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Toxische Positivität: Wie sie einer Beziehung schaden kann

Simone Madre

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23.6.2022, 08:43 Uhr
Toxische Positivität: Wie sie einer Beziehung schaden kann

© kieutruongphoto, Pixabay, LinzenzCC

  • Von toxischer Positivität spricht man, wenn Menschen krampfhaft versuchen, jeder Situation positiv zu begegnen, und keine negativen Gefühle zulassen wollen.
  • Dadurch fühlen sich ihre Gesprächspartner oft unverstanden oder nicht ernst genommen, wenn sie von Problemen berichten.
  • Eine toxische Positivität kann somit die Beziehung belasten.

Dass sich Pessimismus negativ auf die psychische Gesundheit auswirken kann, ist den meisten Menschen bewusst. Das Gleiche gilt jedoch auch für Optimismus und Positivität. Woran erkennt man eine toxische Positivität und was ist die Gefahr für Betroffene?

Toxische Positivität: Definition

Was ist toxische Positivität? Toxische Positivität bezeichnet Verhaltensweisen von Menschen, die krampfhaft versuchen, jede Situation mit positivem Denken und übertriebenen Optimismus zu begegnen.

Forscher haben herausgefunden, dass sich eine positive Grundeinstellung vorteilhaft auf die mentale Gesundheit auswirken kann. Die Wirksamkeit ist jedoch limitiert, sodass man mit einem positiven Denken nicht alles im Leben schönreden kann. Wenn Positivität so extrem wird, dass sich Menschen negative Gefühle verbieten, kann Positivität auch toxisch und gefährlich werden.

Warum tut toxische Positivität nicht gut?

Wer sich gerade in einer schwierigen Situation oder Lebenslage befindet und sich einen ehrlichen Rat einholen möchte, möchte bestimmt nicht den Spruch "Übertreib doch nicht, es ist doch alles gar nicht so schlimm. Sieh es einfach positiv" hören. Doch warum eigentlich nicht?

Die Antwort löst nicht das Problem, sondern führt zu Unverständnis und Distanz zwischen den Gesprächspartnern. Der Betroffene hat das Gefühl, dass seine Emotionen nicht ernst genommen werden. Dabei ist es gerade in solchen Momenten wichtig, Empathie, Verständnis und Zuspruch vom Gegenüber zu bekommen. Wenn sich Menschen in einer aussichtslosen Situation befinden, nützt es nichts, wenn man ihnen einredet, dass sie alles positiv sehen sollen.

Betroffene fühlen sich missverstanden und allein gelassen. Teilweise zweifeln sie selbst an der Bedeutung ihrer Probleme oder versuchen ihre eigenen Gefühle zu unterdrücken, was die Problematik weiter verstärkt.

Natürlich ist es wichtig, positiv durch das Leben zu gehen und auch anderen Menschen positiv gegenüberzutreten. Trotzdem müssen negative Gefühle Raum bekommen, damit man im Anschluss Lösungen finden kann. Verdrängung schiebt das Problem nur auf und ist keine dauerhafte Lösung.

Toxische Positivität in der Beziehung

Unter einer ausgeprägten toxischen Positivität können Beziehungen stark leiden. Denn negative Gefühle durch toxische Positivität zu ersetzen, ist keine Lösung, sondern verschlimmert die in einer Beziehung vorhandenen Probleme. Distanz zwischen den Partnern ist die Folge.

Stattdessen sollte man seinen Partner einfach um ein offenes und ehrliches Gespräch bitten, damit auch Gefühle wie Trauer, Wut, Enttäuschung oder Verzweiflung zugelassen werden. Vor allem in einer Beziehung sollte man sein dürfen, wie man wirklich ist und sich nicht verstellen müssen. Dazu gehören eben auch negative und nicht nur positive Gefühle.

In einer Partnerschaft ist es wichtig, dem Partner aufrichtig zuzuhören und Empathie zu zeigen. Standard-Phrasen oder gut gemeinte allgemeine Ratschläge sind hier weniger hilfreich. Stattdessen sollte man wirkliche Lösungsvorschläge suchen, die zu dem aktuellen Problem passen.

Wer sich in seiner Beziehung nicht ernst genommen fühlt, sollte dies unbedingt ansprechen. Betroffene können auch darauf hinweisen, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlen, wenn ihnen Emotionen nicht zugestanden werden und sie das Gefühl haben, negative Emotionen unterdrücken zu müssen.

10 Sätze, die typisch für toxische Positivität sind

1. "Es könnte auch noch viel schlimmer sein." Wie schlimm und ausweglos eine Situation ist, hängt von den individuellen Empfindungen ab.
2. "Nicht aufgeben, du schaffst das." Das Leben läuft nicht immer nach Plan, manche Dinge müssen nicht funktionieren und können auch nicht erzwungen werden. Jeder Mensch hat andere Stärken und Schwächen.
3. "Sieh es doch mal positiv." Es gibt auf der Welt nicht nur positive Gefühle, sondern eben auch Gefühle wie Angst, Verzweiflung, Wut und Trauer. Daher ist es wichtig, auch mit negativen Gefühlen umzugehen.
4. "Die Zeit heilt alle Wunden." Nicht alle Menschen verarbeiten schwere Erlebnisse und Erfahrungen gleich gut. Einige Menschen müssen ihr Leben lang mit schwierigen Situationen kämpfen. Besser wäre: "Ich kann es verstehen, dass es dir nicht gut geht. Ich bin immer für dich da und hoffe, dass es dir bald wieder besser geht."
5. "Dir fehlt einfach nur die richtige Einstellung." Wenn mit "Einstellung" negative Gefühle oder Gedanken wie Frustration, Angst, Wut oder Erschöpfung gemeint sind, dann ist dies grundlegend falsch. Gefühle können nie falsch sein und das sollte man sich auch nicht einreden lassen. Natürlich ist die Frage, wie man beim Erleben dieser Gefühle handelt. Was sinnvoll für einen selbst ist, kann das Gegenüber aber nicht wissen. Andere Menschen dürfen einen anderen Blickwinkel aufzeigen, ob man diesen annimmt, ist aber Ihre eigene Entscheidung.


6. "Das ist ein Zeichen des Schicksals" oder "Das hat alles einen Grund." Einige Menschen finden in der Spiritualität Halt und Hoffnung. Daran ist auch nichts verwerflich. Dennoch sollte man anderen ein derartiges Denken nicht aufdrücken, denn dieses "Schicksal" kann sehr unfair, verletzend und auch nicht nachvollziehbar sein.
7. "Du machst dir viel zu viele Sorgen." Jeder Mensch geht anders mit Stress um. Die betroffene Person fühlt sich durch so einen Satz eventuell missverstanden, hilflos und unbedeutend. Stattdessen sollte man die Probleme, Sorgen und Gefühle lieber ernst nehmen und Verständnis zeigen "Ich verstehe, worüber du dir Sorgen machst. Wir finden eine gemeinsame Lösung".
8. "Don't worry, be happy." Negative Gefühle haben genauso wie positive Gefühle eine Daseinsberechtigung. Angst beschützt uns beispielsweise vor Gefahren und ändert unser Verhalten in Bezug auf Risiken.
9. "Anderen Menschen geht es doch viel schlechter als dir." Die Betroffenen, die diesen Satz gesagt bekommen, fühlen sich nicht ernst genommen oder glauben, dass ihre Gefühle falsch oder nicht angebracht sind.
10. "Good Vibes only." Nur gute Stimmung und positive Laune gibt es auf der Welt nicht. Das Ignorieren von negativen Gefühlen kann gefährlich werden, wenn sich Betroffene nicht trauen, Hilfe einzufordern, obwohl sie diese dringend bräuchten.

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