"Covidiot" und "Lockdownspeck": Corona infiziert unsere Sprache

21.12.2020, 09:12 Uhr
Eine "Mobile Impfstation" auf dem Nürnberger Messegelände. Nicht nur ein ungewöhnliches Gefährt, auch die Bezeichnung zählt zu jenen plötzlich jedem geläufigen Formulierungen, die sich seit Corona wie selbstverständlich in unserer Sprache ausbreiten. 

© Daniel Karmann Eine "Mobile Impfstation" auf dem Nürnberger Messegelände. Nicht nur ein ungewöhnliches Gefährt, auch die Bezeichnung zählt zu jenen plötzlich jedem geläufigen Formulierungen, die sich seit Corona wie selbstverständlich in unserer Sprache ausbreiten. 

Weil Corona ein Phänomen ist, das wie kein anderes in den letzten Jahrzehnten unser Leben und unsere Welt umgekrempelt hat – viele Vergleiche sprechen vom folgenreichsten Ereignis seit dem Zweiten Weltkrieg –, hinterlässt es nicht nur Spuren in unserer Lebensführung und unserem Sozialverhalten, sondern auch explizit in unserer Sprache.

Schon die Begriffe, die diese Veränderungen beschreiben, sind größtenteils Neologismen, also Wortneuschöpfungen oder Fachbegriffe, die durch Corona in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sind: Social Distancing zum Beispiel, definiert als "bewusst herbeigeführtes räumliches bzw. physisches Abstandhalten der Menschen voneinander zur Prävention der Ausbreitung von Infektionskrankheiten".


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Oder die allseits bekannte, jedoch nicht immer befolgte AHA-Regel, eine Abkürzung für "Abstand, Hygiene, Atemmaske".

Gesammelt werden all die neuen Begriffe rund um die Corona-Pandemie vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS). Das hat seinen Sitz in Mannheim und war damit mal ganz nah dran an den Sprachwächtern vom Dudenverlag, bevor dieser im Jahr 2013 in die Deutsche Hauptstadt umzog.


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Die Liste der Corona-Neologismen versammelt beim IDS inzwischen über 1000 Einträge. Viele davon sind Anglizismen, kommen also aus dem angloamerikanischen Sprachraum – wie "Superspreader" oder "Lockdown light". Manche der Begriffe gibt es auch schon deutlich länger und sie haben andere Bedeutungen.

Der neue "Hotspot"

Jedoch dominiert Corona diese inzwischen so sehr, dass der ursprüngliche Gebrauch in den Schatten tritt – zum Beispiel beim "Hotspot": Eigentlich ist das in der Biologie die Stelle eines Gens, an der besonders häufig Mutationen auftreten, oder in der Geologie jene Zone des Erdmantels, unterhalb der das Gestein schmilzt.

Natürlich kennt man auch den Wlan-Hotspot oder die von der Werbung bis zum Abwinken ausgeleierte Bedeutung für vermeintlich interessante Konsumorte oder Verkaufsstellen – Stichwort: "Bratwurst-Hotspot". Doch seit Corona verbindet man mit diesem Begriff einen Ort, an dem die – Achtung, Neologismus! – Inzidenzrate besonders hoch ist und es viele Ansteckungen gibt.


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Zu den Wortneuschöpfungen gesellt sich eine ebenfalls große Gruppe von zusammengesetzten Begriffen, vor allem rund um Covid-19 (z. B. der Covid-19-Leugner) und natürlich Corona.
Wobei es da längst nicht immer eindeutig zu geht.

Die dreifache Bedeutung von "Sex"

So kann Corona-Sex zum einen "Sex mit Schutzkleidung" bedeuten, aber auch "Sex, für den man während der Pandemie mehr Zeit hatte". Sogar eine dritte Bedeutung gibt es hier noch, nämlich "Sex, bei dem man sich mit Corona infiziert".


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Beschäftigt man sich näher mit den Neologismen, kann man aus ihnen Rückschlüsse ziehen, wie Corona die Menschen und die Gesellschaft beeinflusst. So wird deutlich, wie sehr die Pandemie eine Herausforderung für die Gesundheitsbehörden ist und dabei bürokratische Auswüchse gebiert.

Begriffe wie "angepasster Schulbetrieb", "Begegnungsfläche", "Beschränkungskonzept", "Coronahygienepauschale", "Kontakttagebuch", "Coronawarnplattform", "eingeschränkter Regelbetrieb", "Mindestabstandsregelung", "Abstrichkabine" oder "Teilausgangssperre" lassen ahnen, mit welch einem Regelwust Bürger und Institutionen seit Monaten konfrontiert sind – und ein Ende ist im Moment leider immer noch nicht abzusehen.


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Eine andere wichtige Funktion von (Alltags-)Sprache ist, neue Phänomene prägnant, überspitzt oder ironisch formuliert auf den Punkt zu bringen und damit gerade auch den offiziellen Begrifflichkeiten etwas entgegenzusetzen – oder sie sogar zu unterlaufen.

Wir "Zellstoffhamster"

Unter Begriffen wie Zellstoffhamster (Menschen, die Klopapier horten), Balkonklatscher, Coronablockwart, -detektiv oder -kater, Covidiot, Einkaufsheld, Gesichtskondom, Hamsteritis, Homeclubbing, Kneipenbox, Knuffelkontakt, Schniefscham oder Rudelgucken kann sich inzwischen fast jeder etwas vorstellen.

Leben mit "Spuckschutztrennscheiben"

Andere Worte lassen erahnen, wie schwierig das Leben und der Alltag in vielen Situationen geworden sind. Wer möchte sich sonst schon freiwillig mit einer "Ein-Freund-Regel", einem "Wohnzimmer-Workout", und einer "Abstandslinie" beschäftigen. Oder sich mit "digitaler Besucherlenkung", "Einkaufswagenpflicht", "Hust- und Niesetikette", "Selbstisolation", "Strandampeln", "Spuckschutztrennscheiben", "Unterwegsreinigern" oder einem "virtuellen Restaurant" herumschlagen?


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Und ist die Pandemie auch noch so ernst: Wer einen Sinn für Sprachkomik hat, kommt bei einigen der neuen Corona-Begrifflichkeiten auch auf seine Kosten. So sorgt die "Abstandsnudel" für die nötigen 1,5 Meter Distanz im Schwimmbad und ist ein wichtiges Accessoire der "Anderthalbmetergesellschaft".

Dem "After-Corona-Body" gehen Bewegung und der Besuch im Fitnessstudio ab, deshalb hat er so viel "Lockdownspeck" angesammelt. "Dorfscharf" geht es nicht auf einer außer Kontrolle geratenen Coronaparty ab, sondern das meint die Feinjustierung einer Pandemiemaßnahme für eine einzelne Kommune.

Warnung vor Glühweinständen

Und die "Klopapierhysterie" klingt genauso schräg wie manche seltsame journalistische Formulierungen, die vor Corona mit Sicherheit kein Mensch verstanden hätte. "Karl Lauterbach warnt vor Glühweinständen" (Spiegel) paart sich da mit der besorgten Frage: "Kann ich am Montag noch Weihnachtsgeschenke kaufen?" (Bild).

Gefahr auf Friedhöfen

Markus Söder liefert allen, die mit ihrer Familie im Clinch liegen, eine Steilvorlage: "Für ein schönes Weihnachten müssen wir den Lockdown verlängern" (Bild). Der Spiegel raunt "Österreichs Kanzler rät von Friedhofsbesuch ab" und Bild gibt den ultimativen Lockdown-Tipp "Fünf Gründe, JETZT zu masturbieren".

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