Fehlstart zu Schuljahresbeginn

Einführung der Pooltests in Grund- und Förderschulen: "Ein einziges Desaster"

6.10.2021, 05:56 Uhr
30 Sekunden auf dem Lolli lutschen und fertig ist der PCR-Pooltest, den alle Grund- und Förderschüler zweimal pro Woche machen. Doch dahinter steckt ein riesiger logistischer Aufwand, den die Schulen stemmen müssen.

© Roland Weihrauch/ dpa, NN 30 Sekunden auf dem Lolli lutschen und fertig ist der PCR-Pooltest, den alle Grund- und Förderschüler zweimal pro Woche machen. Doch dahinter steckt ein riesiger logistischer Aufwand, den die Schulen stemmen müssen.

Es ist 2.03 Uhr morgens, als bei Christine Stockfisch endlich die erhoffte Mail in ihrem Posteingang aufploppt. Bis dahin hatte sie kaum geschlafen, weil immer noch kein Ergebnis vorlag, ob die Tests ihrer Schüler negativ ausgefallen waren oder möglicherweise eine positive Poolprobe dabei war. Sollte eine Poolprobe positiv sein und es steht noch nicht fest, welches Kind konkret mit dem Coronavirus infiziert ist, muss die gesamte Klasse an diesem Tag zu Hause bleiben. Eine Entscheidung, die die Schule dann kurzfristig umsetzen muss. Das ist nicht nur eine große Zusatzbelastung für die Schule sondern stößt auch Eltern wie Kinder massiv vor den Kopf.

Liegt noch gar kein Ergebnis vor, werden die Kinder am nächsten Morgen mithilfe von üblichen Schnelltests "nachgetestet" - eine weitere Schulstunde geht für die Tests meistens verloren, in denen eigentlich das Lernen im Vordergrund stehen sollte.

In der Theorie sollen bis 19 Uhr am Testtag die Ergebnisse der Schulleitung vorliegen, bis spätestens 6 Uhr morgens am Folgetag anhand der zweiten Rückstellprobe soll feststehen, welches Kind konkret mit dem Coronavirus infiziert ist. Seit Einführung der Tests in ihrer Grundschule in Thon, kam an keinem Tag die Ergebnismail vor 23 Uhr an - die späteste Mail erreichte die Schulleiterin erst um 5 Uhr morgens.

"Ich kann nicht mehr schlafen", sagt Stockfisch, "weil ich jede Nacht mehrmals in die Mails schaue". Bereits in Schulwoche drei seien sie und ihre Mitarbeiter an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht mehr könnten. Doch es ist die Verantwortung für ihre Schulkinder, die sie weitermachen lässt - und das auch gerne. "Ich hätte mir gewünscht, dass uns das Kultusministerium eine vierwöchige Probephase zugestanden hätte. Dann wäre viel Druck von uns genommen worden." Nun hofft Stockfisch, dass sich die Kinderkrankheiten erledigt haben und in Sachen Pooltestung langsam Normalität einkehrt.

Rund 500.000 Schüler sollen am Ende an über 3000 Standorten mehrmals in der Woche getestet werden können. In Schulwoche drei haben sich laut Kultusministerium rund 90 Prozent der Schulen an den Lollitests beteiligt. Die Proben werden derzeit von zehn Laboren in ganz Bayern analysiert. Die jeweiligen Landratsämter mussten rund eine Woche vor Schulbeginn die Logistik organisieren und Routen planen, damit alle Proben eingesammelt und ins nächstgelegene Labor transportiert werden können.

Die Schulleitungen wurden nahezu täglich mit Neuerungen und Änderungen konfrontiert, obwohl eigentlich im Fokus die Einschulung und das neue Schuljahr stehen sollte. Das Einloggen in die Software, der digitalen Schnittstelle für die Laborergebnisse, geriet noch zu Schulbeginn zur Geduldprobe oder klappte gar nicht. "Die Schulen und alle weiteren am Verfahren Beteiligten haben bei der sehr aufwändigen Umstellung auf das komplexe neue System Hervorragendes geleistet", formuliert es Kultusminister Michael Piazolo. Mit den Worten von NLLV-Mitglied Christine Stockfisch klingt das anders: "Es war ein einziges Desaster. Die Schulen haben mehr als alles gegeben, um das trotzdem bestmöglich umzusetzen."

Die Berichte zur Einführung der Tests und dem damit verbundenen Chaos gleichen sich überall, egal ob in Neumarkt, dem Landkreis Forchheim oder im Landkreis Erlangen-Höchstadt. Der Vizepräsident des Bayerischen LehrerInnenverbands (BLLV) Tomi Neckov berichtet, dass er in der zweiten Schulwoche Hunderte Fälle geschildert bekommen habe, bei denen insbesondere die Ergebnisse viel zu lange auf sich warten ließen. Die Schulen setzt das enorm unter Druck, denn sie müssen bei einem positiven Fall schnell reagieren. Und Lehrkräfte müssen derzeit viel Zeit darauf verwenden als medizinische Fachkraft zur Verfügung zu stehen. "Wann bleibt neben dem ganzen Verwaltungswahnsinn noch Zeit für das Wesentliche?", sagt Neckov.

Eines der Testlabore, das die Pooltests analysiert, ist Synlab in Weiden in der Oberpfalz. Ein Großteil der Proben aus der Region wird dort untersucht. Synlab mit Hauptsitz in Augsburg ist sich der aktuellen Problematik bewusst. "Wir stehen in konstantem Austausch mit allen Beteiligten, um Prozesse und Abläufe zu optimieren", heißt es auf Nachfrage. Grundsätzlich würden die Kapazitäten des Labors ausreichen, betont Pressesprecher Christian Ries. "Wir wollen das Personal weiter aufstocken, um eine noch schnellere Analyse der Proben zu ermöglichen", verspricht er.

Opposition spricht von organisatorischem Totalversagen

Rückendeckung bekommen die Schulleitungen auch von der Opposition im Landtag: "Das organisatorische Unvermögen der bayerischen Staatsregierung war selten so eindrucksvoll dokumentiert, wie bei diesem Schulstart. Es ist allein den unzähligen engagierten Schulleitern und Lehrern zu verdanken, dass dieser nicht völlig im Chaos geendet ist", sagt der bildungspolitischen Sprecher der FDP im Landtag, Matthias Fischbach. "Was wir gerade sehen, ist keine 'positive Zwischenbilanz', sondern ein organisatorisches Totalversagen. 70 Prozent der Schulen konnten nicht an der für den 20. September geplanten Einführung der PCR-Pooltests an Grund- und Förderschulen teilnehmen. Bis heute gibt es große Liefer- und Logistikprobleme."

Piazolo ist indes um Schadensbegrenzung bemüht: "Wir wollen hineinhören, wie der Schulstart aus Sicht der Beteiligten gelaufen ist, wo der Schuh drückt und was man noch verbessern muss. Für die Schulleitungen, die Verwaltungsangestellten und die Lehrkräfte war es natürlich ein sehr arbeitsintensiver Schulstart."

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