Öffentliche Debatte

Legalize It? Die Argumente für die Freigabe von Cannabis - und dagegen

29.10.2021, 07:29 Uhr
Hier wird Cannabis zu medizinischen Zwecken produziert.

© Jim Hollander/EPA/dpa Hier wird Cannabis zu medizinischen Zwecken produziert.

Der einzige Mensch, der in Deutschland je an Cannabis gestorben ist, heißt Hank. Er ist Dockarbeiter und wurde von einer viereinhalb Tonnen schweren Ladung Haschisch erschlagen. Von einer "Überdosis", wie Joint Venture Mitte der 1990er Jahre sangen. Die Vorliebe für Cannabis trugen die Liedermacher Götz Widmann und Martin Simon schon im Namen – und die Geschichte des Dockarbeiters Hank war natürlich frei erfunden.

Der Song transportierte humorvoll eine politische Botschaft: Niemand stirbt an den direkten Folgen des Cannabis-Konsums – was man über die legalen Drogen Alkohol und Nikotin nicht gerade behaupten kann. Es ist im wahrsten Sinne ein Totschlagargument. Aber sollte eine Substanz legalisiert werden, nur weil sie nicht tödlich ist?

Über die Gefahren von Cannabis sind sich auch die meisten Befürworter im Klaren, insbesondere die Gesundheitspolitiker in den Reihen der SPD, Grünen und FDP, die derzeit in den Verhandlungen zu einer Ampelkoalition stecken. Eines der wenigen Themen, bei dem sich die Parteien weitestgehend einig sind, ist Cannabis.

Lockerungen zum Cannabis-Konsum

Konsum und Besitz sollen entkriminalisiert werden. Geht es nach Grünen und FDP, dann soll das THC (Tetrahydrocannabinol), also der illegale, psychoaktive Wirkstoff der Cannabis-Pflanze, legalisiert werden. Die SPD ist in ihrem Wahlprogramm etwas zurückhaltender und spricht sich für Modellversuche in Ländern und Kommunen aus. So oder so: Kommen die Ampel-Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss, steht Deutschland eine deutliche Lockerung der gesetzlichen Regelungen zum Cannabis-Konsum bevor.

Nicht allen gefällt das. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig, warnt vor einer Legalisierung: "Zugunsten eines vermeintlichen Zeitgeistes die Gesundheit der Bevölkerung zu riskieren, kann und sollte nicht Ziel der neuen Bundesregierung sein", sagte die CSU-Politikerin vor einigen Tagen der Rheinischen Post. "Kiffen ab 18 ist alles andere als harmlos und gibt außerdem keine Antwort auf die Frage nach besserem Jugendschutz", sagte Ludwig.

Ebenfalls in Reihen der Gegner sind die Polizeigewerkschaften zu zählen. Hier allerdings scherte der Bund Deutscher Kriminalbeamter aus: Vorsitzender Dirk Peglow bezeichnete das Cannabis-Verbot kürzlich als überholt und schlug eine Bußgeldregelung vor. Die Bundesärztekammer hat sich in einer Stellungnahme 2018, als Grüne, Linke und FDP zuletzt eine Lockerung der Cannabis-Gesetzgebung im Bundestag beantragten, klar dagegen ausgesprochen.

Gesundheitliche Gefahren verharmlosen

Es wird eine "Zunahme der Konsumentenzahlen und des medizinischen Behandlungsbedarfs" vorausgesagt. "Gesundheitliche Risiken des Konsums bestehen insbesondere in Einschränkungen der Gedächtnisleistung, der Aufmerksamkeit und der Psychomotorik, zudem können durch den Konsum hirnstrukturelle Veränderungen beobachtet werden", heißt es weiter. "Darüber hinaus zeigen die wissenschaftlichen Studien einen deutlichen Anstieg des Risikos für psychotische Störungen." Mit einer Legalisierung würden die gesundheitlichen Gefahren des Cannabiskonsums verharmlost.

Die Bundesärztekammer zitiert Studien, aber wie das mit Studien so ist: Auch die Gegenseite beruft sich auf sie. Befürworter der Legalisierung betonen etwa, der Zusammenhang zwischen Störungen der Psyche und Cannabis-Konsum könne auch den umgekehrten Ursprung haben: Nicht Kiffer werden psychisch krank, sondern psychisch labile Personen haben eine erhöhte Affinität zum Kiffen. Außerdem zeigen Studien auch: Wie beim Alkohol macht die Dosis das Gift – wirklich gefährlich ist langjähriger, regelmäßiger Konsum.

Weniger Cannabis-Vergehen in Kanada

Zahlen zu den Folgen einer Legalisierung liegen etwa aus Kanada und US-Bundesstaaten vor. So bezieht sich die Bundesärztekammer auf Studien aus dem US-Bundestaat Colorado, wo der Konsum unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen gestiegen ist (allerdings nur um wenige Prozentpunkte). Aussagen des kanadischen Gesundheitsexperten David Hammond gegenüber der ARD stehen dem entgegen: Laut Hammonds Studien hat die Legalisierung in Kanada nicht dazu geführt, dass Minderjährige mehr konsumieren oder ihre Einstellung zu Cannabis verändert haben. Gleichzeitig würden weniger junge Menschen wegen Cannabis-Vergehen straffällig.

"Wenn morgen Koks legal zu kaufen wäre, würde ich doch auch nicht anfangen zu koksen", sagt Florian Söllner. Der Fürther hat es als Liedermacher zu lokaler Bekanntheit gebracht. Die Gitarre hat der 41-jährige Familienvater mittlerweile an den Nagel gehängt, für die Legalisierung setzt er sich immer noch ein.

Jugendschutz-Regelung und Besteuerung

Er rechnet vor: "Rund vier Millionen Konsumenten gibt es in Deutschland. Das sind ungefähr so viele, wie die FDP wählen. Die werden alle kriminalisiert und damit vehement geschädigt, bis hin zu Gefängnisstrafen." Cannabis sollte unter staatlicher Kontrolle angebaut und gehandelt werden dürfen, findet Söllner. Mit Jugendschutz-Regelung und Besteuerung, ähnlich wie bei Alkohol und Zigaretten.

Als Mitglied des Cannabis Social Clubs Nürnberg (CSC) setzt er außerdem auf Eigenversorgung. Die Idee des Vereins: Die Mitglieder bauen selbst an und teilen die Ernte, es gibt keinen Handel und keine Werbung, Minderjährige sind als Mitglieder ausgeschlossen. Was die Ampelkoalition angeht, ist Söllner, der übrigens nicht mit der schillerndsten bayerischen Marihuana-Galionsfigur, Liedermacher Hans Söllner, verwandt oder verschwägert ist, verhalten optimistisch. Schon 1998, als Gerhard Schröder eine rot-grüne Regierung bildete, habe man große Hoffnungen gehegt, die sich dann zerschlugen. Immerhin, eine Form der Entkriminalisierung sei auf jeden Fall zu erwarten, meint Florian Söllner.

Die repressive Drogenpolitik schafft Probleme

Das wäre auch im Sinne des Schildower Kreises. Das Experten-Netzwerk zählt Mediziner, Soziologen, Pädagogen und Rechtswissenschaftler zu seinen Mitgliedern. "Nicht die Wirkung der Drogen ist das Problem, sondern die repressive Drogenpolitik schafft Probleme. Die überwiegende Zahl der Drogenkonsumenten lebt ein normales Leben", heißt es im "Manifest" des Schildower Kreises. "Menschen mit problematischem Drogenkonsum brauchen Hilfe. Die Strafverfolgung hat für sie und alle anderen nur negative Folgen."

Genauso sieht es Andreas Müller, Jugendrichter am Amtsgericht Bernau bei Berlin. Er ist bekannt für seine unnachgiebige Haltung gegenüber jugendlichen Straftätern, aber auch für sein Eintreten für die Legalisierung. "Die Einstiegsdroge ist der Knast", diktierte er kürzlich Jan Hofer bei RTL Direkt ins Mikrofon. Auch Müller ist der Meinung, dass nicht Cannabiskonsum automatisch zu härteren Drogen führt – das Argument Einstiegsdroge –, sondern im Gegenteil: Die Kriminalisierung des Konsums bringe junge Menschen in Kontakt mit "echten" Verbrechern und harten Drogen. Müllers Haltung ist auch deshalb bemerkenswert, weil sein eigener Bruder in jungen Jahren bereits Haschisch rauchte und schließlich heroinsüchtig wurde.

Ohne Frage wittern viele langjährige Kämpfer für die Legalisierung derzeit Morgenluft. Florian Söllner verweist darauf, dass jüngst sogar der prominenteste Gesundheitspolitiker der SPD, Karl Lauterbach, auf diese Linie eingeschwenkt ist. "Jahrelang habe ich eine Cannabis-Legalisierung abgelehnt. Mittlerweile komme ich als Arzt aber zu einem anderen Schluss", sagte Lauterbach Anfang Oktober.

Die Bevölkerung ist skeptisch

Und wie sieht es die Bevölkerung? Skeptisch. Einer Mitte Oktober veröffentlichten Studie des Meinungsforschungsinstituts Forsa zufolge sind 30 Prozent für eine generelle Legalisierung. 59 Prozent sprechen sich dafür aus, dass Cannabis nur zu medizinischen Zwecken freigegeben werden sollte – was der derzeitigen Rechtslage entspricht. Allerdings: Junge Menschen – also diejenigen, die den Statistiken zufolge maßgeblich für den Wahlerfolg von Grünen und FDP verantwortlich sind – tendieren deutlich stärker zur Legalisierung.

Eine eher selten diskutierte Perspektive nehmen übrigens Joint Venture in ihrem Lied von Hanky dem Dockarbeiter ein: "Übrig blieben Frau und Kind, die jetzt ohne Vater sind; würd' man Hasch legalisieren, könnt' man's sicherer transportieren." Das ist doch mal ein Argument!

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