Wenig Hilfe für Geflüchtete

"Wie in einem dieser Zombie-Filme" - Afghanische Familie berichtet über Flucht

2.12.2021, 05:56 Uhr

© Foto: Isabel-Marie Köppel

So ergeht es der Familie Qahar, die aus Afghanistan vor der Gewalt der Taliban flüchten musste. Und um es gleich vorneweg zu nehmen: Zabiullah Qahar, der in Kabul für die Nato arbeitete, ist dankbar hier zu sein, seine Familie in Sicherheit zu wissen. Es ist kein Zeugnis von Undankbarkeit, wenn er von seiner Situation berichtet, die schwierig ist. Sie wäre es für jeden in seiner Lage – das lässt sich wohl ohne Zweifel behaupten.

Zabiullah Qahar ist 34 Jahre alt und arbeitete fast 18 Jahre für die Nato in der afghanischen Hauptstadt. Er spricht mehrere Sprachen und übernahm Dolmetscheraufgaben. Er erzählt seine Geschichte auf Dari (Persisch), seine Schwester übersetzt alles in sehr gutes Deutsch. Sie kam vor drei Jahren nach Berlin, um dort zu studieren. Mehr möchte sie über ihre Identität nicht preisgeben.

Nun versucht sie, so gut sie es kann, ihre Verwandtschaft in Heidenheim zu unterstützen. Denn als Zabiullah Qahar, seine Frau Zahra (27), deren Kinder Zohal (3), Somaya (4), Omar (8) und Aysha (9) sowie sein Bruder Samiullah (22) vor etwa sechs Wochen in der Hahnenkamm-Gemeinde ankommen, wird ihnen zwar eine Wohnung zugewiesen, mehr aber nicht. Sie hatten kein Geld, nichts zu essen, niemanden, der sich kümmert.

Kein zuständiges Personal vor Ort

Die Regierung von Mittelfranken mietet die Gebäude in der sogenannten Gundekarsiedlung in Heidenheim. Laut eines Sprechers ist bei der Ankunft "grundsätzlich gewährleistet, dass die Geflüchteten in Empfang genommen und ihnen die Wohnungsschlüssel übergeben werden". Außerdem steht in der schriftlichen Mitteilung: "Das Unterkunftspersonal und die Unterkunftsverwaltung stehen den Bewohnerinnen und Bewohnern bei Fragen zur Verfügung und nennen ihnen bei Bedarf geeignete Ansprechpartner. Sie haben jederzeit die Möglichkeit, sich während der Dienstzeit persönlich an das Unterkunftspersonal im Büro in der Gundekarsiedlung zu wenden oder telefonisch mit der Unterkunftsverwaltung Kontakt aufnehmen."

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Die Realität scheint aber eine andere zu sein, wie sich am Beispiel der Qahars zeigt. Auch Michael Nedler von der Beratungsstelle für Geflüchtete der Diakonie Weißenburg-Gunzenhausen bestätigt das. Es sei zwar Personal da, das Ankommende auch zum Einwohnermeldeamt bringe, aber dabei handle es sich um Hausmeister. Und dass diese andere Aufgaben und Fähigkeiten haben, liegt auf der Hand. Laut der Heidenheiner Verwaltung sind derzeit 75 Geflüchtete syrischer, afghanischer und irakischer Herkunft dort gemeldet.

Ein anderes Problem ist die Sprachbarriere. Telefonisch Kontakt aufnehmen ist sicher nicht einfach, wenn man kein Deutsch spricht. Dolmetscher stehen nicht zur Verfügung, ist von der mittelfränkischen Regierung zu erfahren. "Falls eine Verständigung nicht möglich ist, können jedoch meistens Bewohner aus der Unterkunft als Sprachmittler hinzugezogen werden", heißt es schlicht.

Als Ortskraft in großer Gefahr

Seit dem 2. September befinden sich die Qahars in Deutschland. Mithilfe der Amerikaner konnten sie über Katar zum US-Stützpunkt nach Ramstein (Rheinland-Pfalz) ausfliegen. Zabihulla Qahar war einer der sogenannten Ortskräfte, dem durch seine Arbeit für ausländische Sicherheitskräfte große Gefahr durch die Machtergreifung der Taliban drohte. Mitte August nahmen diese Kabul ein.

"Er kann nicht zurück", macht seine Schwester klar. Auch die übrige Familie, Eltern und weitere Geschwister, die es nicht herausgeschafft haben, seien in Gefahr. "Die Taliban gehen von Tür zu Tür und fragen alle aus", sagt sie. Sowohl Nachbarn als auch ein Cousin würden sie verraten, denen die liberale Lebensweise der Qahars missfiel. Deshalb verließ die Familie überstürzt das Haus und halte sich versteckt.

Wer an den Sommer zurückdenkt, erinnert sich, wie unfassbar überraschend die Nachricht kam, dass die Terrorgruppe so schnell die Hauptstadt und somit das gesamte Land in ihre Gewalt bringen konnte. Ebenso erging es den Menschen vor Ort, erzählen Zabiullah Qahar und seine Schwester. "An dem Tag habe ich mit meiner Mutter telefoniert. Meine Schwestern sind zur Uni und wir haben ganz normal Tschüss gesagt", erinnert sich die 27-Jährige. Kurz darauf habe sie die Nachricht aufs Handy bekommen: Kabul wurde gestürzt.

"Alles ist vor meinen Augen passiert"

"Das war unglaublich. Eine Katastrophe für uns alle, ein Schock", sagt sie. Daraufhin spricht ihr Bruder zu ihr. "Oh Gott, das ist wie in diesen Zombie-Filmen", kommt es aus ihrem Mund. Der Nato-Stützpunkt in Kabul befinde sich auf dem Flughafengelände. Tausende Menschen hatten große Angst und versuchten über die hohen Mauern zu gelangen. Darunter Taliban, die plünderten und mordeten. "Alles ist vor meinen Augen passiert", übersetzt sie. Er habe auch gesehen, wie die Menschen vom Flugzeug gefallen sind, die sich voller Verzweiflung daran geklammert hatten. Bilder, die uns auch in Deutschland erreichten. Manche seien den Fliegern hinterhergerannt und kamen in dem starken Luftstrom, der sich beim Starten bildet, um oder blieben schwer verletzt zurück.

Laut Zabiullah Qahar befanden sich mehr als 50 Personen in dem Flugzeug, das sie aus Kabul rausbrachte.

Laut Zabiullah Qahar befanden sich mehr als 50 Personen in dem Flugzeug, das sie aus Kabul rausbrachte. © privat, NN

Zabiullah Qahar konnte seine Familie am zweiten Tag zu sich holen. Es gibt ein Video, wie die Kinder mit ihren kleinen Rucksäcken von verstaubten Soldaten schnell vorwärts zu ihrem Vater geschoben werden. Im Hintergrund sind die dicken Mauern zu sehen. Die verzweifelten Bemühungen der in Berlin lebenden Tochter, die restliche Familie aus Kabul rauszuholen, scheiterten bisher.

Etwa anderthalb Wochen harrten die Qahars im Kabuler Flughafen aus, bis sie mit einer Maschine der USA ausfliegen konnten. In Ramstein angekommen hatten sie die Wahl zwischen den Staaten und Deutschland. Zabiullah Qahars Entscheidung fiel auf die Bundesrepublik. "Ich finde Deutschland ist da beste Land der Welt. Ich habe mich dafür schon immer interessiert. Außerdem gibt es hier bessere Lebens- und Bildungschancen für meine Kinder als in den USA", lautet die übersetzte Antwort.

1292 Geflüchtete im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen

Warum sie dann nach Heidenheim kamen, wissen sie nicht. Die Regierung von Mittelfranken klärt auf, dass das Bayerische Innenministerium vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Liste der afghanischen Ortskräfte, die für Bayern bestimmt sind, erhält. Daraufhin werden diese Personen auf die Regierungsbezirke verteilt. Das erfolge nach dem Kriterium "Bindung", also ob bereits Bezugspersonen vor Ort bekannt sind, und nach dem Kriterium "Kapazität". Das heißt, wie viele Plätze in einem Regierungsbezirk zur Verfügung stehen.

Laut Landratsamt leben derzeit 1292 Geflüchtete im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen. Für deren Beratung ist allein Michael Nedler von der Diakonie zuständig. Er sagt, insgesamt betreut er über 200 Familien, also sicher 1000 Personen. Täglich bildeten sich lange Schlangen vor seinem Weißenburger Büro. Ein, zwei oder drei Stunden Wartezeit seien die Regel. Ist er im Urlaub oder mal krank, kümmert sich niemand. Er erledigt für die Geflüchteten den Papierkram: Anträge für Jobcenter, Familiengeld, Kindergeld, Kindergartenplatz. Mehr kann er angesichts der Fülle nicht tun. Wie sehr ihn das frustriert, ist deutlich zu hören.

Es überhaupt zu ihm zu schaffen, ist jedoch für manche – je nach Wohnort – wohl die größte Hürde. "Wer zu mir will, muss kommen. Anders kann ich es nicht leisten", bedauert Nedler. Beispiel: Wer an einem normalen Donnerstag mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von Heidenheim nach Weißenburg kommen will, braucht etwa anderthalb Stunden. Erst mit dem Bus nach Gunzenhausen, von dort mit dem Zug nach Pleinfeld, dann weiter nach Weißenburg. Und das ist noch die schnellste Verbindung mit nur zwei Umstiegen.

Migranten sollen Job finden und "Ruhe geben"

Martin Ruffertshöfer, Geschäftsführer und Bezirksstellenleiter der Diakonie Weißenburg-Gunzenhausen, weiß von den Schwierigkeiten. Er erklärt, gemäß der Beratungs- und Integrationsrichtlinie des Innenministeriums, ist der Landkreis verpflichtet, ein Beratungsangebot anzubieten. Die Diakonie übernimmt diese Aufgabe. 70 Prozent der Personalkosten seien durch die Förderung gedeckt, den Rest müsse der Wohlfahrtsverband aufbringen. So ergeben sich zwei Stellen: eine davon besetzt Michael Nedler, die andere teilen sich zwei Mitarbeiterinnen, die im Frauenhaus in Kattenhochstatt tätig sind.

"Die Versorgung ist nicht so, wie man sie sich wünscht", sagt Ruffertshöfer. Doch die Diakonie könne an den Rahmenbedingungen nichts ändern. Es sei ein bayernweites Problem. Da die Zuwanderung abgenommen habe, stelle der Freistaat weniger Mittel zur Verfügung. Viele Träger seien schon, ausgestiegen, weil es sich nach deren Ansicht um eine staatliche Aufgabe handle. "Integration wird nicht mehr richtig gefördert", findet der Diakonie-Chef. Die Politik wolle nur noch, dass die Migranten einen Job finden und "Ruhe geben". In der Realität sei das aber nicht so einfach. Fehlende Sprachkenntnisse, Frauen mit Kopftuch werden nicht so gut angenommen, und wer hole sich schon Flüchtlinge in die Wohnung, zählt er unverblümt auf.

Kaum eine Chance auf dem Mietmarkt

Auch Nedler erzählt, dass manche bereits seit Jahren in der Gundekarsiedlung festsitzen: "Die Sätze des Jobcenters sind nicht sehr realistisch." Für eine Dreizimmerwohnung mit 75 Quadratmetern hält das Jobcenter eine Miete von 487 Euro inklusive Nebenkosten und zuzüglich 120 Euro Heizkosten für "angemessen", ist einem Infoblatt zu entnehmen.

Mittlerweile ist aus Angela Merkels "Wir schaffen das" ein "Ja, wir haben das geschafft" geworden, war den Medien vor kurzem zu entnehmen. "Die Frage wie, ist eine andere", kommentiert Ruffertshöfer. Das Thema Migration stehe eben nicht mehr im Vordergrund. Aber auch bei der Diakonie selbst scheint es bald keine Rolle mehr zu spielen. Wie zu erfahren ist, reiht sich der Wohlfahrtsverband ein und will die Beratung Ende 2022 abgeben.

Obwohl Zabiullah Qahars Deutschland und auch Heidenheim schön finde, tue sich seine Familie mit dem Landleben schwer. Einen Kulturschock erlebe er zwar nicht, schließlich habe er schon für "die Menschen der ersten Welt gearbeitet", doch ihm ist wichtig zu betonen, dass er nicht freiwillig hier ist und sein Land liebt. Er habe immer geglaubt, es werde Frieden geben, doch nun kann er nicht zurück. Er würde umgebracht. Drei Monate dürften sie erstmal hier bleiben, weitere Anträge sind gestellt.

Hoffen auf eigene Wohnung

Kleidung und Spielsachen haben sie derzeit genug. Seine Schwester hat Freunde um Spenden gebeten. Denn Afghanistan verließen sie nur mit der Kleidung, die sie am Leib trugen. Koffer durften sie nicht mitnehmen. Nun sucht die sechsköpfige Familie dringend eine Wohnung. Außerdem braucht der jüngere Bruder Samiullah eine eigene oder ein Zimmer. Außerdem würde sich Zabiullah Qahar freuen, wenn er wieder seinem Hobby, dem Radsport nachgehen könnte. Früher nahm er sogar an internationalen Wettkämpfen teil. Fünf Ortskräfte mit Familie leben mittlerweile in Heidenheim. Natürlich brauchen auch sie und alle anderen Geflüchteten Hilfe.

Wer helfen möchte, kann sich an die Flüchtlingshilfe Wald oder an Weißenburg hilft wenden. Die Freiwilligenagentur des Landratsamts ist ebenso eine Anlaufstelle, gerade wenn Sie eine Wohnung anzubieten haben.

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