Kolumne

DFB-Elf vor WM in Katar: Woher kommt der Optimismus, Herr Bierhoff?

15.10.2021, 11:00 Uhr
Wie viel Luxus soll's denn diesmal sein? Oliver Bierhoff darf ab sofort ein WM-Quartier in Katar suchen. 

© Federico Gambarini/dpa; Grafik: Ralph Meidl; Montage: Sabine Schmid Wie viel Luxus soll's denn diesmal sein? Oliver Bierhoff darf ab sofort ein WM-Quartier in Katar suchen. 

Lieber Oliver Bierhoff,

nachträglich herzlichen Glückwunsch zur vorzeitigen WM-Qualifikation. Damit, dass "La Mannschaft" sich so klar durchsetzen würde, konnte man nicht unbedingt rechnen. Angeblich gibt's ja keine Fußballzwerge mehr.

Trotzdem habe ich gestutzt, als nun einige deutsche Spieler, allen voran Manu "Nationale" Neuer, den WM-Titel 2022 als "realistisches Ziel" ausgaben. Unser Kapitän schwenkte damit offenbar auf die Tonspur ein, die Sie, Herr Bierhoff, bereits seit Anfang September legen. Damals nach einem 2:0-Triumph über das Starensemble aus Liechtenstein. Kürzlich folgten vier deutsche Tore in, äh, Nordmazedonien - und schon sind wir wieder auf Augenhöhe mit Frankreich und Spanien, wieder "Weltspitze"?

Herr Bierhoff, bei allem Verständnis für die Kraft positiver Gedanken, für Ihr PR-Talent und für unseren einstigen Status als Halbfinalabonnent: Das geht mir dann doch etwas zu fix. Haben wir nicht gerade erst bei einem großen Turnier gegen England verloren? Gegen England!!! Wie viele echte Torchancen hatten wir gleich noch mal in Wembley? Hansi Flick mag ein prima Nachfolger von Jogi Löw sein, aber auch er wird aus den Einzelteilen von Timo Werner und Leroy Sané kaum einen Kylian Mbappé zusammenbacken können.

Das hört sich vielleicht miesepetriger an als ich es meine. Ich mag Fußball. Früher erkannte ich sämtliche Nationalspieler am Gang, noch bevor Rudi Michel "Breitner" sagen konnte - und das TV-Bild war damals wirklich unscharf. Ich kann Ihnen aus dem Stand alle WM-Platzierungen der Deutschen hersagen, allerdings mit abnehmender Empathie. Diesmal, fürchte ich, wird mir egal sein, wie weit unser Team kommt.

Die acht neuen WM-Stadien in Katar sind bereits jetzt so gut wie fertig, heißt es. Tolle Leistung. Laut seriösen Quellen schufteten zigtausende Arbeitssklaven jahrelang sechs Tage pro Woche für einen Hungerlohn bei bis zu 50 Grad Hitze, damit uns ab November 2022 junge Millionäre auf wohltemperiertem Rasen beste Unterhaltung bieten können. Und dann soll ich vor der Kiste hocken und die Daumen drücken? Fußball und Politik seien getrennt zu betrachten, sagen Sie vielleicht. Logisch! Eine Winter-WM in einer arabischen Monarchie hat sicher ausschließlich sportliche Gründe.

Für den mit Sponsorenknete vollgepumpten DFB-Tross wäre es jedenfalls kostspieliger, daheim zu bleiben als dorthin zu fliegen. Außerdem würde die ehrenwerte Fifa einen Boykott ihrer Scheich-Show niemals dulden. Deswegen dürfen Sie, Herr Bierhoff, nun das deutsche WM-Quartier planen. Was soll's denn diesmal sein? Ich schlage vor: ein extra für Neuer, Müller & Co. errichtetes Waden-Wellness-Wüsten-Ressort in Beduinenzeltoptik. Es zählt schließlich nur der Titel. Oder?

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