Bis zu 450 Kilometer Reichweite

MG4 Electric: Erste Ausfahrt im neuen Schnäppchen-Stromer

Ulla Ellmer

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18.11.2022, 20:49 Uhr
MG4 Electric: MG rechnet damit, dass er der Meistverkaufte in der Modellpalette wird.

© Hersteller MG4 Electric: MG rechnet damit, dass er der Meistverkaufte in der Modellpalette wird.

„Schickes Auto“, sagt der gepflegte Herr Mitte 60 und studiert aufmerksam den MG4 Electric, der vor einem Hotel im Münchner Stadtteil Schwabing parkt. Der Betrachter ist nicht irgendein Passant, sondern Herbert Diess, Ex-Chef von VW und eine treibende Kraft hinter dem Wolfsburger Schwenk zu Elektromobilität, der als erstes den ID.3 hervorgebracht hat.

Just in dessen Liga tritt auch der MG4 Electric an, mit 4,29 Metern mehr oder weniger genauso lang und insofern ebenfalls ein Kompaktformat. Der preiswerte MG will die Rolle des ID.3 als Volks-Wagen unter den E-Autos gründlich infrage stellen. „Die Welt braucht einen Golf“, sagt Marc Hecht. Übertragen auf das Elektro-Zeitalter meint MGs PR-Chef damit ein „Auto für alle und die breite Masse“, erschwinglich einerseits, alltagstauglich andererseits, technisch tadellos sowieso. Unter den Stromern fehlten solche Modelle noch, mit dem MG4 Electric hoffe man, in die entsprechende Lücke zu stoßen.

Extrovertiert eingekleidet

Der Appetit auf die Konkurrenz ist dem MG anzusehen. Deutlich extrovertierter als der ID.3 tritt er auf, die Designer haben ihm scharfe Kanten ins Blech gebügelt, der Front eine aggressive Miene verliehen und dem Heck einen ganz und gar nicht unauffälligen, da zweigeteilten Dachkantenspoiler aufgepflanzt.

Auffällig: Heck mit zweigeteiltem Dachspoiler.

Auffällig: Heck mit zweigeteiltem Dachspoiler. © Hersteller

Was für Volkswagen der Modulare Elektrobaukasten (MEB) darstellt, bedeutet für MG die „Modular Scalable Platform“ (MSP) – eine Architektur, auf der sukzessive eine ganze elektrische Modellfamilie entstehen soll, mit dem MG4 Electric als Vorreiter. Der erste MG-Stromer ist er zwar nicht. Doch bei den schon bislang angebotenen Elektrikern – ZS EV etwa, Marvel R oder dem Kombi MG5 – handelt es sich letztlich um umgebaute Verbrenner.

Anders als das expressive Outfit folgt das Interieur dem Diktat der Sachlichkeit. Hinter dem oben und unten abgeflachten, griffigen Lenkrad visualisiert ein kleines 7-Zoll-Display die wichtigsten Fahrinfos, rechts davon thront ein 10,25-Zoll-Touchscreen auf dem Armaturenträger, er ist zuständig fürs Infotainment und fürs Navi, das im Übrigen Echtzeit-Verkehrsinformationen liefert. Den Bereich darunter besiedelt ein Sortiment an Direkttastern, unter anderem für die Klimatisierung und die Lautstärke, „Plus“ und „Minus“ geben hier die Richtung vor. Das Smartphone ruht auf einer induktiven Ladefläche und findet über Apple CarPlay und Android Auto Anschluss, allerdings nicht kabellos. Die Fahrstufen wiederum werden über einen runden Drehregler angesteuert.

Aufgeräumt: So sieht es im Cockpit des MG4 Electric aus.

Aufgeräumt: So sieht es im Cockpit des MG4 Electric aus. © Hersteller

An der Verarbeitungsqualität fanden wir ganz und gar nichts auszusetzen. Trotzdem verortet die Hartplastik-Landschaft den MG4 Electric klar jenseits des Premium-Segments. Auch diverse Dekoelemente in Klavierlack-Optik ändern daran nichts. Zufrieden darf man mit den Platzverhältnissen sein, vorne wie hinten sitzt es sich gut, viele Ablagemöglichkeiten stehen zur Verfügung, und das Beladen des 363 bis 1175 Liter großen Kofferraums gerät dank der niedrigen Ladekante keineswegs zum Kraftakt. Eine elektrisch öffnende und schließende Heckklappe gibt es nicht, dafür jedoch eine Anhängerkupplung, die Anhängelast wird mit 500 Kilogramm beziffert.

Zwei Leistungsstufen, zwei Akkugrößen

Antriebstechnisch bietet MG zwei Optionen für den Hecktriebler an: Das „Standard“-Modell leistet 125 kW/170 PS und arbeitet mit einer Lithium-Eisen-Phosphat-Batterie, 51 kWh Energieinhalt sollen für 350 Kilometer Strecke reichen. In 7,7 Sekunden geht es von 0 auf 100 km/h, bei 160 km/h setzt die Elektronik einen Schlusspunkt. Auf 100 Kilometern fällt ein Stromverbrauch von 17 kWh an. Wechselstrom aus der Wallbox wird mit bis zu 6,6 kW bezogen, an der Gleichstrom-Schnellladestation tankt der einfache MG4 Electric mit maximal 117 kW.

Die Versionen „Comfort“ und „Luxury“ hingegen können auf 150 kW/204 PS sowie einen sehr flachen Nickel-Kobalt-Mangan-Akku mit 64 kWh für 450 beziehungsweise (Luxury) 435 Kilometer Reichweite zurückgreifen. Der Standardsprint nimmt 7,9 Sekunden in Anspruch, die Topspeed beträgt ebenfalls 160 km/h, der Stromverbrauch 16 kWh/100 km. Die Wechselstrom-Ladeleistung liegt bei bis zu 11 kW, Gleichstrom geht bis 135 kW. In 35 Minuten sollen die Energiereserven so von 10 auf 80 Prozent aufgefüllt sein.

Am Schnelllader: Mit über 142 kW wird hier mit mehr Leistung geladen, als es das Datenblatt verspricht.

Am Schnelllader: Mit über 142 kW wird hier mit mehr Leistung geladen, als es das Datenblatt verspricht. © Hersteller

Speziell der „Luxury“ bringt serienmäßig eine Wärmepumpe mit. Auf Knopfdruck lässt sich die Batterie außerdem für den Ladestopp vortemperieren, wobei man nicht vergessen sollte, die Funktion wieder abzuschalten, sie braucht schließlich Energie. Automatisch, also bei Eingabe des Ladepunkts ins Navi, bereiten sich die Akkus leider nicht vor. Apropos Navi: Auch eine Ladestrategie, die sinnvolle „Tankstopps“ in die Routenplanung mit einbezieht, bleibt vorerst Wunschdenken.

Wie die höherpreisigen Stromer Kia EV6 oder Hyundai Ioniq 5 bietet der MG4 Electric aber die Möglichkeit, mittels Vehicle-to-Load (V2L) und eines Adapters externe Verbraucher wie E-Bikes oder Computer mit Strom zu füttern.

So viel zur Theorie. Wir starten zu einer ersten Ausfahrt mit dem Luxury-Modell, sie führt von München ins oberbayerische Voralpenland, das gemischte Streckenprofil – Stadt, Landstraße, Autobahn – soll Erkenntnisse darüber bringen, wie es denn so ist, das Leben mit dem MG4 Electric. Angenehm, wie sich sogleich herausstellt: Sanft summt der Elektroantrieb, Abrollgeräusche dringen nur verhalten vor bis ins Cockpit, auch auf drittklassigen Landstraßen bleibt der Fahrkomfort gelassen, und als der Straßenverlauf ins Kurvige wechselt, hat der wendige MG auch daran seinen Spaß, der Lenkwiderstand lässt sich über den Infotainment-Bildschirm dreistufig variieren. Daneben bestimmen verschiedene Fahrmodi das Wesen des Fahrzeugs, neben Eco, Normal und Sport gibt es ein spezielles Schnee-Programm. Die Verbrauchsanzeige nannte nach Ende unserer Fahrt 20 kWh/100 km.

Nicht alles ist perfekt

Sehr vieles hat uns gefallen am MG4 Electric, manches aber auch nicht: Sowohl Fahrerdisplay als auch Touchscreen spiegeln, das beeinträchtigt die Ablesbarkeit. Dass sich der Grad der Rekuperation verschieden stark einstellen lässt, ist löblich, dass man dazu ein Untermenü aufsuchen muss, schon weniger. Auf den Spurhalteassistenten wollten wir uns ebensowenig verlassen wie auf die Verkehrszeichenerkennung. Und der Abstandstempomat bremst so rüde ab, dass bei der Annäherung an einen langsameren Vordermann ein ungemütlicher Ruck durchs Fahrzeug geht.

Der Blick in die Preisliste ergibt, dass das „Standard“-Modell ab 31.990 Euro zum Kunden fährt, abzüglich des 2023er-Umweltbonus verbleiben rund 24.800 Euro. Zum Lieferumfang zählen schon etliche Assistenzsysteme wie Adaptiv-Tempomat, Fernlichtautomatik, Stauassistent, Spurverlassenswarnung und Spurhalteassistent, außerdem Klimaautomatik und das einfache Infotainment mit Smartphone-Anbindung. Das Topmodell „Luxury“ kostet 37.990 Euro (bonusbereinigt rund 30.800 Euro), an Mitbringseln hat es nebst einem umfangreichen Assistenz-Personal eine 360-Grad-Kamera, das Top-Infotainment mit Navi und Sprachsteuerung, beheizbare Vordersitze sowie die wichtige Wärmepumpe dabei. Zum Vergleich: Beim VW ID.3 geht das Preisspektrum erst bei 38.060 Euro los.

Die Lieferzeiten für den MG4 Electric gibt der Hersteller mit vier Wochen bis neun Monate an, mit Glück kommt man also noch in diesem Jahr an sein Fahrzeug und darf dann die auslaufende große Subvention in Höhe von 9570 Euro abziehen. Bedenkenträger beruhigt MG mit einer Garantie auf Batterie und Motor, die sich über sieben Jahre beziehungsweise 150.000 Kilometer erstreckt.

Diese Farbe heißt "Fizzy Orange".

Diese Farbe heißt "Fizzy Orange". © Hersteller

Die treue Volkswagen-Gefolgschaft dürfte standhaft zum ID.3 stehen. Doch die Elektromobilität hat die Karten neu gemischt und bei den Wechselwählern unter den Autokäufern die Offenheit gegenüber frischen Marken befördert. Hier liegt die Chance für neue „Player“ wie MG. Dabei reicht die Historie der Marke eigentlich weit zurück, konkret bis ins Jahr 1924. Nach einer wechselvollen Geschichte firmiert der einstige Sportwagenhersteller heute unter dem Dach von SAIC Motor, dem größten Automobilhersteller Chinas. Hier ergibt sich auch eine Verbindung zu VW: Im Rahmen des Joint-Ventures SAIC Volkswagen Automotive werden Volkswagen-Modelle für den chinesischen Markt gebaut.

MG4 Electric in Kürze:

Wann er kommt: Marktstart bereits erfolgt

Wen er ins Visier nimmt: VW ID.3, Cupra Born, Renault Mégane E-Tech Electric, Hyundai Kona Elektro, Kia e-Niro

Was ihn antreibt: Elektromotor mit 125 kW/170 PS oder 150 kW/204 PS

Was er kostet: Ab 31.990 Euro

Was noch folgt: Wahrscheinlich Modellvarianten mit größerem 77-kWh-Akku und Allradantrieb.

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