Kinos beklagen Auflagen-Wirrwarr

3G-Regel bringt Fass zum Überlaufen - Kinos schreiben offene Briefe an Söder

31.8.2021, 06:00 Uhr
"Komm, wir geh´n ins Kino" - "aber nur mit Maske, Abstand und wenn du geimpft, genesen oder getestet bist", müsste man dem Leuchtreklame-Klassiker, der hier im Eingang des Casablanca-Kinos prangt, derzeit hinzufügen.

© NEWS5 / Bauernfeind "Komm, wir geh´n ins Kino" - "aber nur mit Maske, Abstand und wenn du geimpft, genesen oder getestet bist", müsste man dem Leuchtreklame-Klassiker, der hier im Eingang des Casablanca-Kinos prangt, derzeit hinzufügen.

"Kinos kommen als Infektionsorte bei den Gesundsheitsämtern überhaupt nicht vor", übt Christian Bräuer, Vorsitzender der "Arbeitsgemeinschaft Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater" (AG Kino), scharfe Kritik an den immer neuen Hürden für die Lichtspielhäuser. Für Matthias Damm, den Leiter des von einem Verein getragenen Casablanca in der Nürnberger Südstadt, hat die seit dem 23. August geltende 3G-Regel das Fass jetzt zum Überlaufen gebracht. Er schrieb einen langen offenen Brief an den bayerischen Ministerpräsidenten, die Digitalministerin und den Gesundheitsminister.


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Kritik übt er darin nicht in erster Linie an der Nachweispflicht der Besucher, entweder vollständig geimpft, genesen oder negativ getestet zu sein. Das sei zwar zeitaufwändig, laufe aber reibungslos, zumal die Kontrollen ergäben, dass 95 Prozent der Besucher doppelt geimpft sind. Was Damm beklagt, ist die Vielzahl an Maßnahmen, die für "einen so überschaubaren Ort wie das Casablanca weit über das Ziel hinausschießen".

Die gravierendste Einschränkung bildet für das Drei-Säle-Kino die Abstandsregel von 1,5 Metern, die in Bayern als einzigem Bundesland noch ohne Einschränkung gilt – auch dann, wenn modernste Lüftungsanlagen installiert wurden. Ausverkauft heißt es da für den mit 90 Plätzen größten Saal schon, wenn 30 Tickets verkauft sind. Im kleinsten Saal (26 Plätze) finden bestenfalls zehn, manchmal auch nur fünf oder sechs Besucher Platz.

Als "Kino mit Courage" lockt das Casablanca in der Brosamerstraße Publikum auch weit über die Nürnberger Südstadt hinaus an.

Als "Kino mit Courage" lockt das Casablanca in der Brosamerstraße Publikum auch weit über die Nürnberger Südstadt hinaus an. © NEWS5/Bauernfeind

Damm geht es dabei gar nicht zentral um die finanziellen Einbußen, die durch den Kultur-Sonderfonds ausgeglichen würden. Wirklich "schmerzhaft" für Betreiber und Publikum sei vielmehr, dass bei stark gefragten Filmen jeden Abend Gäste weggeschickt und Live-Veranstaltungen vor spärlichst besetzten Reihen stattfinden müssen. Auch für die Verleiher seien die Mindereinnahmen katastrophal. Seine dringende Bitte: Der Freistaat solle flexible Abstandsregeln einführen, die die Größe der Kinos berücksichtigen.

"Das ist Wahnsinn"

Damm hat das Schreiben ausdrücklich aus Sicht des Casablanca formuliert, wirft damit aber ein Schlaglicht auf das Problem vieler kleinerer Kulturbetriebe, die bei maximal 30 Prozent Auslastung niemals aus eigener Kraft überleben können.

Für das Nürnberger Cinecittà, das größte Multiplex Deutschlands, bedeuten die Abstandsauflagen zwar ebenfalls massive Einschränkungen: "Von unseren insgesamt 4600 Plätzen können wir im Schnitt 1500 bis 1600 belegen. Das ist Wahnsinn", sagt Cinecittà-Inhaber Wolfram Weber. Trotzdem habe man es nach dem Ende des Lockdowns wieder auf einen guten Weg geschafft. Die 3G- Nachweispflicht stellt sein Haus, das selbst an einem Montag 2500 Besucher hat, nun jedoch vor große logistische Herausforderungen.

Weber hat auch einen Brief an Markus Söder geschrieben. Kontrollen sämtlicher Besucher würden zu deutlichen Personal-Mehrkosten führen, heißt es darin. Zudem rechne er mit abermaligen Umsatzeinbußen von rund 30 Prozent, da die Nachweispflicht für Nicht-Geimpfte (von denen es unter den zahlreichen jungen Besuchern des Cinecittà sehr viele geben dürfte) als Barriere wirke – umso mehr, wenn Tests bald selbst bezahlt werden müssten.

"Unser Eindruck ist, dass Kinos missbraucht werden, um die Impfquote zu erhöhen", kritisiert Weber. Sein Vorschlag: Die Kinos informieren ihre Kunden über die 3G-Pflicht, belassen es aber bei stichprobenartigen Kontrollen. Denn dass die Regel bald wieder gekippt wird, glaubt Weber nicht. "Vielleicht", hofft er, "werden die Abstandsauflagen gelockert." Ansonsten befürchtet er spätestens zum Start des neuen James Bond am 30. September auch für sein Haus ein "Riesenkapazitätsproblem".

Christiane Schleindl hat keinen Brief an Söder geschrieben. Aber auch die Leiterin des kommunalen Filmhauses klingt inzwischen ziemlich verzweifelt. Die 3G-Regel treibe das Personal endgültig ans Limit (Mini-Jobber werden dringend gesucht). Die Zehn-Prozent-Kürzungen, die die Stadt infolge der Corona-Krise bei allen Kulturbetrieben vorgenommen hat, verschärft die Einnahmen-Verluste durch die gezwungenermaßen auf ein Drittel reduzierten Ticketverkäufe zusätzlich.

"Als kommunales Kino, das einen Bildungsauftrag hat, können wir das nicht ewig so weitermachen", sagt Schleindl. Sie würde sich wünschen, dass die Kinos, die hervorragende Hygienekonzepte umgesetzt und neue Lüftungssysteme eingebaut haben, von der Politik nach ihren Erfahrungswerten befragt und diese zur Richtschnur gemacht würden. "Aber das passiert überhaupt nicht. Keiner fragt bei uns nach."

Kein Durchdringen zum Ministerpräsidenten

Auch Christian Bräuer von der AG Kino, die im ständigen Austausch mit Virologen und dem RKI ist, vermisst besonders in Bayern die Verhältnismäßigkeit der Auflagen und die politische Dialogbereitschaft. Der Freistaat habe nach wie vor die strengsten Auflagen für Kulturbetriebe. Statt aufzuklären, werde die Verunsicherung geschürt. Und während es in anderen Bundesländern durchaus Gespräche zwischen Kinoverbänden und Regierung gäbe, sei das Digitalministerium in Bayern zwar kooperativ, dringe mit seinen Empfehlungen aber überhaupt nicht zum Ministerpräsidenten vor.

Die AG Kino fordert, dass den Lichtspielhäusern nach der Einführung der 3G-Regel wieder die Vollauslastung erlaubt wird, so wie das etwa in Nordrhein-Westfalen und Sachsen der Fall ist. "Die Kinobetreiber", weiß Bräuer, "sind sich ihrer Verantwortung bewusst und werden auch dann jeweils einen Platz zwischen Besuchern aus verschiedenen Haushalten freilassen." Bräuer ist außerdem überzeugt: Wenn Bayern trotz der Kontrollen an der Masken- und Abstandspflicht festhält, schadet das auch der Impfkampagne. "Warum", fragt er, "soll ich mich impfen lassen, wenn sich an den Einschränkungen nichts ändert?"

Seit mehr als anderthalb Jahren warten Bond-Fans und Kinobetreiber vergeblich auf das nächste 007-Abenteuer. Nach mehreren Startverschiebungen ist nun der 30. September für den Bundesstart von "No Time to die" gesetzt. Bis dahin, hoffen Wolfram Weber vom Cinecittà, sind zumindest die Abstandregeln aufgehoben oder wenigstens gelockert.

Seit mehr als anderthalb Jahren warten Bond-Fans und Kinobetreiber vergeblich auf das nächste 007-Abenteuer. Nach mehreren Startverschiebungen ist nun der 30. September für den Bundesstart von "No Time to die" gesetzt. Bis dahin, hoffen Wolfram Weber vom Cinecittà, sind zumindest die Abstandregeln aufgehoben oder wenigstens gelockert. © stefan zeitz via www.imago-images.de, NN

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