Corona-Hilfspakete: Künstler im Visier der Ermittlungsbehörden

25.11.2020, 11:10 Uhr
Der Fürther Musiker Martti Trillitzsch

© Hans-Joachim Winckler, NNZ Der Fürther Musiker Martti Trillitzsch

Betrug. Ein übler Vorwurf. Man denkt an Gauner, die Menschen an der Haustür hereinlegen, an Kriminelle, die ohne Skrupel andere ausnehmen – zum Betrugsvorwurf kann es aber auch kommen, weil in einem bürokratischen Formular falsche Angaben gemacht wurden.

Der Musiker Martti Trillitzsch betreibt in Fürth einen kleinen Musikverlag und ein Plattenlabel, er ist einer derjenigen, die unter Verdacht stehen. Er hatte Corona-Soforthilfe beantragt und Künstlerhilfe. Zwei Förderungen. Dies genügte, um eine Vorladung aus dem Briefkasten zu ziehen. So wie ihm geht es seit Wochen vielen Künstlern, doch keiner seiner Kollegen will seinen Namen in der Zeitung lesen.

"Betrug mit Hilfspaketen", dies klingt nach "unsolidarischem Verhalten", sagt ein anderer Musiker aus Nürnberg und beschreibt eine paradoxe Situation: Er vermisst die Auftritte, das Publikum – doch jetzt fürchtet er die Öffentlichkeit. Denn strafrechtlich freigesprochen heißt noch lange nicht, dass Ehre und Karriere nicht doch beschädigt sind.

Rechtsanwalt Ralf Peisl kann die Bedenken verstehen. Er habe einige Mandanten, bestätigt er auf Nachfrage, die gerade eine Vorladung aus dem Briefkasten gezogen haben, und in das Nürnberger Kommissariat 42 in der "Ermittlungssache Betrugsvorwurf" vorgeladen wurden. Ralf Peisl ist Strafverteidiger. Er verteidigt Menschen, die getötet oder gestohlen haben. "Doch hier", sagt er, "vertrete ich Menschen, die nicht mehr arbeiten durften, einen Antrag gestellt haben und hofften, dass sie Hilfe erhalten. Und nun überhaupt nicht mehr wissen, was gespielt wird."


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Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, betont: "Wir sind erst im Ermittlungsverfahren." Man könnte auch vom Vorverfahren sprechen, dem ersten Abschnitt eines Strafverfahrens. Der so genannte Legalitätsgrundsatz verpflichtet die Behörde, sobald "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" vorliegen, sprich ein Anfangsverdacht, auch zu ermitteln.

Der Anfangsverdacht kann zum Beispiel aufgrund einer Anzeige entstehen, wie hier: Die Regierung von Mittelfranken bewilligt die Hilfen für die Künstler, bei Unklarheiten wird der Sachverhalt an das Landeskriminalamt gegeben und an die örtlichen Kommissariate verteilt.

Im Lauf dieses Corona-Jahres wurden unterschiedliche Förderungen aufgelegt: Martti Trillitzsch beantragte erst Corona-Soforthilfe als Zuschuss zu den Betriebskosten. Später erkundigte er sich in der Hotline der Regierung von Mittelfranken auch nach der Künstlerhilfe, und beantragte auf deren Empfehlung auch diese. Der Antrag wurde abgelehnt. Trillitzsch glaubte an ein Missverständnis. Bis die Vorladung der Polizei im Briefkasten lag. "Und jetzt stecke ich, quasi auf Empfehlung, in einem Strafverfahren."


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Er machte seinem Ärger jüngst bei "Jetzt red i" im Bayerischen Fernsehen Luft – und der anwesende Bernd Sibler (CSU), Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, vermutete vor den TV-Kameras, dass hier kein Subventionsbetrug vorliege, versprach gar, sich um den Fall persönlich zu kümmern. Auf Nachfrage unserer Zeitung ergänzt er: "Wer nichts Unrechtes getan hat, braucht sich auch keine Sorgen machen."

"Völlig unverhältnismäßig"

Einzelbetreuung durch Minister zur Wahrheitsfindung kennt der Rechtsstaat nicht, und wenn die Zahlen von Andreas Lutz, Vorstand im Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e. V, zutreffen, sind bundesweit 8000 Selbständige betroffen.
Häufig seien zwei Förderungen beantragt und nur eine genehmigt worden. In anderen Fällen wurde gerügt, dass die Geschäftsadresse der Wohnadresse entspreche – doch nicht jeder Solo-Selbständige könne sich ein Büro leisten, so Lutz. Eine Kosmetikerin habe Ärger bekommen, weil sie ihre Privatadresse angab, als sie ihr Studio Corona-bedingt schließen musste.

In einem weiteren Fall musste ein junges Paar mit einem Säugling eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen. "Völlig unverhältnismäßig", meint Lutz. Er vermutet, dass sich hochrangige Behördenvertreter auch nicht in die Situation der Solo-Selbstständigen versetzen können: Warum viele Selbstständige keine Steuerberater beschäftigen, wurde er gefragt, man bräuchte sie doch ohnehin für die Personalbuchhaltung.

"Personal – ein Solo-Selbstständiger? Da kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln," so Lutz.
Auch ein freischaffender Nürnberger Musiker erhielt von März bis Juni Corona-Soforthilfe als Zuschuss zu seinen Betriebskosten wie Telefon und Büro-Miete, als Hilfe zum Lebensunterhalt war das Geld nicht gedacht.

Als der Bayerische Ministerrat im Mai beschloss, dass alle freiberuflichen Künstler drei Monate lang 1000 Euro Grundeinkommen erhalten sollten, ließ der Musiker die Corona-Soforthilfe im Juni auslaufen und beantragte für die folgenden drei Monate, ab Juli, besagte Künstlerhilfe. Aus seiner Sicht zwei Förderungen, jedoch hintereinander. Sie überschnitten sich weder zeitlich noch inhaltlich. Die Antwort war eine Vorladung zur Polizei, Betrugsversuch steht im Raum.

Fall muss einzeln beurteilt werden

Juristen sprechen von Betrug, wenn "falsche Tatsachen vorgespielt" oder "wahre Tatsachen" unterdrückt werden, so steht es im Strafgesetzbuch. Aber ist es einem (juristisch nicht vorgebildeten) Bürger wirklich anzulasten, wenn er im Wirrwarr von Förderprogrammen, die teils rückwirkend geändert wurden, und im Bürokratendeutsch formuliert sind, nicht durchblickt?

Etwa 25 Prozent der Ermittlungsverfahren, so ist der Statistik zu entnehmen, mündeten in eine Anklage oder einen Strafbefehl. Die Mehrzahl der Ermittlungsverfahren wird eingestellt – weil eine Tat im Hinblick auf weitere Taten nicht ins Gewicht fällt oder die Behörde kein staatliches Verfolgungsinteresse erkennt.

"Und immer wieder erhärtet sich, allein schon in einem Viertel der Fälle, ein Tatverdacht nicht oder die Tat ist nicht nachweisbar", so Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke. Auch hier muss jeder Fall einzeln beurteilt werden.

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