Harter Lockdown? Die Politik scheut weiter zurück

7.1.2021, 05:55 Uhr
Geht mit Bayern erneut einen eigenen Weg: Ministerpräsident Markus Söder.

© Frank Hoermann/SVEN SIMON via www.imago-images.de Geht mit Bayern erneut einen eigenen Weg: Ministerpräsident Markus Söder.

Es war der Tag der Überraschungen. Erst verkündete Ministerpräsident Markus Söder, dass er Gesundheitsministerin Melanie Huml abberuft. Und dann erklärte er, dass er den harten Lockdown-Weg nicht voll mitgehen wird, den er tags zuvor mit seinen Kollegen und der Kanzlerin in Berlin beschlossen hat. Beides hatte niemand so kommen gesehen. Beides verblüfft, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise.

Das Aus für Huml als Gesundheitsministerin lässt sich noch politisch deuten. Die Bambergerin und ihr Krisenmanagement stehen seit langem in der Kritik. Huml wirkte überfordert, bekam ihr Haus und ihre Aufgaben nicht in den Griff.


Kommentar: Druck zu groß - Söder sägt Huml ab


Dass Söder sie jetzt abberuft und in die Staatskanzlei versetzt, zeigt, wie wenig er ihr noch zutraut. Söder hat mit diesem Schritt lange gewartet. Dass er ihn jetzt geht, verstehen manche als Zeichen steigender Nervosität. Er selbst stellt es als Ergebnis eines Denkprozesses dar ganz ohne Zeitdruck und ohne Druck von außen. Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen.

Offene Grenzen

Komplizierter ist es bei den neuen Corona-Regeln. Sie sind ein Sammelsurium aus Sinnvollem, aus Kompromissen und aus Zugeständnissen, die nicht immer schlüssig wirken. Beispiel Urlauber: Sie müssen sich jetzt testen lassen, wenn sie aus einem Risikogebiet nach Deutschland zurückkehren und mindestens fünf Tage in Quarantäne gehen. Vernünftig. Zur Wahrheit gehört aber, dass sich das aktuell kaum kontrollieren lässt. Die Polizei riegelt die Grenzen nicht ab, sondern beschränkt sich auf Stichproben.

Wer über Silvester in die Skigebiete Österreichs geblickt hat, hat dort viele deutsche Kennzeichen gesehen. Dass ihre Besitzer sich später freiwillig in Quarantäne begeben haben (oder zuvor in Österreich), darf bezweifelt werden. Die Angst vor einer Entdeckung ist viel zu gering. Das ist ein Ärgernis für jene, die auf jenen Urlaub verzichten, den andere ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen, weil ihnen der Staat den Freiraum lässt.

Ähnliches gilt für den 15-Kilometer-Radius, den Deutschland nun um Corona-Hotspots zieht. Nicht nur, dass die Distanz gegriffen ist, auch ihr Sinn erschließt sich nicht. Wer verfolgt hat, wie im Spätherbst Pendler die österreichische Corona-Welle die wenigen Kilometer über die Grenze nach Bayern gelenkt haben, der weiß, dass jeder Meter Freiraum einer zu viel ist für das Virus. Soll das Instrument wirken, müsste das Land jede Fahrt verbieten, außer die zur Arbeit oder zum Arzt. Tut es aber nicht.

Stattdessen öffnet Bayern den 15-Kilometer-Bereich nicht nur für Einkäufe; es gestattet sie im Gegenteil noch darüber hinaus. Das ist hoch riskant. Die Sorge, etliche Einzelhändler könnten den Lockdown nicht überleben, ist zwar berechtigt.


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Doch ihnen wäre mit anderen Mitteln eher geholfen. Es ist ein Unding, dass bis heute die Novemberhilfen nicht geflossen sind, die schon deshalb ihren Namen kaum noch verdienen. Hier müsste das Land ansetzen und nicht dort, wo es dem Virus nur eine weitere Bahn öffnet.

Alle sind gefragt

Anders verhält es sich mit dem so genannten Click&Collect. Vor Weihnachten war es nachvollziehbar, wenn die Politik allzu großes Gedränge vor den Geschäften fürchtete und deshalb nicht zulassen wollte, dass Kunden bei ihren Händlern online bestellen und die Ware vor Ort abholen. Jetzt gilt das nicht mehr. Und deshalb ist es sinnvoll, sogar zwingend, dass sie den Händlern diesen letzten Notnagel freigibt.

Es wird sich zeigen, ob auch die Menschen die Mühe auf sich nehmen und im Internet nach den Angeboten der Händler in ihrer Nachbarschaft suchen. Der boomende Online-Handel schon vor der Pandemie und das leise Sterben der kleinen Geschäfte schon vor Corona lassen das Schlimmste befürchten. Corona ist hier nur der Brandbeschleuniger in einem unheilvollen Trend, den jene mitverursacht haben, die ihn jetzt beklagen.


Bewegungsradius in Hotspots: Das müssen Sie wissen


Bleiben die Kontaktbeschränkungen. Auch sie sind ein fragwürdiger Kompromiss. Weder darf die Polizei kontrollieren, ob sich die Menschen zuhause an die Auflagen halten und sich dort nur mit einer fremden Person treffen. Noch grenzt es das Risiko wirklich ein. Denn selbst wer sich daran hält, kann jeden Tag einen anderen Menschen treffen. Aus Sicht der Infektiologen ein Unsinn, der dem Virus hilft, statt es einzudämmen.


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Sie sind es auch, die dringend dazu raten, Schulen und Kitas geschlossen zu halten. Es mag bisher richtig sein, dass Kinder seltener das Virus übertragen, wobei britische Untersuchungen nahelegen, dass das für die neue Virusvariante nicht mehr zutrifft. Sie ist inzwischen auch in Bayern nachgewiesen. Doch auch Kinder und noch mehr die Jugendlichen übertragen das Virus.

Wenn die Zahlen wirklich nach unten sollen, muss das Land auch diese Tür für das Virus zustoßen. Dass der Schulbetrieb technisch noch immer nicht darauf vorbereitet ist, ist ein Skandal für sich. Schließlich kämpft die Welt bereits seit einem Dreivierteljahr gegen Corona an. Zeit genug, um auch den Schulbetrieb entsprechend vorzubereiten. Das ist unterblieben. Doch es ändert nichts daran: Soll der Kampf gegen das Virus erfolgreich sein, kann der Staat die Schulen und Kitas nicht außen vor lassen.

Zu zögerlich

Unterm Strich bleibt überraschend, dass die Politik auch nach bald zehn Corona-Monaten noch immer die konsequent harte Linie scheut, wissend, dass sie die einzige Möglichkeit ist, mit der sich das Virus tatsächlich in den Griff bekommen lässt. So zieht sich der Lockdown nur unnötig weiter in die Länge. Die Schneise aber, die er damit in Handel, Gastronomie, Hotellerie und Kulturbetrieb schlägt, wird jeden Tag breiter.

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