Tipps für die Ampel

Das sollte Scholz lesen: Die Geheimnisse guten Sondierens

7.10.2021, 15:43 Uhr
Er befasst sich mit den Themen Sondieren und Koalieren: Martin Gross aus München.

© e-arc-tmp-20210915_161022-1.jpg, NN Er befasst sich mit den Themen Sondieren und Koalieren: Martin Gross aus München.

Herr Gross, die Parteien haben jetzt die „Vorsondierung“ hinter sich, sie sind gerade eben zur „Sondierung“ gewechselt, um dann vielleicht zu den Koalitionsverhandlungen überzugehen. Ganz schön kompliziert, diese Partnersuche.

Martin Gross: Die Deutschen mussten sich in den zurückliegenden Jahren erst an derartige formale Abläufe gewöhnen. Früher war es eindeutig, welche Lager es gibt und dann fanden sich die Koalitionen mehr oder weniger automatisch. Das änderte sich 2017 mit den ersten Jamaika-Sondierungen zwischen Union, FDP und Grünen. In anderen Ländern wie den Niederlanden und Belgien ist der Ablauf noch stärker geregelt. Da gibt es zum Beispiel den „Formateur“ – die stärkste Partei, die zu Gesprächen einlädt – und den „Informateur“ – einen unbeteiligten, oft älteren Politiker, der den Prozess begleitet.

Sind wir also im internationalen Vergleich etwas zu zimperlich, wenn wir über die Dauer solcher Verhandlungen jammern?

Gross: Ja, niederländische Kollegen haben sich nach der Wahl etwas darüber amüsiert, welche „Probleme“ wir haben. Dort gibt es 12 oder 13 Parteien, die miteinander koalieren können. Von außen betrachtet geht es bei uns noch sehr übersichtlich zu. Ich würde den deutschen Sondierungen eine gute Stilnote geben. Niemand stellt den Wahlprozess in Frage, man geht vernünftig miteinander um und schaltet aus dem Wahlmodus schnell in den Verhandlungsmodus. Für ein Problem halte ich unsere vergleichsweise kurze Legislaturperiode von vier Jahren, denn es gehen erst Monate für die Koalitionsfindung verloren und dann passiert auch im Wahljahr selbst nicht mehr viel. Da bleiben nur noch zwei, zweieinhalb Jahre für das Regieren.

Wird es künftig bei uns der Standard sein, dass drei oder mehr Partner miteinander verhandeln?

Gross: Viele sagen ja, die Zeit der Zweierkoalitionen sei endgültig vorüber. Aber wenn Sie sich mal die Bundesländer ansehen, wo Manuela Schwesig gerade erst beinahe 40 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern geholt hat, bin ich da etwas vorsichtiger. Außerdem waren es bei uns auch früher schon mehr Beteiligte. Ich spreche gerne von zweieinhalb Parteien, weil ja zuletzt bei der GroKo CDU, SPD und CSU verhandelten.

Wird es zu dritt automatisch komplizierter als zu zweit?

Gross: Das ist schon so. Denn bei der Ampel ist ebenso wie bei Jamaika stets ein Partner dabei, der aus dem anderen Lager kommt.

Die Verhandlungen dauern immer länger, die Koalitionsverträge sind so dick wie ein Taschenbuch. Muss das so sein?

Gross: Es gibt zwei Modelle. Man legt detailversessen sehr vieles fest, um dann später aus den Ressorts, die an die Partner gegangen sind, keine bösen Überraschungen zu erleben. Oder man lässt kritische Punkte weg. Das war zum Beispiel in Frankfurt so, wo sich CDU und Grüne einfach nicht zum Flughafenausbau als wichtigstem kommunalpolitischen Thema äußerten. Keine der beiden Methoden ist automatisch die bessere.

Grundsätzlich kann man Sondierungs- und Koalitionsgespräche nach der Dauer der Verhandlungen, dem Umfang des Vertragstextes und der Zahl der Beteiligten betrachten. Was ist wichtig?

Gross: Die Zeit halte ich für den am wenigsten bedeutenden Faktor. Der Vertragstext ist zwar wichtig, wird aber häufig von den Ereignissen während der Regierungszeit überholt. Siehe Finanzkrise, Flüchtlingskrise oder Corona-Pandemie. Aber das gegenseitige Vertrauen der beteiligten Personen kann man nicht hoch genug einschätzen. Es ist immer die Rede davon, das Personal komme als letztes. Aber das stimmt nicht, denn die Politikerinnen und Politiker wissen oder ahnen ja schon, welche Ministerien sie übernehmen könnten und verhandeln insofern auch für ihre eigenen Interessen.

Hat die FDP als kleinster Partner einer Ampel die schlechtesten Karten?

Gross: Nicht unbedingt. Wir Wissenschaftler sprechen von der „Strength of weakness“, der „Stärke aus der Schwäche“. Christian Lindner kann immer wieder darauf hinweisen, dass er seine Partei von den gefundenen Kompromissen überzeugen muss – bis hin zu einer abschließenden Abstimmung über die Koalition. Das schafft Drohpotenzial.

Ist die Ampel mehr oder weniger schon „durch“?

Gross: Ich halte sie schon für sehr wahrscheinlich, weise aber darauf hin, dass eine rasch neu sortierte Union schon noch ins Spiel kommen könnte, etwa mit Persönlichkeiten wie Markus Söder oder Norbert Röttgen. Danach sieht es aber im Moment nicht aus. Ich denke für die Ampel wird es entscheidend sein, ob die Parteien letzten Endes wirklich über die Klippe springen und sich zueinander bekennen. Das könnte meines Erachtens beim Beginn der Koalitionsgespräche der Fall sein.

Was ist die wichtigste Regel für solche Verhandlungen?

Gross: Als das absolute „No Go“ würde ich die Verletzung der Vertraulichkeit bezeichnen. Wenn schon bei der Sondierung Inhalte „durchgestochen“ werden, wie soll ich dann als Partner auf einen vertraulichen Umgang während der späteren Regierungszeit hoffen dürfen?

Trotzdem hat die Union während ihrer kurzen Sondierungsversuche mit den „Durchstechereien“ begonnen. Wie kann das passieren?

Gross: Das war zum einen Absicht, also ein bewusstes Stören der Gespräche durch einzelne Akteure – und zum anderen zeigt es, wie sehr die Union durch die dramatisch schlechten Wahlergebnisse aus dem Tritt gekommen ist.

Helfen konkrete Verhaltensregeln etwas?

Gross: Das kann durchaus sein. Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass beim ersten Gespräch von Grünen und FDP die Handys weggelegt wurden. Die Tatsache, dass es keine Parallelverhandlungen mit der Union geben soll, würde ich zu den empfehlenswerten Maßnahmen zählen. Auch die vergleichsweise kleine Gruppe, mit der Olaf Scholz zunächst erschien, war ein kluger Schachzug.

Wie forscht man eigentlich über Sondierungs- und Koalitionsgespräche, Herr Gross?

Gross: Wir sind als Wissenschaftler(innen) ja leider bei den Verhandlungen nicht dabei, das ist ein gewisses Handicap. Insofern war das Problem von Jamaika 2017, also die vielen Durchstechereien, für uns ein Segen. Manchmal erhellt sich auch viel später, nach der Veröffentlichung von Politikerbiografien, noch einiges.

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