Die schöne Witwe und der Polizist

Park Chan-wooks "Die Frau im Nebel" changiert unwiderstehlich zwischen Traum, Theorie und Realität

2.2.2023, 15:00 Uhr
Aus einem beruflichen Kontakt wird langsam mehr: Tang Wei als Song Seo-rae und Park Hae-il als Jang Hae-joon in "Die Frau im Nebel".

© Plaion Pictures Aus einem beruflichen Kontakt wird langsam mehr: Tang Wei als Song Seo-rae und Park Hae-il als Jang Hae-joon in "Die Frau im Nebel".

Wenn die Hauptfiguren in Park Chan-wooks "Die Frau im Nebel" sich am Tisch gegenübersitzen, könnte man sie direkt für ein Paar halten. Ihre gemeinsame Mahlzeit nehmen sie in vertrauter, intimer Atmosphäre zu sich. Er hat Sushi aus dem besten Restaurant der Stadt bestellt, sie weiß diese Aufmerksamkeit zu schätzen.

Aber Hae-joon (Park Hae-il) ist Polizeikommissar und Seo-rae (Tang Wei) die Hauptverdächtige in dem Mordfall, den er aufklären muss. Ihr Stelldichein ist ein Verhör. Und ihrer Zweisamkeit ist noch eine zusätzliche Ebene der Überwachung eingezogen: Im Nebenraum hört Hae-joons Partner mit, der ohnehin besorgt darüber ist, wie sein Kollege im Verlauf ihrer Ermittlungen zusehends professionelle Grenzen überschreitet.

Denn das Verhör ist insgeheim doch ein Rendezvous. Hae-joon ist unwiderstehlich angezogen von der verführerischen Frau, die nicht um ihren toten Ehemann trauern mag. Vielleicht hat sie, die vor Jahren aus China floh, ihn nur aus Dankbarkeit geheiratet, weil er ihr Bleiberecht in Südkorea sicherte. Aber erklärt das ihre Kühle und Beherrschung?

Zunächst sah alles nach einem Routinefall aus. Der Sturz des passionierten Bergsteigers von einem Felsen schien ein Unfall zu sein. Dann verdichteten sich die Indizien, dass er Selbstmord beging. Seine Ehefrau scheint überdies ein wasserdichtes Alibi zu haben: Zur Tatzeit versorgte die Altenpflegerin (ein ungewöhnlicher Beruf für eine Femme fatale!) eine Patientin.

Dennoch lässt Hae-joon der Verdacht nicht los, sie sei schuld an seinem Tod. Er selbst lebt in einer ausgesprochen vernünftigen, reizarmen Beziehung mit einer Wissenschaftlerin. Für die Aura gefährlicher, undurchdringlicher Romantik, die Seo-rae umgibt, ist er empfänglich. Tang Wei, die mit Ang Lees Film "Gefahr und Begierde" bekannt wurde, verleiht der Figur eine souveräne Ambivalenz.

Die Duplizität seiner Figuren ist gewissermaßen die Leitwährung in Park Chan-wooks neuem Thriller. Er steckt voller filmischer Täuschungsmanöver. Anfangs kommt er harmlos daher: Die beiden Polizisten plaudern über den aktuellen Mangel an Mordfällen und geraten sodann in ein Labyrinth der Lügen, Manipulation und Zweifel. Während der an Schlaflosigkeit leidende Kommissar Seo-rae beschattet, wird die Realität immer brüchiger. Er betrachtet sie mit dem Fernglas, imaginiert sich dabei in ihre unmittelbare Nähe.

Mit diesem cineastischen Sirenengesang knüpft Park Chan-wook an das Spiel um Trug und Identität an, das er bereits in dem historischen Drama "Die Taschendiebin" mit großer Eleganz trieb.

Darin kam er der Wahrheit noch in einem raffinierten Dreischritt der Perspektivenwechsel auf die Spur. In "Die Frau im Nebel" obsiegt nun eine einnehmende, unwiderstehliche Ambiguität. Was ist hier Traum, was Theorie, was glaubhafte Rückblende?

Der Film bekräftigt, dass ein neuer Tonfall in das Kino des Regisseurs eingezogen ist, der Anfang des Jahrhunderts mit einer rabiaten Rache-Trilogie berühmt wurde. Gewalt und Erotik, die er zuvor drastisch in Szene setzte, weichen einem argwöhnischen Romantizismus.

Die Verführung geschieht recht keusch, an Sinnlichkeit fehlt es ihr aber nicht. Der lyrische Detailreichtum der Inszenierung zeigt sich auch in der Empfindsamkeit für die Witterung der Küstenlandschaften, die hier eine intrigierende erzählerische Rolle spielen. (138 Min.)

In diesen Kinos läuft der Film.

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