Freistaat wirft Künstler aus Nürnberger Atelier

19.11.2020, 18:03 Uhr
Nach 33 Jahren wurde der Ateliergemeinschaft nun völlig überraschend gekündigt.

© Foto: Stefan Gnad Nach 33 Jahren wurde der Ateliergemeinschaft nun völlig überraschend gekündigt.

Die Räume für Künstler in der Großstadt werden immer knapper. Nun wurde auch der Ateliergemeinschaft in der Marienstraße 23 gekündigt. Ein weiteres gewachsenes Künstler-Biotop, das seit Jahrzehnten in der Stadt aktiv ist, steht vor dem Aus. Das Pikante: Eigentümer ist hier kein hungriger Immobilienhai, sondern der Freistaat Bayern.

Kündigung mitten in der Krise

Die schriftliche Kündigung erreichte die Künstlergemeinschaft mitten in der Krise: am 24. Juli und völlig unerwartet. Begründung: Das schmucklose Hinterhaus im Stadtzentrum, in dem einst eine Elektrofirma untergebracht war, soll erhebliche Mängel in der Statik und im Brandschutz aufweisen. Zudem bestünde aufgrund der maroden Elektrik im Haus "Gefahr für Leib und Leben".

Das der Kündigung zugrundeliegende Gutachten durften die Künstler – derzeit acht an der Zahl – trotz mehrfacher Anfrage nicht einsehen. Ein Statiker, den die Gemeinschaft selbst beauftragt hat, kam hingegen zu dem Schluss, dass mit geringen finanziellen Maßnahmen ein mittelfristiger Erhalt des Gebäudes problemlos möglich ist.

TÜV fand zunächst keine Mängel

Vor allem wundern sich die Künstler, dass der TÜV erst im Januar im Haus war und keine Beanstandungen hatte. Kaum war die Kündigung zugestellt, stand der TÜV ein zweites Mal auf der Matte, prüfte erneut und stellte nun fest, dass die Elektrik im Haus lebensgefährlich ist. Kurz darauf wurde den Künstlern der Strom abgestellt. Aktuell wird das Haus mit Baustrom versorgt. Überall in den Gängen liegen Leitungen, im Treppenhaus stehen Verteilerkästen.

Zum 30. November muss alles draußen sein, ganze Lebenswerke in wenigen Wochen. Die Ateliergemeinschaft ist eine der ältesten ihrer Art in der Stadt – und eine der letzten. Und wir reden hier nicht von irgendwelchen Künstlern, sondern von renommierten Namen in der regionalen Kulturlandschaft wie Meide Büdel, Thomas May, Hubertus Heß, Woldemar Fuhrmann und Pirko Julia Schröder, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden.


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Die Mieter arbeiten hier zum Teil seit 1987, haben in dem Hinterhaus nicht nur ihre Werkstätten, sondern auch Büros und Lagerräume. "Wie soll das gehen, nach 33 Jahren innerhalb von 16 Wochen etwas Neues zu finden?", fragt Meide Büdel verzweifelt. Die Bildhauerin ist seit Anbeginn dabei, die Kündigung traf sie mitten in laufenden Projekten, die in der Krise noch einmal eine ganz andere Bedeutung haben. "Natürlich haben wir uns umgesehen, haben versucht, neue Räume zu finden. Keine Chance. Ich habe jetzt unter anderem eine große Jury abgesagt, weil ich dafür gerade keinen Kopf habe ..."

"Zwei Paar Schuhe"

"Das Problem ist schlicht das Gebäude", heißt es hingegen aus dem Bayerischen Bauministerium, das für die Immobilie verantwortlich ist. "Das Haus ist baufällig, was will man machen? Wir können die Leute nicht da drinnen lassen, diese Verantwortung können wir als Vermieter nicht übernehmen." Die beiden TÜV-Besuche hätten nichts miteinander zu tun, "das sind zwei Paar Schuhe".


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Die Stadt Nürnberg in Person von Kulturbürgermeisterin Julia Lehner war bereits vor Ort und hat ihre Unterstützung zugesagt. Doch die Uhr tickt. Der erste Künstler hat schon seine Kisten gepackt: René Radomsky, einer der Jungen im Haus und jüngst mit dem Debütanten-Preis des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet, zieht weiter. Wahrscheinlich nach Leipzig. Wie schon so viele vor ihm.

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