"Jahrhundert-Fund": Nur die Fürther können diese Rüstung röntgen

26.9.2020, 05:49 Uhr
Restauratorin   Rebekka Kuiter legt vorsichtig Schicht für Schicht des Brustpanzers frei.

© Friso Gentsch Restauratorin  Rebekka Kuiter legt vorsichtig Schicht für Schicht des Brustpanzers frei.

Normalerweise bringen sie ihre Fundstücke ins Krankenhaus, um sie zu röntgen. Doch diesmal war die Kiste so groß, dass sie zum Flughafen fahren mussten. „Wir haben erwartungsfroh auf den Bildschirm gestarrt – und sahen nur einen schwarzen Klumpen“, erzählt Stefan Burmeister. „Zum Glück konnte uns dann das Fraunhofer Entwicklungszentrum für Röntgentechnik in Fürth helfen.“ Burmeister leitet das Museum Kalkriese bei Osnabrück in Niedersachsen. Gestern präsentierte er den bedeutendsten Fund, den sie dort jemals gemacht haben.

„Für die Wissenschaft ist das absolut herausragend, wir können daraus so viel ablesen“, sagt Burmeister. Die Rüstung ist mehr als 2000 Jahre alt und trotzdem vollständig. „Das ist der bislang älteste und der einzige erhaltene Schienenpanzer“, sagt der Museumsleiter. „Das erlaubt uns ganz neue Einblicke in die römische Militärtechnik.“

Die Schlacht im Teutoburger Wald

Im Jahr neun nach Christus kämpften am Teutoburger Wald die Römer gegen die Germanen. Hier hat vielleicht ein Teil der berühmten Varusschlacht stattgefunden, in der das germanische Heer unter Cherusker-Fürst Arminius gleich drei römische Legionen besiegte und verhinderte, dass sie weiter bis zur Elbe vorrücken.


Erlanger Historiker bauen Römerboot nach


So könnte die Rüstung Typ Kalkriesean einem römischen Legionär ausgesehen haben.

So könnte die Rüstung Typ Kalkriesean einem römischen Legionär ausgesehen haben. © Roland Warzecha

Seit den 1980er Jahren gibt es archäologische Ausgrabungen in Kalkriese. „Solche Funde kommen unvorhergesehen auf uns zu, aber alles, was weiter damit geschieht, wollen wir nicht dem Zufall überlassen“, erklärt Burmeister. „Wir wussten sehr lange nicht, was wir hier vor uns haben.“ Schon vor zwei Jahren sind die Archäologen auf die interessante Stelle gestoßen.

Doch statt im Freien weiter zu graben und dabei womöglich etwas zu zerstören, haben sie den Fund mit Gips übergossen und einen etwa ein mal ein Meter großen Block im Ganzen ausgegraben. „Wir wollten vorab wissen, was genau da drin ist, um es dann ganz gezielt, sachgerecht und mit maximaler Vorsicht im Labor freizulegen.“

Deshalb brachten sie die 500 Kilo schwere Kiste nach Fürth – zum weltweit größten öffentlich zugänglichen Computertomographen. „Unser System hat eine 40-fach höhere Energie als das am Flughafen“, erklärt Katrin Zerbe, die das Projekt bei Fraunhofer begleitet hat. „Nur deshalb kommen wir durch den Block durch.“

Mehrere Tage lang drehte sich die Kiste einmal um sich selbst. Dabei sind 1500 Aufnahmen entstanden, mit einer Auflösung von unter einem Millimeter. „Wir können Unsichtbares sichtbar machen“, sagt Zerbe. „Das ist ein wichtiger Schritt zur virtuellen Erfassung historisch bedeutsamer Objekte.“ Auch Autos, Dinosaurier-Schädel und alte Musikinstrumente aus dem Germanischen Nationalmuseum haben sie in Fürth-Atzenhof schon geröntgt. „Wir sind stolz, bei diesem bedeutenden Fund dabei sein zu dürfen“, sagt die Physikerin.

Leichter als ein Kettenhemd

Im Inneren konnten die Forscher 30 Eisenplatten sehen, das heißt, es fehlen nur vier bis fünf Platten, damit die Rüstung vollständig wäre. Scharniere, Schnallen und Bronzebeschläge sind erkennbar und sogar Lederreste sind erhalten. Solche Brustpanzer schützten jahrhundertelang die Oberkörper römischer Legionäre. Sie wiegen etwa acht Kilo und sind damit nur halb so schwer wie ein Kettenhemd. Durch die Einzelteile konnten sie auch leichter repariert werden.

Die Erde hat die Rüstung zwar im Laufe der Zeit wie eine Ziehharmonika zusammen gedrückt, trotzdem lässt der Fund „eine herausragende handwerkliche Qualität erkennen“, heißt es im Museum. Bislang dachten Experten, dass diese sogenannten Schienenpanzer technisch noch wenig ausgereift waren. Doch das widerlegt der Fund. Zuvor waren nur sechs solcher Panzerhälften in England gefunden worden.

Ein Jahr lang wird es dauern, bis all die empfindlichen Einzelteile freigelegt sind. Ab 2023 soll die antike Rüstung in einer Sonderausstellung im Museum Kalkriese zu sehen sein. Bis dahin können Interessierte in Videos auf Facebook und Youtube die Reise des Brustpanzers verfolgen.

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