Menschen meiden "Öffis"

Mobilitätsstudien zeigen: ÖPNV ist Verlierer der Pandemie

2.6.2021, 14:13 Uhr

Die Abneigung, sich in Pandemie-Zeiten in dicht besetzte oder gar überfüllte Busse und Bahnen zu zwängen, ging klar zu Lasten des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Und auch nach der Pandemie muss sich der ÖPNV auf ein bleibendes Bedürfnis der Kunden nach mehr räumlichen Abstand zum Mitmenschen einstellen, wenn die verloren gegangenen Marktanteile zurückkommen sollen, geht aus einer Studie des Instituts für angewandte Sozialwissenschaften (Infas) im Auftrag des bayerischen Verkehrsministeriums hervor.


Corona-Studie: Kein erhöhtes Ansteckungsrisiko im ÖPNV


Für die Infas-Studie wurde nach Angaben des Bereichsleiters Mobilitätsforschung Robert Follmer im vergangenen April 1.554 Personen in Bayern zu ihrem Mobilitätsverhalten in der Pandemie und ihren Erwartungen für die Zeit danach befragt. Danach wurden insbesondere in der Zeit des ersten strengen Lockdowns im Frühjahr 2020 deutlich weniger Wege zurückgelegt, diese aber vermehrt mit dem Pkw, Fahrrad oder zu Fuß. Busse und Bahnen seien in der Pandemie in das "Blue Collar-Image" abgerutscht, sagte Follmer. Es sei "ein bisschen gefährlich", wenn der ÖPNV nur noch von denen benutzt werde, die zwingend auf ihm angewiesen seien während andere auf Pkw oder Homeoffice ausweichen könnten. Alarmierend: Von den ÖPNV-Stammkunden hat die Hälfte Busse und Bahnen in der Pandemie gemieden.

Wenn der ÖPNV die verloren gegangenen Kunden wieder zurück- und neue hinzu gewinnen wolle, müsse "angenehmer und sicherer" werden, folgerte Follmer aus den Daten der Umfrage. Die Pandemie habe den öffentlichen Verkehr "an seiner Achillesferse" getroffen, nämlich an der in Ballungsräumen als negativ empfundenen Enge zu Stoßzeiten. Gut zwei Drittel der von Infas Befragten geben an, den ÖPNV in Zukunft wieder genauso oft oder sogar häufiger nutzen zu wollen. 57 Prozent der Befragten wollen in Zukunft im ÖPNV aber dauerhaft mehr auf Abstand zu anderen Fahrgästen achten. 43 Prozent können sich auch vorstellen, die Stoßzeiten zu meiden und zu anderen Zeiten unterwegs zu sein. Vom ÖPNV erwarten die Befragten günstige Fahrpreise (80 Prozent), attraktive Verbindungen und verkürzte Reisezeiten (79 Prozent), die Umsetzung von Hygienekonzepten und Abstandsregeln (77 beziehungsweise 72 Prozent) und flexible und individuelle Tarife (71 Prozent).

"Es wird richtig viel Geld kosten"

Die Erkenntnisse aus der Studie sollen nach den Worten der bayerischen Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) in einen "Maßnahmenplan" für den Freistaat einfließen. Einige Eckpunkte stehen für die Ministerin aber schon fest: Während man in den Ballungsräumen das ÖPNV-Angebot vergrößern müsse, komme es auf dem Land auf verlässliche Angebote an. Es helfe wenig, wenn dort "irgendwann einmal ein Zug vorbeikommt", sagte Schreyer. Und eines sei auch klar: Es werde "richtig viel Geld kosten", um die verkehrsbedingten CO2-Emissionen durch mehr ÖPNV zu reduzieren. Dabei dürften die Verkehrsträger nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Einstellung des Straßenbaus ist nach Ansicht der CSU-Politikerin auch fehl am Platze: "Auch Rufbusse und Sammeltaxis brauchen Straßen".


Corona-Effekt? Bayerische Regionalzüge werden immer besser


Ziel der Anstrengungen muss es nach den Worten Schreyers sein, dass die Menschen das Auto "so oft wie möglich stehen lassen". Die Hälfte aller zurückgelegten Strecken sei kürzer als fünf Kilometer, was die weitere Forcierung des Radwegebaus nahe lege. Mit dem 365-Euro-Ticket für Schüler und Auszubildende seien erste Schritte gemacht worden, um dem an erster Stelle stehenden Wunsch nach preisgünstiger Mobilität entgegen zu kommen. Unsicher sind sich Demoskopie und Politik, in wie weit sich die erhebliche angestiegene Quote von Arbeit im Homeoffice nach der Pandemie erhalten wird. Schreyer geht davon aus, dass "Homeoffice viel verändern wird". Infas-Forscher Follmer hingegen rechnet damit, dass sich die Gewohnheiten mit zunehmenden Abstand zur Pandemie wieder den Zuständen vor Corona annähern werden.

Schreyers Ankündigungen zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs sind nach Ansicht des Vorsitzenden der SPD im bayerischen Landtag Florian von Brunn "nur schöne Wahlkampfversprechen". Einige Monate vor der Bundestagswahl und nach dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz mache die CSU plötzlich Versprechungen zum öffentlichen Verkehr, was ziemlich unglaubwürdig sei, so von Brunn. Solange es keine Finanzierungszusage vom Finanzminister dafür gebe, glaube man den schönen Worten nicht. Die SPD fordere seit langem mehr Geld und einen starken Ausbau des regionalen Schienenverkehrs, mehr landkreisübergreifende Buslinien und neue Stadt-Umland-Bahnen. "Das alles wurde von der CSU und den Freien Wählern abgelehnt", so der SPD-Fraktionschef.

Neu erwachte Liebe zum eigenen Auto

Eine aktuelle Mobilitätsstudie der HUK-Coburg belegt die neu entfachte Liebe der Deutschen zu ihrem eigenen Auto als hygienisch sicheres Verkehrsmittel noch stärker. Bei der Befragung von 4.000 Personen ab 16 Jahren in ganz Deutschland bejahten 25 Prozent die Aussage "Ich hätte vor der Corona-Erfahrung nicht erwartet, dass ein Auto für mich einen solchen Wert als Verkehrsmittel einmal haben könnte". In den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sei sogar jeder Dritte dieser Ansicht gewesen, teilte HUK-Vorstand Jörg Rheinländer am Mittwoch in Coburg mit.

73 Prozent gaben auf die Frage, welches Fortbewegungsmittel ihre Mobilitätsansprüche am besten erfülle, eine klare Antwort: Das Auto. Ein Viertel der Befragten monierte eine "Verteufelung des Autos", die "nicht gerechtfertigt" sei. Bei der Frage nach dem idealen Fortbewegungsmittel der Zukunft brachte es die Bahn nur auf 16 und Busse auf zehn Prozent Zustimmung. Eine deutliche Mehrheit will von autonom fahrenden Autos, Flugtaxis oder Hyperloop keinen Gebrauch machen. Immerhin kommt für fast jeden sechsten Deutschen beim Kauf eines neuen Autos nur noch ein elektrisch angetriebenes Fahrzeug in Frage.


Der Wunsch nach niedrigeren Mobilitätskosten spiegelt sich auch in der HUK-Studie wieder. Während 27 Prozent bei der Einschätzung zukünftiger Mobilitätskonzepte von der Sorge umgetrieben werden, dass der Umweltschutz dabei zu kurz käme, befürchtet jeder zweite "steigende Kosten für Mobilität". Der Wunsch der Bundesbürger nach sinkenden Kosten für ihre Mobilität sollte sich daher in den Zukunftskonzepten widerspiegeln, forderte HUK-Vorstand Rheinländer.

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