Risikoforschung

Flugzeug, Terror, Kugelschreiber - Wie tödlich ist das Leben wirklich?

Isabel Pogner

Online-Redaktion

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29.10.2022, 05:55 Uhr
Wie wahrscheinlich ist es zu sterben? Eine mathematische Frage. 

© Boris Roessler, dpa Wie wahrscheinlich ist es zu sterben? Eine mathematische Frage. 

Ein 25 Jahre alter Mensch hat in Deutschland an einem normalen Tag eine Wahrscheinlichkeit von einem Mikromort, zu sterben. Das ist so wahrscheinlich wie die Chance, beim Münzwurf 20 Mal hintereinander Kopf zu werfen, erklärt das ARD-Netzwerk Funk. Mikromort ist die Einheit für die Wahrscheinlichkeit dafür, an einem Tag oder bei einem Ereignis das Zeitliche zu segnen. Nämlich im Falle des 25-Jährigen 1:1 Million.

Am sichersten lebt es sich, gemessen am Alter, mit zehn Jahren. Da liegt die Sterbewahrscheinlichkeit bei 0,25 Mikromort. Die meisten schweren Kinderkrankheiten sind in dem Alter durch, im Straßenverkehr passen die Älteren gut auf die Kinder auf und der jugendliche Leichtsinn setzt auch erst später ein. Mit 35 liegt die Wahrscheinlichkeit bereits bei 3 und verdoppelt sich danach alle sieben Jahre. Mit 60 sind es 28 Mikromort, mit 80 sind es 210 und mit 100 Jahren stattliche 1300 Mikromort.

Mit null Jahren übrigens auch. "Der Tag der Geburt ist das Riskanteste, was die meisten je erleben", sagt Christian Hesse im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Er ist Mathematikprofessor und Risikoforscher. Aber auch alle weiteren Geburtstage sind gefährlich: "Große Studien zeigen, dass am eigenen Geburtstag das Sterberisiko gegenüber anderen Tagen des Jahres um satte 14 Prozent erhöht ist", erklärt Hesse. Grund seien emotionaler Stress und übermäßiger Alkoholkonsum.

Sport ist Mord

Drogen, wer hätte es gedacht, sind gefährlich. Wer regelmäßig Ecstasy nimmt, erhöht sein Sterberisiko um 1,7 Mikromort, bei drei Zigaretten oder zwei Gläsern Rotwein am Tag um 2. Bei Heroin sind es ganze 380 Micromort. Natürlich gilt auch hier: Die Menge macht das Gift. Eine Zigarette verkürzt das Leben laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) um etwa sieben Minuten - das addiert sich. Aber nicht nur Drogen, sondern auch Sport ist Mord. Zumindest Extremsport: Einmal Fallschirmspringen hat beispielsweise 10 Mikromort, die Besteigung des Mount Everest ganze 35.000.

Arztbesuche schlagen ebenfalls zu Buche: Unter Narkose liegt die Sterbewahrscheinlichkeit bei 10 Mikromort. Bei einem Kaiserschnitt bei 170, wer eine Bypass-OP am Herzen bekommt, hat etwa eine Sterbewahrscheinlichkeit von 16.000 Mikromort. Den Arzttermin zu schwänzen ist aber auch nicht gesundheitsfördernder.

Ebenfalls große Sicherheitsunterschiede gibt es im Verkehr: Am geringsten tödlich ist das Fliegen. Um auf ein Mikromort zu kommen, müsste man 12.000 Kilometer mit dem Flugzeug zurücklegen, 10.000 Kilometer Bahn fahren, 500 Kilometer Auto- oder 23 Kilometer Motorrad fahren. Am gefährlichsten ist das Radeln: Mit gerade mal 15 Kilometern kommen die Verkehrsteilnehmer auf ein Mikromort. Laut Funk liege das daran, dass das Rad am wenigsten individuelle Sicherheitsvorkehrungen biete.

Tod durch Kugelschreiber?

Der Mathe-Professor Hesse unterschiedet zwischen kurzfristigen und nachhaltigen Risiken. Die Mikromorts des Motorradausflugs verschwinden am Abend nach wieder, die Mikromort durch eine Zigarette verkürzt das Leben aber statistisch gesehen dauerhaft um eine halbe Stunde. Insgesamt wird den Deutschen in erster Linie der eigene Lebensstil zum Verhängnis. Tödliche Spitzenreiter sind laut statistischem Bundesamt Herzkrankheiten.

Einige Studien belegen, dass es Menschen schwerfällt, Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen. Ein Beispiel: Was ist wahrscheinlicher - eine Sechs zu würfeln oder in einem Raum mit 23 Personen zwei Menschen zu finden, die am gleichen Tag Geburtstag haben? Tatsächlich letzteres - mit über 50 Prozent Wahrscheinlichkeit. Die Chance auf die 6 liegt hingegen nur bei 17 Prozent.

Auch die Bewertung von Risiken fällt den Deutschen schwer: Im Jahr 2017 hatten bei einer repräsentativen Umfrage 70 Prozent der Befragten Angst vor einem Terroranschlag. Durch Terror kommen in Deutschland aber weniger als zehn Personen im Jahr ums Leben. 30 mal so viele sterben hingegen, weil sie an Kugelschreibern herumkauen, Plastikteile einatmen und ersticken. Aber wer zerbricht sich schon den Kopf über "Tod durch Kugelschreiber"?