Von Zelt bis Wohnmobil: Sind Mikroabenteuer ein Ausweg in Coronazeiten?

29.4.2021, 16:04 Uhr
Ein Ideal des Mikroabenteuers: Ein Kleinbus, heimelig mit Holz verkleidet, davor ein Lagerfeuer und der Ausblick in den abendlichen Horizont. Reisefreiheit, die auch in Coronazeiten möglich ist.

© Cavan Images via www.imago-images.de Ein Ideal des Mikroabenteuers: Ein Kleinbus, heimelig mit Holz verkleidet, davor ein Lagerfeuer und der Ausblick in den abendlichen Horizont. Reisefreiheit, die auch in Coronazeiten möglich ist.

Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote, Reisewarnungen und Quarantäne, Homeoffice und Homeschooling. Alles leidige Begriffe, die seit der Corona-Pandemie fast jeder kennt, die vor allem aber für eines stehen: Der Bewegungsradius fast aller Menschen ist in den letzten 12 Monaten deutlich kleiner geworden, nicht selten war er für längere Zeit auf die eigene Wohnung oder deren unmittelbares Umfeld beschränkt.

Die Vergangenheitsform dieser Aussage trügt leider, ein Ende dieser schwierigen Phase ist momentan noch immer nicht in Sicht.

Mit einem Bulli ist man natürlich schnell auf der grünen Wiese. Idealer Ausgangspunkt für ein Mikroabenteuer.

Mit einem Bulli ist man natürlich schnell auf der grünen Wiese. Idealer Ausgangspunkt für ein Mikroabenteuer. © Foto: Pexels/Pixabay/Lizenz CC0

Wie aber sollen wir – als letztlich freiheitsliebende Menschen, die sich nicht einfach einsperren lassen wollen – unter diesen Umständen noch ausbrechen, den oft bedrückenden Trott des Alltags einmal hinter uns lassen – und sei es nur für wenige Stunden? Aufbrechen, wo man doch fast nirgends hin kann? Den Blick weiten, obwohl doch „daheim bleiben“ das erzwungene Gebot der Stunde ist?


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Eine taugliche Antwort darauf könnte das Konzept der Mikroabenteuer bieten. Es verlegt den Reiz der aufregenden, großen weiten Welt, den Aufbruch zu unbekannten Zielen und mit ungewissem Ausgang – für das der Begriff Abenteuer ursprünglich steht – in das allernächste Umfeld. Doch wie soll so etwas klappen?

Alastair Humphreys durchquerte erst die halbe Welt, bevor er das Konzept des Mikroabenteuers ersann und damit (welt-)bekannt wurde.

Alastair Humphreys durchquerte erst die halbe Welt, bevor er das Konzept des Mikroabenteuers ersann und damit (welt-)bekannt wurde. © imago images/Aurora Photos/Christopher Herwig

Der Begriff Mikroabenteuer stammt von Alastair Humphreys. Dieser war schon in jungen Jahren ein klassischer Abenteurer, nur nicht so snobistisch und wohlhabend wie es diese Spezies in England oft ist. Humphreys musste erst einmal die halbe Welt umrunden, um dann ironischerweise direkt vor der Haustür das zu finden, was ihn bekannt und erfolgreich machen sollte.

Der heute 44-jährige Brite fuhr nach dem College vier Jahre lang mit dem Rad um die Welt, durchquerte zu Fuß Südindien, kämpfte sich durch den Atlantischen Ozean und die Wüste der Arabischen Halbinsel.

Auch ein Zelt reicht aus, um ein Mikroabenteuer zu starten.

Auch ein Zelt reicht aus, um ein Mikroabenteuer zu starten. © Cody Duncan via www.imago-images.de

Menschen, die sich solche exzentrischen Erlebnisse schaffen, werden in unseren Zeiten der Selbstvermarktung via Social Media nicht selten Blogger, Video-Kanal-Betreiber, Motivationstrainer und Buchautoren. So auch Humphreys. Doch erst, als er einige Mini-Expeditionen in seinem Heimatland beschrieb, verlieh ihm im Jahr 2012 die Zeitschrift National Geographic den begehrten Titel „Adventurer of the year“ – Abenteurer des Jahres.


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Das war der Durchbruch, 2014 folgte das Buch „Mikroabenteuer“, das in kürzester Zeit auf die vorderen Plätze der Bestseller schoss. Ein neuer Trend war geboren, Humphreys wurde zur Vorzeigefigur einer neuen hippen Outdoor-Bewegung.

Mikroabenteuer in der Hängematte? Das Konzept richtet sich speziell an Stadtmenschen und Angestellte, die sonst weder Zeit, Lust noch die Ausrüstung für ein großes Abenteuer haben.

Mikroabenteuer in der Hängematte? Das Konzept richtet sich speziell an Stadtmenschen und Angestellte, die sonst weder Zeit, Lust noch die Ausrüstung für ein großes Abenteuer haben. © R. Maerzinger

„Meine Definition eines Mikroabenteuers ist genau das, was der Name suggeriert“, erklärt Humphreys in einem Interview mit dem Magazin Geo. „Es handelt sich um ein richtiges Abenteuer, eben nur nicht ein großangelegtes. Ein lokales, kostengünstiges, simples, kurzes Abenteuer.“

Der Kern von Humphreys Konzept war die Niederschwelligkeit. Es ging ihm darum, „Abenteuer auch für Menschen mit wenig Zeit, Geld, Erfahrung oder Equipment“ zu ermöglichen, wie er sagt. Leute mit Bürojobs, die in Städten leben, mit einem stressigen Alltag sind dabei seine hauptsächliche Zielgruppe.

Gerade Kinder können auch im Kleinen das große Abenteuer entdecken.

Gerade Kinder können auch im Kleinen das große Abenteuer entdecken. © Robijn Page

„Wenn Du keinen Berg erklimmen kannst, nimm einen Hügel“, nennt er als zentrales Beispiel. Nicht das Ziel oder der betriebene Aufwand sollen bei Mikroabenteuern im Vordergrund stehen, sondern die Haltung dazu. Abenteuer, auch kleine, finden immer zuerst im Kopf statt, betont Humphreys. Vor allem komme es darauf an, sich auf ein substanziell neues Erlebnis einzulassen.


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Dazu kann es ausreichen, in eine beliebige Regionalbahn zu steigen, ein paar Stationen zu fahren und von dort aus zum Ausgangspunkt zurückzulaufen. Oder man schlägt sein Zelt an einem Bach im nahen Stadtwald oder an einem Weiher auf. Den Möglichkeiten sind dabei keine Grenzen gesetzt, solange man es damit schafft, seinen Alltagstrott für eine kurze Zeit hinter sich zu lassen.

Hatte Humphreys in seinem ursprünglichen Konzept noch darauf bestanden, bei jedem Mikroabenteuer auf jeden Fall eine Nacht draußen zu schlafen, haben diejenigen, die diese Idee adaptiert und weiterentwickelt haben, auch davon Abstand genommen.

Christo Foerster etwa, der statt von Mikro- auch gerne von Nanoabenteuern spricht und Vorschläge macht wie: „Bau dir ein Zeltlager auf dem Balkon“ oder: „Koche dir morgens Kaffee auf dem Campingkocher“.

Draußen übernachten ist inzwischen keine Voraussetzung mehr, um von einem Mikroabenteuer zu sprechen. Gut, falls es wegen Corona eine nächtliche Ausgangssperre gibt.

Draußen übernachten ist inzwischen keine Voraussetzung mehr, um von einem Mikroabenteuer zu sprechen. Gut, falls es wegen Corona eine nächtliche Ausgangssperre gibt. © Valeria Schettino via www.imago-images.de

Es mag wie eine Ironie des Schicksals klingen, aber in Zeiten von nächtlichen Ausgangssperren und eingeschränkten Bewegungsradien im Zuge der Pandemiebekämpfung sind selbst Humphreys’ Vorschläge wie „im Freien übernachten“ zum Teil nicht mehr durchführbar. Da bleiben manchmal wirklich nur noch die eigene Wohnung, der Balkon oder der Vorgarten als letzte Erlebniszone.


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Deshalb hat Corona die Vorzeichen für Mikroabenteuer grundlegend verändert: Was bei Humphreys als Mittel der Vereinfachung begann und rasch zu einem gut vermarkteten Lifestyle-Trend ausgebaut wurde, ist in Zeiten des Corona-Lockdowns womöglich ein letzter Ausweg, um überhaupt noch etwas den Routinen des Eingeschlossenseins entgegenzusetzen.

Corona macht es auch Mikroabenteurern schwer. Hier wird zwar die Maskenpflicht eingehalten, doch wie sieht es mit den Kontaktbeschränkungen aus?

Corona macht es auch Mikroabenteurern schwer. Hier wird zwar die Maskenpflicht eingehalten, doch wie sieht es mit den Kontaktbeschränkungen aus? © Manu Reyes via www.imago-images.de

Die Frage ist nur, ob diese Methode unter solchen Bedingungen wirklich noch funktioniert. Ob der äußere Anreiz, zum Beispiel einmal in einer in der Wohnung aufgespannten Hängematte zu übernachten, ausreicht, um den Kopf freizukriegen.

Oder ob es in den Fällen von staatlich angeordnetem Bewegungsentzug nicht besser wäre, diese Realität als solche anzuerkennen und stattdessen, zum Beispiel durch Meditation, die eigene Achtsamkeit zu steigern und es dadurch zu schaffen, auch noch in kleinsten äußeren Reizen und Details etwas im Inneren zum Klingen zu bringen.

Zu leicht machen sollte man es sich dann doch nicht: Nicht jedes Öffnen und Trinken eines Bieres ist - so sehr das Spaß machen kann - gleich ein Mikroabenteuer.

Zu leicht machen sollte man es sich dann doch nicht: Nicht jedes Öffnen und Trinken eines Bieres ist - so sehr das Spaß machen kann - gleich ein Mikroabenteuer. © Angelika Warmuth

Konzentration auf den eigenen Mikrokosmos wäre in Zeiten pandemiebedingter Einschränkungen womöglich ein besserer Weg, als das Öffnen einer Bierflasche im nächtlichen Vorgarten schon zum Mikroabenteuer hochzujazzen.


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Ansonsten könnte die Gefahr drohen, den Begriff des Abenteuers völlig zu entleeren oder im Sinne Nietzsches umzuwerten: Statt der Unabhängigkeit von weiten Reisen, teurer Ausrüstung und hohem Zeitaufwand würde der Begriff des Mikroabenteuers letztlich ein neues Biedermeier kaschieren. In dem trauen sich ängstliche Bürger nicht mehr, ihre zivilisatorischen Schutzzonen zu verlassen, weil sie in jedem anderen Menschen in erster Linie ein potenzielles Infektionsrisiko sehen.

Meditation kann eine gute Alternative sein, um im Kleinen weite Räume zu öffnen.

Meditation kann eine gute Alternative sein, um im Kleinen weite Räume zu öffnen. © Foto: Pexels/Pixabay/LizenzCC0

Diese dystopische Gefahr sollte niemand vergessen, der versucht, im eingegrenzten Raum etwas Aufregendes zu erleben. Das kann zwar funktionieren, aber die Existenz der Einschränkungen wird dadurch noch lange nicht beseitigt.

Sie sind das eigentliche Problem. Und ob man nun ins Mikroabenteuer oder die eigene Innenwelt flieht, in beiden Fällen droht jene tückische Ambivalenz, die der Münchner Komiker und Alltagsphilosoph Karl Valentin schon vor Jahrzehnten auf den Punkt gebracht hat: „In mich gegangen. Auch nichts los.“

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