Ein Jahr nach NSU-Prozess: Das Helfer-Netz ist nicht enttarnt

11.7.2019, 09:36 Uhr
Die Tatorte des NSU sind in ganz Deutschland verteilt, die Straßennamen dauerhaft mit den Morden verbunden. In Nürnberg wurde immer wieder mit Aktionen rund um die Tatorte der Getöteten gedacht und die vollständige Aufklärung der Taten gefordert.

© Michael Matejka Die Tatorte des NSU sind in ganz Deutschland verteilt, die Straßennamen dauerhaft mit den Morden verbunden. In Nürnberg wurde immer wieder mit Aktionen rund um die Tatorte der Getöteten gedacht und die vollständige Aufklärung der Taten gefordert.

Clemens Binninger hat sich die Orte des Verbrechens in Nürnberg genau angesehen. Hier hat der selbsternannte Nationalsozialistische Untergrund 1999 einen Bombenanschlag in einer Kneipe in der Scheurlstraße verübt und den jungen Wirt schwer verletzt, hier hat er im Jahr 2000 den Blumenhändler Enver Simsek erschossen, 2001 den Nebenerwerbsschneider Abdurrahim Özüdogru getötet, 2005 dann den Imbissbetreiber Ismail Yasar in seiner Dönerbude. In keiner anderen Stadt in Deutschland schlug die rechtsradikale Terrorzelle um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe so oft zu.

Warum? Wer half dabei? Für Clemens Binninger, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und Innenpolitiker, der von 2015 bis 2017 den zweiten Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag zum NSU leitete, sind genau dies die drängenden Fragen, die auch ein Jahr nach dem Urteil gegen Beate Zschäpe auf Beantwortung warten. Es gebe zwar vom NSU erstellte Listen mit rund 10.000 Adressen, darunter sei aber kein einziger späterer Tatort enthalten.

Lediglich mit zwei Tatorten lasse sich eine Markierung auf einem Stadtplan, den man beim NSU gefunden hatte, beziehungsweise eine handschriftliche Adresse mit Skizze in Verbindung bringen, sagt Binninger, der vor seiner Zeit im Parlament 23 Jahre Polizist war.

Wie es zur Auswahl der Tatorte und der Opfer kam, sei bis heute nicht geklärt. Dies und die Tatsache, dass an keinem einzigen Tatort DNA-Spuren von Mundlos oder Böhnhardt gefunden wurden, sind für Experte Binninger Hinweise dafür, dass die Mörder nicht alleine gehandelt haben können.

Die Anfänge lagen in Nürnberg

Auch die 13 Jahre, die das NSU-Kerntrio untergetaucht war, ließen nach wie vor Fragen offen, sagt Binninger. "Warum blieben die drei unter falscher Identität weiter im Untergrund, obwohl der Haftbefehl wegen des Sprengstoffdeliktes gegen sie wegen Verjährung im Jahr 2003 aufgehoben worden war?", fragt sich der Ex-Polizist.


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Was hat das Trio nach Ende der Mordserie im Jahr 2007 bis zum Auffliegen der Terrorzelle 2011 gemacht? Auch über diese Zeit haben die Fachleute heute keine Erkenntnisse. Clemens Binninger zieht eine traurige Bilanz: "Von den 13 Jahren, die die drei von 1998 bis 2011 verschwunden waren, wissen wir gerade mal über 200 Tage verlässlich Bescheid."

Waffe für die Mordserie besorgt

Ein wenig Licht in die dunkle Vergangenheit bringt ein Blick auf die Anfänge, denn hier führen viele Spuren des Trios nach Nürnberg: Ein ehemaliger Führungskader der fränkischen Neonazi-Szene, den das gemeinsame Rechercheteam der Nürnberger Nachrichten und des Bayerischen Rundfunks ausfindig gemacht hat, berichtete, dass bei einem Treffen der zersplitterten Rechtsradikalen-Szene 1995 in der Nürnberger Gaststätte "Tiroler Höhe" neben "Böhni, Mundi und der Beate aus Jena" auch Ralf Wohlleben mit am Tisch gesessen habe. Er hat den dreien später die Waffe für die Mordserie besorgt, ebenso war Holger G. mit dabei, der die Täter im Untergrund mit falschen Papieren ausgestattet haben soll.


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Das Bekenntnis: Diese DVD wurde bei den Nürnberger Nachrichten abgegeben.

Das Bekenntnis: Diese DVD wurde bei den Nürnberger Nachrichten abgegeben.

Das Kerntrio, Wohlleben und Holger G. schlossen sich ein Jahr später dem Neonazi Tino Brandt und seinem "Thüringer Heimatschutz" an, der als Keimzelle des NSU gilt. Die Thüringer besuchten ihre fränkischen Freunde nach dem "Kennenlernen" regelmäßig. Beliebter Unterschlupf war, so sagt der Insider, eine Wohnung in der Marthastraße in Nürnberg-Mögeldorf. Auch Beate Zschäpe habe sich hier ab und an aufgehalten. Ebenso soll hier von Zeit zu Zeit der US-amerikanische Neonazi und Holocaust-Leugner Gary Lauck abgestiegen sein und Geld hinterlassen haben, von dem die Miete beglichen und große Partys gefeiert worden seien. Die Scharrerstraße, in der Ismail Yasar seinen Imbiss betrieben hatte, ist nicht allzu weit von dieser Wohnung entfernt.

Das Umfeld:

Als zentrale Figur in der bundesweiten Neonazi-Szene galt bereits damals der wegen verschiedener Gewaltdelikte und Volksverhetzung vorbestrafte Matthias Fischer, der lange Zeit in Fürth-Stadeln lebte, ehe er 2014 wieder in seine brandenburgische Heimat zog. Er soll, so schildert es der Neonazi, den das NN-BR-Rechercheteam ausfindig gemacht hat, mit Gesinnungsgenossen über Anschlagspläne gesprochen haben. Man habe überlegt, mit Panzerfäusten den Nürnberger Justizpalast "wegzuschießen". Dazu kam es zum Glück nicht, dafür explodierte 1999 in der Pilsbar "Sonnenschein" in der Scheurlstraße eine mit Sprengstoff präparierte Taschenlampe und verletzte den türkischen Wirt schwer — die erste Tat des NSU in Nürnberg, wie sich im Zschäpe-Prozess herausstellte.

Der Wirt erkannte auf Fotos von Beschuldigten und Verdächtigen im NSU-Verfahren, die ihm das Bundeskriminalamt im Jahr 2013 vorlegte, die Sächsin Susann E. wieder. Sie gilt als enge Freundin von Beate Zschäpe. Während ihr Mann André E. im Münchner NSU-Prozess wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurde, stockt das Verfahren gegen Susann E.. Auf dem Computer der E.s waren Stadtpläne von Nürnberg entdeckt worden.

Mandy S. ermöglichte ein Abtauchen

Die Sächsin Mandy S. trat nicht nur der rassistischen Vereinigung von André E. bei, der "Weißen Bruderschaft Erzgebirge", sie unterhielt auch gute Kontakte nach Franken. Wie das NN-BR-Rechercheteam aufdeckte, nahm sie an Veranstaltungen von Rechtsextremen in Fürth und Gräfenberg teil und besuchte eine Schulung der inzwischen verbotenen Fränkischen Aktionsfront (FAF), die der Neonazi Matthias Fischer aufgebaut hatte. Am 14. Juli 2001, vier Wochen nach dem Mord an Abdurrahim Özüdogru in Nürnberg, verteilte Mandy S. mit dem verurteilten Holocaust- Leugner Gerhard Ittner Flugblätter beim "Schlesiertreffen" vor dem Messegelände in Nürnberg.

Ein Jahr später zog Mandy S. nach Büchenbach bei Roth und absolvierte im örtlichen Schützenverein Schießübungen. Auch der Wohnwagen des Trios soll in Büchenbach gesichtet worden sein, doch die Beweise dafür fehlen. Jedoch benutzte Beate Zschäpe danach mehrfach die Identität der ihr ähnlich sehenden Frisörin. Zudem fand man bei Zschäpe einen (gefälschten) Ausweis des "Tennis Club Groß-Gründlach e.V.", ausgestellt auf Mandy S..

Sie war eine wichtige Helferin: Mandy S. hatte Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe 1998 in der Wohnung ihres damaligen Freundes in Chemnitz einquartiert und so ein Abtauchen ermöglicht. 

Die weiteren Spuren: 

Unklar ist, welche Rolle David F. gespielt hat. Der 43-Jährige aus Thüringen lebte 1995 bis 1998 in der Pirckheimer Straße in Nürnberg. Unmittelbar vor dem Verschwinden des Trios hatte er ein Verhältnis mit Beate Zschäpe. Womöglich fand das Trio später zeitweise Unterschlupf in F.s Nürnberger Wohnung. F. gehörte zum NSU-Umfeld. Er ist der Schwager von Ralf Wohlleben, der im NSU-Prozess wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt worden ist. Als Wohlleben in U-Haft saß, prangte auf F.s Facebook-Seite der Button "Freiheit für Wolle". "Wolle" ist Wohllebens Spitzname.

 Auch die Verbindungen des Nürnbergers Christian W. zum NSU sind nicht geklärt. Der ehemalige führende Kopf der Fränkischen Aktionsfront soll der Frisörin Mandy S. eine Bombenbauanleitung gegeben haben. Und er soll am Stand des ersten Opfers Enver Simsek mehrere Wochen vor dem Mord Blumen gekauft haben.

Auch der Nürnberger Jürgen F. ist eine mysteriöse Figur. Er soll Kontakt zum NSU-Umfeld gehabt haben und war von Ismail Yasar wegen Sachbeschädigung angezeigt worden. Acht Monate später war Yasar tot. Reiner Zufall?

Die Opferanwälte: 

Opferanwalt Mehmet Daimagüler ist davon überzeugt, dass der NSU seine Verbrechen nicht ohne Helfer begangen hat. "Ich habe aber nicht den Eindruck, dass der Generalbundesanwalt und sonstige Staatsanwaltschaften mit Hochdruck ermitteln würden." Das sieht auch Opferanwalt Sebastian Scharmer so. "Es gibt viele Anhaltspunkte dafür, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nicht alleine gehandelt haben. Insbesondere müssen sie sich mit knapp 20 Waffen ausgestattet haben. Das geht nicht ohne Helfer. Auch die spezifische Auswahl der Opfer lässt nur den Schluss zu, dass diese vorher ausspioniert worden sind", so der Jurist.

Scharmer kritisiert die Festlegung der Ermittler auf die "Trio-These". Das sei sehr bequem. "Sie verklärt das Problem von organisierten Neonazi- Strukturen zu einem Einzelphänomen von drei isoliert handelnden Menschen." Bei der Bundesanwaltschaft hält man sich bedeckt. Nach wie vor liefen Ermittlungen gegen neun Beschuldigte und ein Verfahren gegen unbekannt, so eine Sprecherin. Details will sie nicht nennen.

Ein wichtiges Indiz dafür, dass das Trio viele Unterstützer hatte, liefert der NSU selbst. Die Bekenner-DVD beginnt mit dem Einspieler, "der NSU ist ein Netzwerk aus Kameraden". Diese DVD wurde seinerzeit auch bei den Nürnberger Nachrichten abgeben. Wer der Bote war? Auch das ist bis heute nicht geklärt. 

 

 

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