Neues BAP-Album: Wolfgang Niedecken hat seinen Ängsten freien Lauf gelassen

16.9.2020, 16:49 Uhr
"Alles fließt" heißt das jüngste Album der Rockgruppe BAP. Passend steht Sänger Wolfgang Niedecken vor dem Fluss seiner Heimatstadt Köln, dem Rhein.

© Oliver Berg, dpa "Alles fließt" heißt das jüngste Album der Rockgruppe BAP. Passend steht Sänger Wolfgang Niedecken vor dem Fluss seiner Heimatstadt Köln, dem Rhein.

Das neue BAP-Album endet mit einem Zitat von Heinrich Böll: „Sie wissen zwar alle, dass ein Clown melancholisch sein muß, um ein guter Clown zu sein. Aber dass für ihn die Melancholie eine todernste Sache ist, darauf kommen sie nicht.“ Was bewog Sie dazu?
Wolfgang Niedecken Das Zitat führt zum ersten Buch, von dem ich mich verstanden fühlte: „Ansichten eines Clowns“. Wir hatten Böll in der Schule durchgenommen. Bis dahin las ich nur Enid Blyton und bis zum Abwinken Karl May. Dann kam dieses Ding. Der Schluss des Albums ist die Umkehrung des Anfangs mit einer Klangcollage zu meinen ersten musikalischen Früherinnerungen: Eine Straßenbahn ist zu hören, die an einer Kirmes vorbeifährt. Der „River-Kwai“-Marsch läuft, „Pack die Badehose ein“ von Cornelia Froboess und ein Kirchenlied, das wir im Internat jeden Abend singen mussten – „Wir sind nur Gast auf Erden.“

Sorgen um die Gegenwart spielen in den Songs eine große Rolle. In „Geisterfahrer“ zum Beispiel.
Niedecken: Als ich anfing, Texte für das Album zu schreiben, legte ich mich quasi beim Psychiater Niedecken auf die Couch – und ließ meine Ängste einfach laufen. Da geht es mir wahrscheinlich wie so manchem: Dass man etwas nicht verdrängt kriegt.

„Ruhe vorm Sturm“ klingt wie die Fortsetzung des BAP-Hits „Kristallnaach“ von 1982.
Niedecken: Ich bin tatsächlich von einer Zeile aus dem Stück ausgegangen. Aber „Kristallnaach“ war surrealistischer. „Ruhe vorm Sturm“ ist total direkt. Es geht um schwarmdemente Spießer, die Despoten an die Macht bringen. Meine Angst, die vor 38 Jahren noch diffus war, ist jetzt konkret.


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Eine Frage des Alters? Nächstes Jahr werden Sie 70.
Niedecken: Du hast halt deine Erfahrungen gemacht. Gute wie schlechte. Als ich jünger war, tat ich vieles eher instinktiv. Jetzt ist es wie in einem Gangsterfilm, in dem einer sagt: Du weißt zu viel. Manchmal hab ich wirklich dieses Gefühl.

Da waren die Zeiten noch Corona-frei: Wolfgang Niedecken mit seiner Band BAP beim Tourstart 2018 in Kempten.

Da waren die Zeiten noch Corona-frei: Wolfgang Niedecken mit seiner Band BAP beim Tourstart 2018 in Kempten. © Karl-Josef Hildenbrand, dpa

Erleben Sie unsere Zeit als Umbruch?

Niedecken: Der Umbruch ist für mich schon eine ganze Zeit lang da. Umbrüche passieren ja nicht von heute auf morgen, sondern nach und nach. Irgendwann geht es um die Frage: Machst du den Umbruch noch mit? Zu Zeiten der Beat-Poeten, Kerouac, Ginsberg und diese Kollegen, da war Bebop das große Ding. Und jetzt? Vielleicht ist ja die Rockmusik auch irgendwann gegessen. Der Tonträgerumsatz bricht fast komplett weg. Wenn du eine Albumband betreibst wie wir, hast du aber von Spotify nichts. Das kommt nicht mal einem Trinkgeld gleich. Wenn wir dennoch ein Album aufgenommen haben, dann, um zu zeigen, dass wir uns noch erneuern können. Dass es den Fun-Faktor noch gibt. Aber großes Geld verdienst du damit nicht mehr.

Live-Spielen fällt auch flach.
Niedecken: Traurigerweise zumindest für die nächste Zeit.

Für 2021 war eine große Jubiläumstournee geplant.
Niedecken: Noch hoffen wir, dass ich meinen 70. Geburtstag am 30. März in der Lanxess-Arena feiern kann. Aber nur, wenn es einen würdigen Rahmen hat. Ich will nicht in einer 18 000er Halle vor 1000 Menschen spielen, die in irgendwelchen Plexiglaskästen sitzen.


Sie haben wahrscheinlich viel Hoffnung und Vorfreude in das nächste Jahr gesetzt.
Niedecken: Noch bin ich insgesamt gelassen. Aber langsam taucht am Horizont tatsächlich auch mal der Gedanke auf: Mist, vielleicht hab ich ja meinen letzten Gig schon gespielt.

Dabei lautet eine Niedecken-Weisheit doch: „Et hätt noch immer joot jejange“.
Niedecken: Für mein Leben bin ich total dankbar. Es ist sensationell gelaufen – inklusiver von ein paar Ups and Downs. Die hat jeder. Ich bin demütig und mir ist bewusst, wie fragil wir alle sind. Könnte ich jetzt überhaupt nicht mehr auftreten, würde es mich also nicht aus der Kurve hauen. Bedauern, ja. Aber letztlich hätte ich ein Einsehen. Ich muss nicht auf Teufel komm raus Konzerte spielen, wo die Leute sich womöglich infizieren. Das wäre zweckgerichteter Optimismus. Aber es lohnt sich auch nicht, schwarz zu malen. Wie hat der Beckenbauer mal gesagt: Schau mer mal, dann sehn mer schon.

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