Immenser Druck

Insta, TikTok und Co.: Warum sich junge Menschen von Sozialen Medien abwenden

1.5.2022, 06:00 Uhr
Wer viel Zeit in Social Media verbringt, tut sich nicht immer einen Gefallen. Es gibt junge Menschen, die es erkennen und sich von den Sozialen Netzwerken abwenden.

© imago images/ZUMA Wire Wer viel Zeit in Social Media verbringt, tut sich nicht immer einen Gefallen. Es gibt junge Menschen, die es erkennen und sich von den Sozialen Netzwerken abwenden.

Ein Panzer rollt durch die Straßen, mehrere Autos stehen in Flammen. In den Trümmern suchen Helfende nach Überlebenden. Solche Videos aus der Ukraine gibt es auf Instagram und TikTok aktuell jeden Tag. Auch vor politischen Auseinandersetzungen ist man dort nicht gefeit, nicht nur der ukrainische Präsident Selenskyj versteht das Spiel mit den sozialen Medien. Das US-Magazin The New Yorker spricht vom "ersten TikTok-Krieg der Welt", die Süddeutsche Zeitung bezeichnet Instagram und Twitter als Waffen.

Zwar nutzen in Deutschland 32 Millionen Menschen pro Monat Facebook und 21 Millionen Menschen Instagram. Aber die Zahl derer, die den sozialen Netzwerken den Rücken kehren, steigt ebenfalls. In einer repräsentativen Studie des Digitalverbands Bitkom e.V. von 2021 gaben 19 Prozent der Befragten an, schon einmal eine gewisse Zeit auf Social Media verzichtet zu haben.

Die Gründe dafür sind vielfältig. "Häufig sind die Auslöser die Angst vor Shitstorms oder Beleidigungen", weiß Christian Gürtler, der an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen zu Social Media und Hate Speech forscht. Aber auch eine geschwächte Konzentration, ein negativer Einfluss auf das Selbstbild und psychische Probleme seien nicht selten.

Soziale Medien machen süchtig

"Instagram hat mir das Gefühl gegeben, dass ich nicht gut genug bin, in dem, was ich mache", sagt Daniel. Der 23-jährige Student aus Nürnberg hat vor einigen Wochen seine Instagram-App gelöscht. Zuvor hat er probiert, durch eine App-Sperre seine Nutzungszeit einzuschränken. "Aber dabei kann man sich leicht selbst austricksen. Mit einem Knopfdruck kannst du das Zeitlimit erhöhen, dazu braucht es keine große Überwindung." Deshalb habe er sich jetzt für den "kalten Entzug" entschieden.

Soziale Medien machen süchtig. Laut einer Studie des Forsa-Instituts für Sozialforschung sind 100 000 Kinder und Jugendliche in Deutschland betroffen. Likes und Push-Benachrichtigungen sprechen das Belohnungssystem im menschlichen Gehirn an und sorgen dafür, dass es immer mehr will. Die Zeit für andere Aktivitäten bleibe dabei schnell auf der Strecke.

"Man verbringt stundenlang seine Zeit auf diesen Plattformen ohne einen wirklichen Nutzen", sagt Timo, 22. Deshalb hat der Azubi aus Schwanstetten sich von Snapchat und Instagram verabschiedet. "Das Bild, das man auf Social Media von anderen bekommt, hatte einen negativen Einfluss auf mein Leben. Ich dachte ständig: Die anderen unternehmen so krasse Sachen und ich nicht."

Nicht nur auf der Seite der Konsumierenden, auch bei Influencerinnen und Influencern wächst der Unmut gegenüber Plattformen wie YouTube, Instagram und TikTok. In einer Dokumentation des öffentlich-rechtlichen Reportageformats Strg_F sprechen YouTuber wie die Lochis über den immensen Druck, der durch die Rankings auf den Plattformen entsteht.

"Irgendwann haben Algorithmen dann plötzlich komplett deinen Tag bestimmt", sagt Heiko Lochmann, 22. "Es gab zum Teil wirklich dunkle Phasen, die unmittelbar mit dieser Karriere zu tun haben", meint Roman, sein Zwillingsbruder. Seit die beiden 12 Jahre alt sind, haben sie YouTube-Videos gemacht. Bis zu ihrem Ausstieg im Jahr 2019.

Fear of Missing out

Um das eigene Wohlbefinden zu steigern, empfiehlt Gürtler, den Konsum einzuschränken, anstatt gleich komplett darauf zu verzichten. "Ein Sofortverbot ist nur bedingt sinnvoll, da auch einige Funktionen der Apps einen positiven Effekt haben. Um weiter mit den Freunden und Freundinnen in Kontakt zu bleiben, ist eine bewusste Reduktion zielführender", sagt der Experte. Ansonsten bestehe die Gefahr der "Fear of Missing out", also der zwanghaften Angst, etwas zu verpassen.

Zuerst sei es wichtig, die Bildschirmzeit zu tracken und sich einen Überblick über das eigene Nutzungsverhalten zu verschaffen. Anschließend solle man sich fragen, was einen wirklich störe und welche Ziele man mit dem digitalen Entzug erreichen wolle. Dabei sind festgelegte handyfreie Zeiten und Räume in der Wohnung förderlich.

Es gebe aber auch die Möglichkeit, den eigenen Newsfeed so anzupassen, dass er einem nur Inhalte liefert, die zu den eigenen Zielen passen: "Wenn mir die Nachrichten rund um den Krieg in der Ukraine zu viel werden, kann ich Nachrichtenkanälen entfolgen und gezielt Content abonnieren, der mir ein gutes Gefühl vermittelt, wie zum Beispiel Kochvideos", rät Gürtler. Letztendlich müsse aber jede und jeder selbst herausfinden, was für sie oder ihn funktioniert.

"Die Nutzerinnen und Nutzer haben eine große Macht, das sieht man an Trends wie den Reels, die aufgrund des großen Erfolgs der App "TikTok" auf Instagram eingeführt wurden. Allerdings gibt es wenig Alternativen", sagt der Experte.

Viele hätten nach der neuen Datenschutzregelung von WhatsApp auf den Open Source basierten Messengerdienst "Signal" gewechselt, bei dem alle den Programmcode einsehen und verändern können. Daher gelte es, Open-Source-Projekte auch im Bereich sozialer Medien zu fördern. Nicht zuletzt sieht Gürtler die Plattformen selbst in der Verantwortung: "Es gibt nur wenige, die in diesem Bereich gute Arbeit leisten."

Wer viel Zeit in Social Media verbringt, tut sich nicht immer einen Gefallen. Es gibt junge Menschen, die es erkennen und sich von den Sozialen Netzwerken abwenden.

Wer viel Zeit in Social Media verbringt, tut sich nicht immer einen Gefallen. Es gibt junge Menschen, die es erkennen und sich von den Sozialen Netzwerken abwenden. © imago images/Westend61

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