Nürnberger Ernährungsexperte zu Fleischkonsum: "Darm macht da keinen Unterschied"

10.7.2020, 10:15 Uhr
"Branchengespräch" von Julia Klöckner: Eine Greenpeace-Aktivistin tut ihre Meinung kund. Seit dem Tönnies-Skandal steht die Fleischindustrie in der Kritik. Was sagt ein Ernährungsexperte zu diesem Thema?

© Federico Gambarini, dpa "Branchengespräch" von Julia Klöckner: Eine Greenpeace-Aktivistin tut ihre Meinung kund. Seit dem Tönnies-Skandal steht die Fleischindustrie in der Kritik. Was sagt ein Ernährungsexperte zu diesem Thema?

Hubert Aiwanger meinte kürzlich, eine vegane Ernährung wäre nichts für den Bauarbeiter, weil der sonst vom Gerüst fallen würde. Was halten Sie von solchen Aussagen?

Alexander Dechêne: Das sind erstmal nur Schlagworte, die nicht wissenschaftlich fundiert sind. Der körperlich hart arbeitende Mensch verbraucht auf jeden Fall mehr Kalorien als der Büromensch. Ob diese Kalorien nun mit Fleisch ausgeglichen werden müssen, ist eine Frage, die so nicht untersucht ist. Wenn ich mehr Kalorien verbrauche, sollte ich auch mehr Eiweiß aufnehmen, welches eben zum Beispiel in Fleisch viel enthalten ist.

Geben aber nicht gerade Kohlenhydrate die Kraft?

Dechêne: Das kann man so nicht sagen. Kohlenhydrate sind schnell verfügbare Energieträger, aber aus Kohlenhydraten allein baut man keine Muskeln auf. Gut die Hälfte der täglich aufgenommenen Kalorien sollte aus Kohlenhydraten stammen. Ich bleibe bei dem Vergleich mit dem Bauarbeiter: Dieser muss logischerweise mehr Kohlenhydrate essen – aber eben auch mehr Fett und Eiweiß.

Mit Clemens Tönnies und seiner Fleischfabrik gab es nun den nächsten Skandal, der die Öffentlichkeit über Fleischkonsum diskutieren lässt. Trotzdem essen es viele Menschen weiterhin.

Dechêne: Beim aktuellen Fleischskandal dreht es sich ja nicht ums Fleisch, sondern um die Arbeitsverhältnisse der Arbeiter. Dass das Ganze in einer Fleischfabrik aufgetreten ist, macht es nicht appetitlicher. Alle Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre, und da haben wir ja fast jedes Jahr einen, haben nicht dazu geführt, dass ein einzelnes Lebensmittel deutlich weniger konsumiert wird. Insgesamt sinkt der Pro-Kopf-Konsum von Fleisch in den letzten Jahren aber ganz langsam.

Prof. Dr. med. Alexander Dechêne ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, mit den Schwerpunkten Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie an der Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität im Klinikum Nürnberg.

Prof. Dr. med. Alexander Dechêne ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, mit den Schwerpunkten Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie an der Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität im Klinikum Nürnberg. © Foto: Klinikum Nürnberg

Trotz des Ekelfaktors wird das Fleischessen also nicht drastisch reduziert, wie man es vielleicht müsste.

Dechêne: Müsste man denn? Es kommt ja nicht alles Fleisch aus genau dieser Fabrik. Wenn man auf jeden Skandal der vergangenen 30 Jahren mit einem Totalverzicht reagiert hätte, fallen einem nur noch wenig Lebensmittel ein, die man essen könnte. Fleisch nimmt da keine Sonderstellung ein.

Was passiert eigentlich im Körper, wenn ich jeden Tag viel Fleisch esse?

Dechêne: Erstmal passiert gar nichts Schlimmes. Fleisch ist kein Nahrungsmittel, das auf kurze Zeit krank macht. Wenn man sich die Empfehlungen der entsprechenden Gesellschaften ansieht, sieht man, dass man Eiweiß von den drei Ernährungsbausteinen, sprich Kohlenhydrate, Eiweiß und Fett, kalorienmäßig am wenigsten zu sich nehmen sollte.Man würde also das Gleichgewicht durcheinanderbringen. Auch sind die Langzeitfolgen nicht so spezifisch untersucht, dass man die Wahrscheinlichkeit von Folgen für den Einzelnen ganz genau bestimmen könnte. Man kann immer nur untersuchen, wie es um die Gesundheit von Menschen mit diesem oder jenem Lebensstil bestellt ist. Da geht es aber nie nur ums Fleisch alleine. Manche Ernährungsgewohnheiten gehen oft mit anderen Gewohnheiten einher.

Ist weniger Fleisch also gesünder?

Dechêne: Für den Einzelnen kann man das so überhaupt nicht sagen. Es gibt Empfehlungen, wie viel Fleisch tatsächlich gesundheitsfördernd oder mit einer balancierten Ernährung gut vereinbar ist. Manche Menschen essen weniger Fleisch, diese leben aber deshalb nicht automatisch gesünder.

Könnte man das denn über Zucker sagen?

Dechêne: Nein, kann man auch nicht. Die Dosis macht das Gift. Zucker ist ein Kohlenhydrat. Ein Teil unserer Ernährung kann und sollte aus schnell verfügbaren Kohlenhydraten bestehen. Sie werden jetzt allerdings keine negativen Folgen erleben, wenn sie Haushaltszucker reduzieren und sich ansonsten balanciert ernähren.

"Darm macht da keinen Unterschied"

Kann denn unser Körper zwischen Billig- und Qualitätsfleisch entscheiden?

Dechêne: Das ist relativ gut belegt. Wenn das Fleisch die gleiche Nährstoffzusammensetzung hat, macht das für den Körper überhaupt keinen Unterschied, woher es kommt. Das eine schmeckt vielleicht besser, aber der Darm, der die Nährstoffe aus dem Gegessenen herauszieht, macht da keinen Unterschied.

Warum fällt es den Menschen so schwer, mehr Pflanzen zu essen?

Dechêne: Es gibt ja mittlerweile mehr Vegetarier und Veganer, die ihre Energie fast ausschließlich aus Pflanzen ziehen, da ist also eine Veränderung erkennbar. Die Empfehlung fünfmal am Tag Obst und Gemüse zu essen, ist manchmal einfach nicht so leicht einzuhalten. In Kantinen gibt es zum Beispiel viel verarbeitete Lebensmittel. Die habe ich nicht zubereitet, da weiß ich nicht, was drin ist.

Die Kantinen waren ja jetzt erstmal zu. Sehen Sie es als Chance, dass die Menschen in den vergangenen Wochen zuhause kochen mussten?

Dechêne: Ich meiner eigenen Familie konnte ich das beobachten. Da wurde dann noch mehr zuhause gekocht, als sonst schon. Und wer selbst kocht, hat meist weniger verarbeitete Lebensmittel auf dem Teller.

Ernährungsmythen halten sich meist lange

Es gibt unheimlich viele Ernährungsmythen, die sich hartnäckig halten. Wie können Laien da überhaupt den Durchblick behalten?

Dechêne: Man soll sich erstmal nicht verunsichern lassen. Das beste Beispiel ist zum Beispiel das Eisen und der Spinat, das hat so einfach nicht gestimmt. So ist es mit vielen anderen Mythen auch. Manche Menschen machen sich zu viele Gedanken übers Essen, andere manchen sich zu wenig Gedanken. Da gibt es einen gesunden Mittelweg. Es gibt genügend Wege sich zu informieren. Das Thema ist populärwissenschaftlich geworden, jede Koch-Show kann heute Ernährungstipps geben. Mittlerweile weiß jeder, dass eine mediterrane Kost mit viel Gemüse, ein wenig Fleisch und ungesättigten Fettsäuren, als sehr gesunde Ernährungsform gilt.

Gerade auf Instagram und Co. gibt es einen riesigen Markt für populärwissenschaftliche Ernährungstipps. Jeder scheint dort Fitness-Experte zu sein, gleichzeitig werden die Deutschen statistisch gesehen immer dicker. Wie erklären sie sich diese zwei Welten?

Dechêne: Diese Hochglanz-Menschen entfernen sich natürlich ein Stück weit von der Realität. Man darf auch nicht vergessen, dass diese Menschen von ihrem Aussehen auch ein Stück weit leben. Grundsätzlich nehmen viele Menschen mehr Kalorien zu sich, als sie eigentlich brauchen. Der menschliche Körper ist eben noch auf die Steinzeit programmiert. Der Mensch nimmt zu, da der Körper die überschüssige Energie auf die Seite legt, für schlechte Zeiten.


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Was raten Sie Ihren Patientinnen und Patienten?

Dechêne: Wenn man kein krankes Organ hat, kann man eine völlig normale Ernährung durchführen. Man kann Vegetarier sein oder Fleisch essen, das ist beides kein Problem. Letztendlich geht die Empfehlung eben zu der richtigen Zusammensetzung der Nährstoffe. Wenn man einen Bürojob hat und nur 2500 Kalorien am Tag braucht, sollte man keine 5000 Kalorien am Tag essen. Dazu kommen Genussmittel wie Alkohol, die die Kalorien dann schnell ansteigen lassen. Man kann weder Kohlehydrate, noch Fett, noch Eiweiß pauschal als gesund oder ungesund hinstellen – der Mix macht es.

Sie sind offensichtlich nicht übergewichtig. Halten Sie sich selbst an das, was Sie Ihren Patienten raten?

Dechêne: Ich zähle meine Nahrungsbestandteile nicht. Was ich hier beschreibe, sind Empfehlungen der deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin. Meine Kinder lieben Kartoffelpüree, das gibt es dann manchmal abends mit Spiegelei. Insgesamt gilt bei uns zuhause die Regel möglichst viel selbst herzustellen. Es gibt auch mal eine Grillwurst, aber eben nicht ohne pflanzliche Beilage. So stellt man sich sein Essen automatisch relativ gesund zusammen. Den Kindern muss man das eben erstmal beibringen.

Wie kann man Kindern das beibringen?

Dechêne: Man hat natürlich eine Vorbildfunktion. Wenn ich möchte, dass meine Kinder mit ihrer Ernährung langfristig keine Fehler machen, muss ich ihnen zeigen, wie unverarbeitete Lebensmittel aussehen und was man damit machen kann. Ab und zu Chips zu essen ist kein Problem, solange die Kinder wissen, dass dies nicht die einzige Art ist, eine Kartoffel zu essen.

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