Kommentar zum Corona-Gipfel: Kommt jetzt das Prinzip des "atmenden Deckels"?

3.3.2021, 21:43 Uhr

Volker Bouffier ist der dienstälteste Ministerpräsident Deutschlands. Mit bald 70 Jahren ist er weiterer Karrierepläne und plumper Liebedienereien gegenüber dem Wahlvolk unverdächtig. Bouffier hat vor kurzem einen Blick in sein Seelenleben erlaubt. Er war, wie so oft in diesen Tagen, nach den Lockerungen in der Corona-Politik gefragt worden. Und da ließ er erkennen, wie sehr in diese Frage innerlich zerreißt. Mache er die Schulen weitgehend auf, sagte er sinngemäß, dann beschwere sich die eine Hälfte der Eltern bitter bei ihm. Halte er sich mit der Öffnung zurück, dann sei es die andere Hälfte der Eltern, die bei ihm vorstellig werde.


Bund und Länder: Lockdown soll verlängert werden


Nun muss man die Kanzlerin und die 16 Ministerpräsident(inn)en, die wieder einmal zum Pandemie-Gipfel zusammenkamen, nicht gerade bedauern. Sie wollten ihre Ämter unbedingt und werden außerdem ganz gut dafür entlohnt. Aber trotzdem ist Bouffiers Beobachtung richtig. Es gibt, abgesehen von den ersten drei Monaten, schlichtweg keine Corona-Politik, die alle Interessen bedienen könnte. Es gibt auch nicht die einzig richtige Corona-Politik.

Beispiel: die gebeutelte, teils fast vernichtete Kulturszene. Sie hat völlig Recht, wenn sie darüber wettert, bei Lockerungen immer erst ganz zum Schluss an die Reihe zu kommen und damit in ihrer Bedeutung für das Leben der Menschen nicht gewürdigt zu werden. Aber auf der anderen Seite stehen die Politiker, die zumindest bisher die These vertraten, entscheidend sei gar nicht ein (noch so hervorragendes) hygienisches Konzept eines einzelnen Anbieters, es komme vielmehr generell auf die Reduzierung von Kontakten an - im Nahverkehr, in den Innenstädten. Beide Positionen haben etwas für sich.

Kommt nun das Konzept des "atmenden Deckels"?

Wir sind bei der Pandemie an einen Punkt angekommen, an dem der Lockerungsdruck extrem hoch ist. Geschäftsleute, die wahrlich keine Corona-Leugner sind, wenden sich verzweifelt an die Öffentlichkeit und bitten um Hilfe. Ähnlich viele andere. Da ist es der richtige Schritt, wenn Bund und Länder dem innerhalb verantwortbarer Grenzen entgegenkommen. Bei einzelnen Beschlüssen wird man nach zwei Wochen sagen, das hätten wir mal besser nicht gemacht, bei anderen wird es heißen: geht doch!

Die Politik hat in der Vergangenheit in anderem Kontext den etwas komisch klingenden Begriff des "atmenden Deckels" eingeführt. Übersetzt heißt das: ein flexibles System passt sich den Erfordernissen und Möglichkeiten an. Das scheint nun auch die Devise bei der Corona-Bekämpfung zu werden. Mancher mag das als unentschlossen, wahlweise als zu zaghaft oder zu forsch, bezeichnen. Aber ist das einzig mögliche Vorgehen in einer Gesellschaft, die eben auch noch andere Notwendigkeiten als ausschließlich das Bekämpfen eines Virus kennt.