"Seaspiracy" auf Netflix: Experte ordnet die umstrittene Dokumentation ein

3.5.2021, 14:34 Uhr
 Filmemacher Ali Tabrizi in einer Szene der Dokumentation "Seaspiracy" (undatierte Filmszene). Über die Menge des vertretbaren Fleischkonsums wird in Deutschland und der Welt viel gestritten.

© Lucy Tabrizi, dpa  Filmemacher Ali Tabrizi in einer Szene der Dokumentation "Seaspiracy" (undatierte Filmszene). Über die Menge des vertretbaren Fleischkonsums wird in Deutschland und der Welt viel gestritten.

"Ohne Haie stirbt das Meer. Und ohne das Meer sterben wir." Ein Satz wie eine Machete. Gesagt hat ihn der bereits verstorbene Haischützer Andrew F. Cobb. Die Meere, die Heimat der Haie, sind seit vielen Jahren angekratzt. Der Klimawandel zeigt sich dort "am Anstieg des Meeresspiegels, der Erwärmung des Oberflächenwassers und durch die Versauerung des Meerwassers", schreibt das Umweltbundesamt. Und: Der gestiegene Fischkonsum bedroht manche Bestände.


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Die Netflix Dokumentation "Seaspiracy" (2021) widmet sich dem Thema: Was tut der Mensch den Ozeanen mit der Fischerei an? Der Streifen, der bei Netflix als "enthüllend" beschrieben wird, stammt von Filmemacher Ali Tabrizi und Produzent Kip Andersen. Letzterer hat auch den Film "Cowspiracy" produziert, ein Dokumentarfilm, der die Auswirkung vom Konsum tierischer Produkte auf die Umwelt offen legen soll.

In "Seaspiracy" nimmt der 27-jährige Tabrizi die Zuschauer als Ich-Erzähler mit auf eine Art Aufklärungsreise um die Welt. Die Kernaussage: Die weltweit hohe Nachfrage nach Fisch führt zu einem gewaltigem Ausmaß an kommerzieller Fischerei, die wiederum den befischten Arten auf Dauer schadet und durch den Beifang von Haien und Delfinen die Biodiversität und die Vitalität der Meere verringert.

Ein Meeresbewohner, der vielen Menschen Angst macht. Der Hai. Hier fotografiert vor der Küste Israels. 

Ein Meeresbewohner, der vielen Menschen Angst macht. Der Hai. Hier fotografiert vor der Küste Israels.  © Hagai Nativ, dpa

Die Rezensionen zum Dokumentarfilm: Durchwachsen. Zwar loben viele Kritiker die grundlegende Aufklärungsarbeit, die die Doku zum Beispiel zu den Themen Überfischung, Beifang, Artensterben und Arbeitsbedingungen in der industriellen Fischindustrie macht, doch gebe es eben auch Schattenseiten.

Zitate seien aus dem Kontext gerissen worden, manche Aussagen seien zu ungenau, die Aufmachung des Films sei zu populistisch und propagierend. Die Lösung, die der Filmemacher zum Schluss anbietet, nämlich "keinen Fisch mehr zu essen", sei problematisch, schließlich seien weltweit viele Menschen auf Fisch als Nahrungs- und oder Einkommensquelle angewiesen.

"Die Dokumentaion berichtet sehr einseitig"

Dr. Rüdiger Voss ist Fischereibiologe an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und forschte schon zu diesem Thema, als es Netflix noch nicht gab. Mit Kollegen hat er sich über "Seaspiracy" ausgetauscht.

"Dass plötzlich die Meere und ihre Nutzung der breiten Öffentlichkeit als Thema präsentiert werden, finde ich gut", so Voss. Ansonsten kann er die Kritik verstehen. "Die Dokumentation berichtet sehr einseitig und wirkt manchmal wie ein Werbefilm für vegane Ernährung."


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Trotzdem sei industrielle Fischerei im jetzigen Ausmaß für die Meere ein ernsthaftes Problem. "Als ich 1996 mein Diplom gemacht habe, waren Ost- und Nordsee bereits voll genutzt", erzählt Voss. Viele Fischbestände würden zurückgehen. Schuld sei aber nicht nur die Fischerei. "In der Ostsee leidet zum Beispiel der Dorsch und der Hering. Das führen wir primär auf Klimafaktoren zurück."

Im Oktober 2020 haben die EU-Fischereiminister deshalb beschlossen, die Fangquote des westlichen Herings um 50 Prozent zu senken. Diese Entscheidung sei auf Grund von wissenschaftlichen Empfehlungen gefallen, hieß es in der Pressemitteilung. Der östliche Dorsch dürfe weiterhin nicht gezielt befischt werden. Der Deutscher Fischerei-Verband kritisierte die Maßnahmen damals.

Im Jahr 2020 wurde wegen der Pandemie im Vergleich übrigens weniger gefischt. "Viele der erlaubten Fänge, die in diesem Jahr Überfischung bedeutet hätten, wären damit im nächsten Jahr nachhaltig", erklärte Rainer Froese vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel gegenüber Greenpeace.

Viele Menschen sind vom Fisch wirtschaftlich abhängig

Bei Schollen und Sprotten hingegen konnte die Fangquote für 2021 moderat erhöht werden. Die Quote des westlichen Dorschs wurde ebenfalls um fünf Prozent gesteigert. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sagte zu den Beschlüssen: "Vom Fischfang und vom Angeltourismus hängt die wirtschaftliche Existenz vieler Familien an unseren Küsten ab. Die neuen Fangquoten sind dafür der gemeinsame Nenner. "

Dr. Rüdiger Voss forscht seit Jahren zum Thema Umwelteinflüsse auf die Bestandsdynamik mariner Fische und Fischereimanagement an der Ostsee. 

Dr. Rüdiger Voss forscht seit Jahren zum Thema Umwelteinflüsse auf die Bestandsdynamik mariner Fische und Fischereimanagement an der Ostsee.  © Universität Kiel

Was für die Ost- und Nordsee gilt, trifft auch auf viele andere Teile der Welt zu. Laut dem WWF sind weltweit 800 Millionen Menschen vom Fischfang, der Produktion und dem Verkauf abhängig. Die Fischereiwirtschaft scheint also in der Tat komplexer, als in "Seaspiracy" dargestellt. Trotzdem solle man als Konsument bewusst mit dem Nahrungsmittel Fisch umgehen, so Rüdiger Voss.

Die Fischerei im großen Ausmaß gefährde vor allem die Biodiversität. Ein ganz so düsteres Bild wie "Seaspiracy" will der Fischereibiologe aber nicht zeichnen. Auch würde die Wissenschaft heutzutage vielmehr mit "beiden Seiten", sprich Umwelt- und Naturschützern und Vertretern der Fischwirtschaft, zusammenarbeiten. "Ich und viele andere arbeiten daran, dass wir unseren Kindern und Enkeln eine große Artenvielfalt übergeben können. Das ist meine Hoffnung."

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