Sieben Jahre für den Lebenstraum: Pilot baut sich eigenes Flugzeug

7.11.2020, 07:50 Uhr
Rainer Stark in seiner RV-7RS: An der Art und Weise, wie die Instrumente im Flugzeug platziert sind, erkennt man den Berufspiloten.

© Marianne Natalis Rainer Stark in seiner RV-7RS: An der Art und Weise, wie die Instrumente im Flugzeug platziert sind, erkennt man den Berufspiloten.

"Über den Wolken" singt Reinhard Mey, und der Berufspilot Rainer Stark kennt sicher sowohl das Lied als auch das Gefühl. Doch seit kurzem fängt seine grenzenlose Freiheit schon am Boden an, wenn er das große Tor der hinteren Halle droben am Flugplatz öffnet. Dort fällt sein Blick sofort auf die nagelneue RV-7A. Sie ist beileibe nicht irgendein Flugzeug, sondern ein ganz besonderes Kleinod. Der 56-Jährige Gunzenhäuser hat es selbst gebaut, Niete für Niete, Schraube für Schraube.

Gestern, erzählt er an diesem goldenen Oktobertag mit einem dazu passenden strahlenden Lächeln, ist er nach Coburg geflogen. Dort hat er sich die Stadt angeguckt – sehr schön, so sein Urteil – und eine lokale Besonderheit mitgebracht, die er nun zu unserem Gespräch serviert: Coburger Schmätzchen. Die muss er nicht für besondere Gelegenheiten aufheben, er kann sich ja jederzeit neue holen. So wie er jetzt auch schnell übers Wochenende an die Nordsee fliegen kann oder in den Urlaub nach Elba. Rund 1300 Kilometer Reichweite hat sein metallicrot-weißes Flugzeug, mit dem er sich einen Lebenstraum erfüllt hat.

Die Liebe zum Flugzeugbau hat er von seinem Vater, der sich allerdings noch auf Modellflugzeuge beschränkte. Dass es auch größer geht, hat Rainer Stark in der Küche von Hermann Witzleben erfahren. Der erste Vorsitzende der damals noch jungen Flugsportvereinigung "Gelbe Bürg" baute dort Segelflugzeuge für den Verein.

Anfang der 1990er ließ sich Rainer Stark "sämtliches Prospektmaterial", das es zum Bau von einmotorigen Flugzeugen gab, schicken und studierte es begeistert. Doch dann forderte das Leben mit seinen Höhen und Tiefen seinen Tribut, der Traum geriet immer mehr in Vergessenheit.

Familie Stark unterstützt die Flugzeugträume

Aber nie ganz. Vor etwa acht Jahren nahmen die Pläne wieder Gestalt an und der Berufspilot weihte seine Frau Heike bei einem Sonntagsfrühstück in die Idee ein. Denn die Familie, das weiß Stark, muss hinter so einem Projekt stehen, sonst funktioniert es nicht. Und dann machte er sich ans Werk.

Nun muss man nicht glauben, dass man einfach einen Bausatz bestellen und loslegen kann. Ein Flugzeug zu bauen ist ein "Mordsaufwand", sagt Stark, und während er erzählt, wird bald klar, dass das eher noch untertrieben ist.

Und damit sind nicht allein die 3000 reellen Baustunden oder die etwa 20.000 Nieten, die er mit Unterstützung seiner Frau Heike angebracht hat, gemeint, nicht der ganze Staub und Dreck oder die sechs Jahre, in denen die Garage von dem langsam Gestalt annehmenden Flugzeug besetzt war. Wer ein solches Projekt startet, braucht mehr als nur Ausdauer, er braucht Geduld und technisches Know-how, er muss akribisch arbeiten können und darf auch vor bürokratischen Hürden nicht zurückschrecken.

Von ihnen müssen im Laufe der Zeit unzählige überwunden werden. Schon die Beschaffung der benötigten Teile hört sich für den Laien abenteuerlich an. Dank seines Berufs kommt Stark viel in der Welt herum, und entsprechend international ist sein Flugzeug geworden. Der Bausatz für die Karosserie – und nur für die gibt es einen – kommt aus den USA, der Motor aus Kanada.


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Da ein Flugzeug, wenn es fertig ist, weltweit als zollfrei gilt, benötigte Stark für die Einzelteile der Karosserie – sie kamen in Riesenkisten per Schiff nach Hamburg und von dort per Spedition nach Gunzenhausen – Lagerräume, die nicht nur vom Luftfahrtbundesamt als geeignet eingestuft, sondern auch als "zollfreie Lager" anerkannt wurden. Das kontrollierten die Beamten des Zolls auch tatsächlich. Allerdings, schildert Stark das Problem, kennt sich kaum jemand mit dieser doch eher ungewöhnlichen Materie aus. Einmal brachte er aus Südafrika Kunststoffteile für sein Flugzeug mit. Die hat er am Ende in Frankfurt um des lieben Friedens willen verzollt.

Ohne Zulassung vom Luftfahrtbundesamt geht nichts

Bevor Stark allerdings die Karosserie bestellt hat oder gar die erste Schraube setzen konnte, benötigte er eine Zulassung vom Luftfahrtbundesamt. Ein Gutachter der Behörde überprüft in so einem Fall die eigenen Fähigkeiten, das vorhandene Werkzeug und die Räumlichkeiten.

Als gelernter Werkzeugbauer waren die ersten beiden Punkte für Stark kein Problem. Und da er sich für den Baustoff Metall ("der ist ehrlicher") entschieden hatte, wurde auch seine Garage als Werkstatt akzeptiert. Holz- und Kunststoffflugzeuge werden verleimt, und damit der Kleber aushärten kann, muss man 24 Stunden lang eine gleichbleibende Temperatur vorhalten können.

Wenn man den Bau eines Modellflugzeugs in den Sand setzt, dann ist das ärgerlich, aber man kann es in der Regel verschmerzen. Eine Karosserie für ein echtes Flugzeug kauft man aber nicht mal eben aus der Portokasse. Deshalb wollte Stark sichergehen, dass er so ein Projekt wirklich bewältigen kann, und startete erst einmal mit dem Leitwerk. Hier wären im schlimmsten Fall "nur" 2500 Dollar verloren.

Der 56-Jährige ist keiner, der Dinge überstürzt angeht, er lässt sich Zeit, durchdenkt seine Schritte mehrfach und beleuchtet sie von allen Seiten – was bei einem Flugzeug ja ganz sicher nicht von Schaden ist. Über drei Monate dauerte die Probephase, dann war das Leitwerk fertig. "Heute könnte ich das in zwei bis drei Wochen bauen", sagt Stark, mittlerweile hat er ja Routine.

Wer schon einmal ein Ikea-Regal aufgebaut hat, kennt das Ritual: erst einmal überprüfen, ob auch alle Teile vorhanden sind. Eine etwas andere Hausnummer ist das bei tausenden Nieten und Schrauben, unzähligen Blechtafeln, Winkeln und was noch alles für Teile.


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Ist alles überprüft, heißt "Bausatz" bei einer Flugzeugkarosserie dann aber immer noch nicht, dass man das einfach mal eben zusammenschrauben kann. Jede Nietbohrung musste Stark noch einmal aufbohren, damit die Riefen in die richtige Richtung gehen und keine Missbildung zeigen. Jede Metallkante hat Stark "entgratet", um möglichen Beschädigungen vorzubeugen, jedes verbaute Teil benötigte Korrosionsschutz, da Aluminium hier sehr anfällig ist.

Damit nicht genug, musste Stark jede Niete, jede Schraube, jede Bohrung, einfach jeden Handgriff in einem Bautagebuch dokumentieren. Das musste in regelmäßigen Abständen einem eingetragenen Prüfer vorgelegt werden.

Zehn heikle Bauphasen

Und dann sind da noch die "Schlüsselstellen". Es gibt, berichtet Stark, ungefähr zehn Bauphasen, in denen das Projekt Spitz auf Knopf steht. "Wenn man die verhunzt", dann kann sogar das ganze Projekt sterben. Die Flügel sind so ein Fall. In die hat Stark "lange mentale Phasen" investiert. Sie müssen in jeweils zwei Löcher pro Seite eingepasst werden, und die gilt es an haargenau der richtigen Stelle zu bohren, sonst wird es nie einen Jungfernflug geben.

Steht die Karosserie einmal, dann beginnt der Teil, der das Kleinflugzeug zu einem ganz individuellen Stück macht. Vom Layout des Cockpits über die Gestaltung des Innenraums, von der Instrumentierung bis zur Elektrik bleibt ab da alles dem Bauer überlassen. "Ich habe sogar nähen gelernt", schmunzelt Stark.

Klar gibt es bei so einem Vorhaben immer wieder Momente, in denen man allein nicht weiter weiß. Wertvolle Tipps fand er im Internet, dort gibt es ein "unheimlich gutes Forum, in dem sich alle RV-Bauer treffen". Und einmal mehr war sein Beruf von Vorteil. Er knüpfte in den USA Kontakte mit professionellen RV-Bauern. Wann immer er in Dallas gelandet ist, hat er sie besucht und dort viel gelernt.

So hielt das Projekt Stark jahrelang in Atem, doch irgendwann waren alle Schrauben festgedreht, alle Gutachten geschrieben, alle Prüfungen bestanden – und der große Moment gekommen: Es war an der Zeit, dass der Vogel abhebt.

Doch dann kam erst einmal Corona. Immerhin hatte er so viel Zeit, um mit dem Hund seine geplante Flugroute abzugehen und sich alle Außenflächen genau einzuprägen. Denn der erste Start ist auch die erste große Belastung für die Instrumente und vor allem den Motor. Da er luftgekühlt ist, kann er nicht am Boden auf Herz und Nieren getestet werden. Wenn sich durch die starken Vibrationen auch nur ein Schläuchlein löst, dann ist guter Rat extrem teuer – und der Pilot muss wissen, wo er notlanden kann. "Hochkonzentriert" sei er deshalb an diese letzte und entscheidende Phase gegangen.

Sein Flugzeug nahm auch diese Hürde souverän. Die halbstündige Runde in Platznähe verlief ohne Zwischenfälle, und mittlerweile hat die Maschine auch schon ein paar Flugstunden auf dem Buckel. Noch befindet sie sich in der Flugerprobung, aber irgendwann im kommenden Jahr können die Starks dann gemeinsam in den Urlaub fliegen und diese grenzenlose Freiheit genießen.

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