Neu im Kino
Kenneth Branaghs "Belfast": Glückliche Kindheit im Nordirlandkonflikt
23.02.2022, 11:33 Uhr
Van Morrisons Musik spielt in Kenneth Branaghs "Belfast" eine wichtige Rolle. Nicht von ungefähr: Wie Branagh wurde auch der Rhythm & Blues-Barde in der nordirischen Stadt geboren. Sein Sound ist gleich das erste, was man im Film zu hören bekommt, dazu kreist die Kamera in Vogelperspektive über das heutige Belfast. Die Stimmung, die so entsteht, ist fröhlich, unbeschwert. Sie hält an, als die Zeit zurückgedreht wird, sich alle Farbigkeit in Schwarzweiß wandelt und man den neunjährigen Buddy mit anderen Kindern seines Viertels ausgelassen auf der Straße spielen sieht ...

Dann kippt die Situation plötzlich. Es ist der 15. August 1969, der Tag, an dem ein aufgebrachter protestantischer Mob die Häuser von Katholiken angriff, die bisher in friedlicher Nachbarschaft mit den Protestanten lebten. Pflastersteine fliegen durch Fenster, Läden werden geplündert, Autos gehen in Flammen auf. Mittendrin der kleine Buddy, den die Kamera in Nahaufnahme umkreist – und so das irritierte Entsetzen des Jungen unterstreicht.
Branaghs Alter Ego
Dieser Buddy – beherzt und naseweis gespielt von Jude Hill – ist niemand anderes als das Alter Ego von Branagh, der hier eine stark autobiografisch inspirierte Kindheit in Szene setzt. Schnelle Wechsel zwischen humorvoller Idylle und zugespitztem Drama gehören dabei zum etwas einfallslosen Regie-Konzept.
Den Fokus legt der Brite auf die Ästhetik der Bilder. Fast jede Einstellung mutet wie ein inszeniertes Foto aus dem Familienalbum an. Für eine Geschichte aus dem Bürgerkrieg wirkt das mitunter eine Spur zu aufgeräumt. Für die sehr persönliche und warmherzige Hommage an Familie und Zusammenhalt, die "Belfast" zweifellos ist, macht es Sinn.
Politisch bleibt der Film eher an der Oberfläche. Während der sogenannten Troubles stehen Buddys protestantische Eltern gefährlich zwischen den Fronten. Sie leben Seite an Seite mit den Katholiken in ihrer Straße, doch die radikal protestantischen Loyalisten machen Druck: Wer nicht für sie ist, ist gegen sie.
Schulden und Arbeitslosigkeit
Das sind nicht die einzigen Sorgen der Familie. Branagh zeigt an ihrem Beispiel wie Schulden und hohe Erwerbslosigkeit den Menschen in Belfasts Arbeitervierteln zu schaffen machten. Buddys Vater, sympathisch gespielt von Jamie Dornan aus "Fifty Shades of Gray", jobbt in England. Die Mutter (Caitroina Balfe) sträubt sich wie Buddy und sein Bruder vorerst gegen den Umzug dorthin.

Trotz allem erlebt der Junge eine glückliche Kindheit. Eine Mitschülerin sorgt für erste Schmetterlinge im Bauch. Bei den Bilderbuch-Großeltern (Ciaran Hinds und Judy Dench) findet er ebenso Zuflucht wie im Kino bei den geliebten Abenteuer- und Western-Filmen.
Und wenn der sommersprossige Blondschopf in "Thor"-Comics liest, die Erwachsenen öfter mal Shakespeare aufsagen und ein Agatha-Christie-Roman unterm Weihnachtsbaum liegt, bezieht sich Branagh auf sein eigenes Filmschaffen. Erst vor kurzem kam seine Christie-Adaption "Tod auf dem Nil" in die Kinos.
In dem für sieben Oscars nominierten "Belfast" sind es vor allem die durchweg fantastischen Hauptdarsteller, die den Film tragen. Branagh gibt ihnen genug Raum dafür. (97 Min.)