arbeiten vermitteln einen spannenden Einblick in die Vielfalt und Qualität der hiesigen Kunstszene.

Der NN-Kunstpreis 2020: Starke Kontraste, große Strahlkraft

© Foto: Stefan Hippel

Dass man gleich beim Eintritt zum Schmunzeln verführt wird, ist dem Holzbildhauer Ignaz Huber zu verdanken: Sein "Sizilianischer Straßenwolf" begrüßt einen so tapsig und freundlich, mit Rollschuhen an den Hinterläufen, als wollte er davonflitzen — man schließt ihn sofort ins Herz.

Gleich um die Ecke erlebt man eine Kunstpreis-Premiere: Dort hat der für seine Klang-Installationen weltweit bekannte Künstler Florian Tuercke eine "Longboardharp" aufgebaut. Die Saiten der Harfe spannen sich über einen liegenden, schwarzen Steg, über dem sich in der Mitte als Resonanzkörper eine Holzkuppel erhebt. Auf einem Videodisplay hört und sieht man Tuercke mitten in der Natur auf seiner Klangskulptur spielen – betörend schöne, meditative Musik erfüllt leise den Raum.

Passend dazu gesellt sich Malerei, die in ihrer lichten Farbigkeit und klaren Formsprache von hohem ästhetischen Reiz ist – darunter die vor einer diffusen Gebirgslandschaft zart aufragenden Birkensprösslinge von Maximilian Ostermann oder das grüne, kissenartige Objekt von Anita Brandt, das scheinbar schwerelos vor dem Malgrund schwebt.

Vom Chaos der Gedanken und Begierden erzählt im Kontrast dazu Tommy Knys vielgestaltige Großzeichnung "Mein Bewusstsein aus Papier", die sich auf den Spuren des Surrealismus bewegt. Die Menschenbilder, auf die man beim weiteren Rundgang trifft, zeugen überwiegend von einem sehr kritischen Blick der Künstler auf die eigene Spezies.

Bei Claudia Wirth sind vier auf ihren Smartphones chattende Chinesen direkt mit dem "Großen Vorsitzenden" verkabelt. Thomas Michels Bild eines martialisch aufgerüsteten Polizisten, vor dem ein armer Schuhputzer am Boden hockt, erinnert zwangsläufig an die Ermordung von George Floyd.

Kraftvoll und von großer Zartheit zugleich ist hingegen Fatma Güdüs Gemälde "Gedacht Ungedacht", das die Bühne öffnet für eine große, nackte Frauenfigur. Die mächtigen Beine verleihen ihr eine enorme Präsenz, während der schemenhafte Oberkörper und die zwei Gesichter gleichsam den Blick ins Innere wenden. Auch malerisch und in der virtuosen Linienführung ein nachhaltig faszinierendes Werk.

Einen starken Auftritt hat in der von Petra Weigle und Jan Gemeinhardt klug und stimmig inszenierten Ausstellung erneut auch die Landschaftsmalerei – mit viel fantastischem Potenzial. Zu den Highlights gehören die Gemälde von Gerhard Rießbeck und Tessa Wolkersdorfer.

Rießbeck, den es regelmäßig in eisige Gefilde lockt, erhellt die schwarze Polarnacht magisch mit einem lilafarbenen Licht, als sei ein Ufo in der Eiswüste gelandet. Im zweiten Bild wähnt man sich inmitten einer Kraterlandschaft auf dem Mond. Das extreme Querformat entrückt die Werke zusätzlich der Wirklichkeit.

Wolkersdorfer vereint übereinander gelegte Ansichten von stürmischen Himmelsphänomenn über weiten Landschaften zu einem faszinierenden Gesamtbild von großer Dynamik und Leuchtkraft. Kai Klahres "Kaktusblüte des Bildhauers" wirkt auf den ersten Blick duftig und beschaulich – der Künstler als Denker im Märchenblumenwald. Erst auf den zweiten Blick entpuppt sich der Wald als rätselhafter, unheimlich belebter Ort.

Mit Mathias Otto und Jürgen Durner begegnen sich zwei renommierte Maler, deren Domäne die Stadt bei Nacht ist. Wobei Otto diesmal für eine tolle Überraschung sorgt. Entführen seine Bilder sonst an subtil beleuchtete dunkle Alltagsorte, fällt der Blick diesmal auf einen strahlend blauen Himmel. Die feinen Tropfen und Schlieren, die ihn durchziehen, sind der ungeputzten Fensterscheibe davor geschuldet. Schmutz malerisch derart zu veredeln, macht dem Künstler so schnell keiner nach.

Durner, seit vielen Jahren ausgewiesener "Fensterbilder"-Spezialist, beweist einmal mehr seine Meisterschaft in der fließenden Verbindung von Innen- und Außenraum.

"Polyphrenie" hat er sein hochformatiges Gemälde genannt. Der Begriff bezeichnet eine "schillernde Persönlichkeit", und geheimnisvoll schillernd, exotisch wirkt auch diese Ansicht einer menschenleeren, nächtlichen Großstadtszenerie.

Gegenüber grüßt wie ein Echo Johannes Vetters Kronleuchter mit seinen prächtigen Klunkern und brennenden Kerzen, der gefährlich ins Schwanken geraten ist.

Vetter ist einer von 17 erstmals im Wettbewerb vertretenen Künstlerinnen und Künstlern, von denen gleich drei mit Preisen bedacht wurden. Dazu gehört auch Stefan Schindler, dessen anmutiger, aus grobem Holz geschnitzter "Prophet" wie ein stiller Mahner über die Welt zu wachen scheint.

Zugleich belegen die vielen bestens Bekannten, auf die man in der Ausstellung trifft, das hohe Niveau der Kunstschaffenden. Johannes Felder lässt diesmal eine vielfarbig leuchtende amorphe Form geradezu über die Bildfläche bersten – wie ein riesiger, brennender Zeppelin.

Erneut dabei ist mit zwei Werken auch die 1981 geborene Südkoreanerin Sejin Kim, die sich mit ihren geisterhaften und hinreißend zarten Wald- und Menschenbildern längst eine eigenständige Position in der Nürnberger Kunstszene erworben hat. Und keinesfalls übersehen sollte man im Foyer Günter Paules "Hauben". Wie mystische Bäume oder Riesenpilze scheinen sie durch die bläuliche Nacht zu tänzeln – und werden durch die virtuose Schleiftechnik des Malers regelrecht zum Glimmen gebracht.

Der spannende Auftakt zu einer Ausstellung, die auch unter außergewöhnlichen Bedingungen das Zeug zum Publikumsmagneten hat.

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