Norisring zwischen Klimakrise und Zukunft

Motorsport: Sinnlose Raserei oder eine Fahrt Richtung grünes Auto?

8.10.2021, 06:00 Uhr

Noch zeitgemäß? Autorennen am Norisring gibt es seit 1947.   © Sportfoto Zink / MaWi, NNZ

Auf den Motorsport zu verzichten, sagte Hans-Joachim Bernet, sei "eine moralische Verpflichtung". Man gab sich einsichtig; in Zeiten knapper werdender Ressourcen gelte es, Kraftstoff einzusparen. Motorsport, erklärte Bernet als Präsident der Obersten Nationalen Kommission für den Automobilsport, sei also bis auf Weiteres verboten.

Das war im November 1973, als die Ölkrise das Land im Griff hatte, das Verbot galt nicht lange und war nicht das erste dieser Art. Schon im Juni 1929 hatte, nach einer Reihe schwerer Unfälle, der Freistaat Preußen alle Auto- und Motorradrennen untersagt – für ein paar Monate, bis sich die Ansicht durchsetzte, dass dem Auto die Zukunft gehöre und der Motorsport für die technische Entwicklung unverzichtbar sei.


Das sollte sich als realistische Einschätzung erweisen. Der Siegeszug des Autos war eines der großen Phänomene des 20. Jahrhunderts, der Motorsport faszinierte Millionen Menschen. Wagemutige Helden, der Rausch der Geschwindigkeit, laute, starke Motoren, Benzingeruch in der Luft: Das verband archaische Gefühle mit der Begeisterung für die Möglichkeiten der Moderne.

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Mit schlechtem Gewissen


Es brauchte und braucht kein Benzin im Blut zu haben, wer sich davon berührt fühlte und noch fühlt, fasziniert von der Leidenschaft des Wettkampfs. Aber es muss auch kein Greenpeace-Aktivist sein, wer sich dabei schon seit längerer Zeit mit einem schlechten Gewissen ertappt.


Im 21. Jahrhundert gilt das Auto als Auslaufmodell. In der Europäischen Union verursacht der Straßenverkehr rund 30 Prozent der CO- 2-Emissionen, fast drei Viertel davon entfallen auf das Auto. Ein Verzicht könnte angesichts der Klimakrise wieder zur moralischen Verpflichtung werden. "Das Auto verliert langsam seine dominierende Stellung", konstatiert sogar der ADAC in seiner Studie "Mobilität 2040".

48,25 Millionen Autos im Land


Dem gegenüber stehen jene 48,25 Millionen Kraftfahrzeuge, die im Jahr 2021 in Deutschland zugelassen sind – so viele wie noch nie, etwa 99 Prozent von ihnen mit klassischen Verbrennungsmotoren. Erst kommt das Auto, dann die Moral?


Von der Sorge um die Zukunft war in jüngster Vergangenheit wiederholt die Rede, wenn es um den Nürnberger Norisring und das Speedweekend ging. Die Sorge galt nicht dem Klima und der Umwelt, sondern dem wegen kriselnder Rennserien offen erscheinenden Fortbestand der seit 1947 ausgetragenen Veranstaltung.

Häme gegen Aktivisten


"Ich hoffe, Greta kommt auch", ätzte dann ein Twitter-Nutzer in Anspielung auf die schwedische Klima-Aktivistin, als wenigstens diese Zukunft vorerst gesichert war. Ein anderer fragte hämisch, was wohl die Fridays For Future dazu sagen würden. Im Tenor vieler Reaktionen aus der eingefleischten PS-Fan-Szene klang es so: Den frechen Klima-Kids haben wir’s gezeigt.


Deren Unterstützer hatten 2019 in einem offenen Brief an die Stadt Nürnberg die Frage gestellt, ob das PS-Spektakel, die "Verherrlichung des Autos", noch zeitgemäß sei. Für das Plädoyer, sie abzuschaffen, erhielten sie auch viel Zuspruch.

Der Deutschen liebstes Kind?

Es war eine Diskussion, deren Lautstärke nicht annähernd die der Motoren am Ring erreichte, aber wie interessant die Frage ist, zeigte zum Beispiel eine Flut von Leserbriefen an diese Zeitung. Jenseits aller Polemik konnte man erfahren, wie sich das Verhältnis der Deutschen zu ihrem redensartlich liebsten Kind zu wandeln begonnen hat.


"Man kann ein Auto nicht wie ein menschliches Wesen behandeln, ein Auto braucht Liebe", diesen Satz äußerte einmal Walter Röhrl, "ein Körperteil" nannte er sein Auto. Der Oberpfälzer wird als vernünftiger, geerdeter Mann beschrieben, in den 1970er- und 1980er-Jahren war der Rallye-Pilot einer der besten Autofahrer der Welt. Wie sehr die Deutschen damals ihre Autos liebten, konnte man samstags sehen, wenn sie sie mit einer Hingabe wuschen, die sie anderen ihrer Körperteile nicht angedeihen ließen.

"Heiße Öfen, scharfe Kurven"


Für seine Bewunderer ist der 74 Jahre alte Röhrl bis heute ein PS-Gott, sie verehren ihn für seine Liebe zu Autos, wurden mit ihm alt und erhielten sich jene semi-erotische Beziehung zum Auto, wie sie sich in Miss-Tuning-Kalendern mit doppeldeutigen Titeln wie "Heiße Öfen, scharfe Kurven" noch immer findet. Röhrl hat bestimmt nie einen solchen Kalender besessen, aber die Liebe zum (Renn-)Auto als Mittelpunkt einer klischeehaften Männerwelt mit Boxenludern drumherum wirkt heute auf immer mehr Menschen mindestens naiv – oder so fossil wie die Brennstoffe, die sie verbraucht.


Vom "Weltbild der 50er- und 60er-Jahre" sprach Nürnbergs Frauenbeauftragte Hedwig Schouten, als man 2018 über die Grid Girls am Norisring diskutierte, die leicht bekleideten Komparsinnen für die Boliden. "Es geht nicht um Erotik, sondern um die Liebe zum Motorsport", teilte ein Norisring-Sprecher voller Ernst dazu mit.

Sexistisch und klimafeindlich?

"Reaktionär, sexistisch, klimafeindlich", nannte die "Zeit" in einer Polemik damals den Motorsport; man konnte natürlich auf den Gedanken kommen, es stünden vergleichsweise wenige Enthusiasten am Pranger – stellvertretend für die Halter der 48 Millionen zugelassenen vierrädrigen Klimaschädlinge.


Mutter Ilse gehört zum Team: Lutz Fischer, ein begeisterter Amateur.   © privat, NN

Mit der Selbstverteidigung tut sich der Motorsport schon deshalb schwer, weil seine Faszination immer auch im Irrationalen lag. Heute konstatiert ein vernünftiger Mann wie Bernd Schneider, dass "das Automobil bei der Jugend keinerlei Faszination mehr ausübt", das sagte er vor einem Jahr dem "Donaukurier".

Marken ziehen sich zurück

Schneider ist der Rekordsieger der DTM, der wichtigsten Rennserie am Norisring, natürlich liebt er Autos und findet es anmaßend, sie "in den Dreck zu ziehen". Aber die Frage, ob Motorsport-Spektakel wie der Norisring noch zeitgemäß sind, stellt sich die Branche ja selbst. Die Antwort lautet, natürlich unausgesprochen: Nein, nicht in dieser Form.


Große Marken wie erst Mercedes und dann Audi und BMW sind seit Ende 2018 werksseitig aus der DTM ausgestiegen, VW hat seine Abteilung Motorsport 2020 ganz geschlossen. Es geht nicht um die bekannten Zahlen, nicht um den gegenüber Straßen-Autos bis zu zehnmal höheren CO-2-Ausstoß der Rennwagen.

Klimabilanz eines Inlandflugs

Ein Rennwochenende wie das am Norisring hat etwa die CO-2-Bilanz eines Kurzstreckenflugs, das ist nicht marginal, aber jede Großveranstaltung – ob Autorennen, Open-Air-Konzert oder Kirchentag – hat insgesamt durch an- und abreisende Menschen eine um ein Vielfaches schlechtere Klimabilanz. Würde man den Motorsport verbieten, käme man Klimazielen kaum einen Millimeter näher.


Aber es geht um die "Symbolkraft" des Motorsports, die "weit über seinen tatsächlichen Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft hinausreicht". So formuliert es der Deutsche Motorsport-Bund, der darauf verweist, dass sich Rennserien längst Umweltauflagen gegeben haben. Bloß genügt das nicht, die Automobilbranche ist um ihr Image besorgt, man sah es gerade auf der Internationalen Automobil-Ausstellung, die jetzt "IAA Mobility" heißt – und sich in München als eine Art grüne Woche inszenierte, Fahrräder präsentierte, nachhaltige Verkehrskonzepte, E-Scooter.

Schaefflers Ziel: die E-DTM


Die Branche setzt auf Elektromobilität, auch im Motorsport. Die Schaeffler AG in Herzogenaurach zielt in ihrem Engagement als Zulieferer auf die vollelektronische Zukunft der DTM, die könnte, teilt der Konzern mit, schon 2023 beginnen. Viele Experten halten den Elektroantrieb indes nicht für eine längerfristig taugliche Lösung, solange nicht klar ist, woher der Strom kommen soll.


Und Motorsport findet, wie Fußball, vor allem in der Breite, fernab der großen Bühnen statt. Da trifft man eine Szene, in der sich keineswegs rückständige Umwelt-Ignoranten versammeln, es sind Männer – und Frauen – die eine Leidenschaft verbindet und die sich auch fragen, wie es wohl weitergeht. "Natürlich", sagt Lutz Fischer, "schlagen da zwei Seelen in meiner Brust."

"Ob unser Sport noch in die Welt passt?"


Lutz Fischer ist seit Jahrzehnten Rennfahrer, ein begeisterter, ambitionierter Amateur, er fährt internationale GT-3-Rennen in einem Porsche 911, zu seiner Boxen-Crew gehört seine Mutter Ilse, mit der ihn auch die Liebe zur Natur verbindet. "Die Frage, ob unser Sport noch in die Welt passt", hält er für berechtigt, "unsere Autos sind ja alles andere als energie- und umweltschonend."


"Andererseits: Es ist mein Sport, mein Hobby", sagt der 57 Jahre alte Ingenieur aus Erlangen, "und der Motorsport war und ist ein Innovationsträger für eine nachhaltigere Entwicklung." Ausschließlich Elektro-Autos hält auch Fischer für die falsche Strategie, er denkt an synthetische Energie aus nachwachsenden Rohstoffen, "nur darf das nicht auf Kosten der Ernährung in den Produktionsländern gehen".

Anfeindungen? Nein, keine


Auch darüber reden sie im Fahrerlager. "Gefühlt weniger Leute", meint Fischer, würden sie in der Szene, aber wohl eher nicht wegen der Klimakrise, "wir sind noch mit dem Schrauben groß geworden, die Jüngeren interessiert anscheinend mehr die Optik." Auf Ablehnung oder gar Anfeindungen, erzählt er, stoßen sie nicht, Beschwerden gebe es an einzelnen Kursen nur über den Lärm, "aber es sind nicht weniger Zuschauer geworden". "Unter dem Radar der Öffentlichkeit", sagt Fischer, komme man vor Ort gut miteinander aus.


Ob er am Wochenende zum Norisring kommt? Vielleicht, sagt Lutz Fischer. Vielleicht geht er, wenn das Wetter passt, aber lieber zum Wandern in die Fränkische Schweiz.