Kapazitäten sind da: Warum oft Tage bis zum Corona-Test vergehen

13.5.2020, 17:22 Uhr
Kapazitäten sind da: Warum oft Tage bis zum Corona-Test vergehen

© Foto: Elyxandro Cegarra/imago images/PanoramiC

Die Anspannung ist Carola Teuchert (Name geändert) auch Tage später am Telefon noch anzuhören. Eigentlich sei ihr Mann robust, fit, für Krankheiten nicht sonderlich anfällig, sagt sie. An einem Samstag im April aber brachen bei dem 34-Jährigen alle Dämme. Innerhalb einer Stunde bekam der Nürnberger Schüttelfrost und Fieber, hatte Schmerzen. "Unser Verdacht ging relativ schnell in Richtung Corona", sagt Teuchert heute. "Unsere Tochter gehört wegen ihres Herzfehlers zur Risikogruppe." Dementsprechend wäre Klarheit für die junge Familie wichtig gewesen, doch es passierte: nichts, kein Test auf das Virus.

Der Hausarzt der Familie verwies auf die Richtlinien des Robert-Koch-Institutes (RKI). "Beim kassenärztlichen Notdienst bin ich drei Mal aus der Leitung geflogen, als ich sagte, ich käme aus Bayern." Ihr Arzt setzte sich später zwar für einen Corona-Test ein, blitzte aber ab. Ämter, Behörden, Ärzte, Teuchert telefonierte nahezu täglich. "Nach über einer Woche sagte das Gesundheitsamt dann einem Rachenabstrich zu", sagt die Nürnbergerin. "Das ist doch schräg, wenn niemand getestet wird, dann weiß man im Endeffekt gar nichts."

Die Teucherts sind ein Fall, den es nicht mehr geben sollte. In den vergangenen Wochen haben Labore auch in Bayern massiv aufgestockt, insgesamt sind in Deutschland bis zu 860 000 Tests möglich – pro Woche. Die Auslastungsquote liegt aber permanent unter 50 Prozent, die Ressourcen, die geschaffen wurden, werden also nicht einmal zur Hälfte ausgereizt.

RKI für symptomabhängige Tests

Dass das RKI seit über zwei Wochen seine Empfehlungen verändert hat, hat daran bislang nichts geändert. Die Experten halten symptomabhängige Tests nun für sinnvoll, Kontakt zu einem nachweislich Infizierten ist keine Voraussetzung mehr. Selbst bei leichtem Husten oder Fieber kann getestet werden, "je früher desto besser", sagte RKI-Präsident Lothar Wieler erst kürzlich.


Kommentar: Die "Diktatur der Virologen" gibt es nicht


Die Praxis aber sah immer wieder anders aus, das zeigen mehrere Fälle, die unserer Redaktion bekannt sind. Ein Grundsatzproblem also, sind Mediziner womöglich verunsichert, wann getestet werden soll? Nein, sagt Markus Beier. Er ist Vorstand des Bayerischen Hausärzteverbands (BHÄV). "Die Regelung ist eindeutig kommuniziert, wer Symptome hat, der hat das Recht, einen Test durchzuführen und das wird auch von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt."

"Brauchen Kapazitäten dann, wenn Infektionen aufflackern" 

Unsicherheit unter den gut 9000 Hausärzten in Bayern spürt er nicht, bei Beiers Verband gingen zuletzt kaum noch Nachfragen ein. "In der Anfangszeit gab es Einzelfälle, aber seit längerem schon nicht mehr." Er betont: Der Hausarzt kann die Situation seines Patienten am besten einschätzen und entscheidet auf Grundlage der Vorgaben des RKI frei über die Testung.

Auch der Virologe Bodo Plachter plädiert für großzügige Tests bei corona-spezifischen Symptomen. "Wenn jemand derzeit Husten oder Fieber hat", sagt der Professor von der Universitätsmedizin Mainz mit Blick auf die beendete Grippesaison, "dann sollte man solche Menschen testen". Nur so könne man zukünftig Ausbruchsherde frühzeitig erkennen und eindämmen. "Wir brauchen die Testkapazitäten dann, wenn Infektionen aufflackern." Von breitem Screening ohne Symptome hält der Experte nichts, wohl aber von gezielten Aktionen etwa bei Menschen, die von Krankenhäusern in Pflegeheime zurückkehren. "Das gleiche gilt für das Personal, damit das Virus dort nicht eingetragen wird." Was auf keinen Fall passieren dürfe, ist, dass Menschen "15 Tage unerkannt bleiben und hinterher stellt sich heraus, dass sie doch Corona-positiv sind".

LGL in Bayern: "Von Beginn an konsequent getestet"

Eben das, sagt das Erlanger Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), sei in Bayern aber nicht der Fall. Es sei "von Beginn der Pandemie an sehr konsequent getestet worden", heißt es auf Nachfrage, besonders die Zahl der risikoorientierten Überprüfungen sei vergleichsweise hoch.

Man habe weit über eine halbe Millionen Menschen im Freistaat getestet, sagt auch Gesundheitsministerium Melanie Huml, die am Dienstag verstärkte Reihentests in gefährdeten Bereichen, etwa in Schlachthöfen, Unterkünften für Saisonarbeitskräfte oder Kliniken andeutete.

In Bayern sind 19.000 Tests pro Tag möglich

Das LGL teilt dazu mit: Derzeit seien in Bayern 19.000 Tests pro Tag möglich. "Bei Bedarf und bei steigenden Probenzahlen kann ein weiterer Ausbau stattfinden, sodass künftig bis zu 30.000 täglich möglich sein sollen."

 

Die Labore in Deutschland jedenfalls sind auf große Massentests vorbereitet. "Wenn es irgendwo Beschwerden gibt, dass jemand nicht getestet wird, dann können wir das überhaupt nicht nachvollziehen", sagte Evangelos Kotsopoulos vom Interessenverband der akkreditierten medizinischen Labore (AML) in Deutschland während eines Pressegesprächs. Es gebe in keiner Region Deutschlands Engpässe. "Das ist dann ein organisatorisches Problem."

"Das hat Glaskugelcharakter"

Der Rückstau, also die Zahl der unbearbeiteten Proben am Sonntagabend, sei ein wichtiger Indikator – und hier liege die Quote bei unter einem Prozent. Ressourcen, sagt der AML, habe man zu Genüge. Nur: Mehr Tests werden derzeit einfach nicht angefordert.

"Wir sind prophylaktisch unterwegs und bereiten uns mit erheblichen Kapazitäten auf höhere Mengen vor, die kommen könnten, etwa wenn Pflegeheime straffer durchgescreent werden", sagt Kotsopoulos. "Nur ob die kommen, das wissen wir nicht. Das hat Glaskugelcharakter." Erst hinterher werde man sehen, ob man im Ausbau "über das Ziel hinausgeschossen" sei.

Steigende Testzahlen, sagen Experten, seien bei den derzeitigen Maßgaben der Behörden aber nicht zu erwarten. "Es gibt einfach weniger Patienten mit Infekten", sagt Markus Beier vom Hausärzteverband. "Die Zahlen sind in den letzten Wochen massiv zurückgegangen, das zeigt, dass die Maßnahmen wirken." Erst wenn asymptomatisch – also etwa in Pflegeheimen und Kliniken – getestet wird, dürften die Labors stärker gefordert sein, so der Mediziner. "Das ist eine hochpolitische Diskussion, die derzeit in Berlin geführt wird – und da stellt sich die Frage, wer das zahlt."

Bei der Frage nach der Finanzierung droht Ärger, besonders in den Pflegeheimen. Bei begründeten Verdachtsfällen zahlt die Krankenkasse, bei Tests im Rahmen der Rückverfolgung von Infektionsketten übernehmen die Gesundheitsämter die Kosten. Präventive Tests sehen die Kassen aber nicht als ihre Aufgabe an, die "Gefahrenabwehr gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten" sei aus Steuermitteln zu bezahlen, heißt es in einem Schreiben der Spitzenverbände an den Gesundheitsausschuss des Bundestages. Es braucht dringend eine Regelung, mahnen Experten.

Zehnmal höher?

Die Dunkelziffer der Infizierten, das ist das Ergebnis der Heinsberger Studie, könnte für ganz Deutschland zehn Mal höher liegen. 1,8 Millionen statt knapp 200 000, der Zahl, die das Robert-Koch-Institut als nachweislich diagnostiziert meldet. Eine breite Testung, sagen Experten, kann zumindest einen Teil davon aufhellen. Für den Virologen Bodo Plachter ist aber auch klar: "Wir haben 83 Millionen Menschen hier im Land, die können sie nicht alle testen." Dennoch sei konsequentes Vorgehen bei der Eindämmung wichtig, und dafür braucht es kluge Mechanismen.

Die Grünen forderten erst kürzlich eine sogenannte Ampel als Frühwarnsystem. Demnach solle das RKI fünf Stufen mit verbindlichen Testpflichten definieren. "Die höchste Stufe bedeutet: Hotspot. Die niedrigste Stufe: so gut wie keine Fälle. Je mehr Fälle es in einer Region gibt, desto mehr Stichproben-Tests an bislang symptomfreien Personen sollte es geben", heißt es in einem Eckpunktepapier.

Für die Teucherts und viele andere, die lange auf einen Corona-Test warteten, kommt das zu spät. Mittlerweile durfte der Familienvater einen Test im Drive-In in der Nürnberger Nordstadt machen – er war negativ. Eine Erkenntnis, bis zu der Tage und Wochen vergingen. "Wenn ich da Herrn Drosten mit seinem Testen-Testen-Testen-Mantra im Ohr habe, dann ist das schon komisch." 


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Die Anzahl der Corona-Infizierten in der Region finden Sie hier täglich aktualisiert. Die weltweiten Fallzahlen können Sie an dieser Stelle abrufen.


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