Hilft Vitamin D bei Covid-19? Nutzen ist umstritten

20.12.2020, 06:00 Uhr
Ein Spaziergang in der Sonne hilft auch im Winter, den Vitamin-D-Speicher zumindest ein bisschen aufzufüllen.

© Julian Stratenschulte, dpa-tmn Ein Spaziergang in der Sonne hilft auch im Winter, den Vitamin-D-Speicher zumindest ein bisschen aufzufüllen.

Es klingt so schön einfach: Vitamin D helfe gegen Covid-19, verspricht manche Internetseite. Als könnte jeder ein paar Nahrungsergänzungsmittel schlucken und wäre geschützt. Aber so einfach ist es in der Medizin selten. "Die bisherigen Studien waren zu klein, um dazu eine fundierte Aussage zu treffen", sagt Markus Gosch, Ärztlicher Leiter der Geriatrie am Klinikum Nürnberg und Professor an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) in Nürnberg.

"Generell weiß man, dass Vitamin D gut für das Immunsystem ist und Menschen mit ausgeglichenem Vitamin-D-Spiegel weniger anfällig sind für Infekte und sie wenn dann besser durchstehen." Das könnte aber auch an anderen Faktoren liegen. "Wer viel draußen unterwegs ist und in der Sonne Vitamin D tankt, ist meistens ohnehin fitter und damit gesünder als Menschen, die die meiste Zeit zuhause sitzen", erklärt Gosch.


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Vitamin D ist eigentlich gar kein richtiges Vitamin. Anders als etwa die Vitamine A, B und C nehmen es die Menschen nicht hauptsächlich über die Nahrung auf. Sondern der Körper bildet bis zu 90 Prozent davon selbst, in Nieren und Leber, wenn UVB-Strahlung auf die Haut trifft. Im Sommer ist der Spiegel im Blut deshalb bei den meisten gut gefüllt. Im Winter dagegen sinkt er.

Eine Studie am Universitätsklinikum Cordoba hat im Oktober versucht, die Wirkung bei Covid-19 zu zeigen. Von 50 Patienten im Krankenhaus, die Vitamin D bekamen, musste nur einer auf die Intensivstation verlegt werden. Bei der Kontrollgruppe mit 26 Personen ohne Vitamin waren es hingegen 13.

Andere Wissenschaftler kritisieren allerdings den Aufbau der Studie, denn die beiden Gruppen waren unterschiedlich zusammengesetzt. In der Kontrollgruppe befanden sich anteilig mehr als doppelt so viele Diabetiker und Personen mit Bluthochdruck. Beides sind Vorerkrankungen, die ohnehin für einen schwereren Covid-Verlauf verantwortlich sind. Ob also wirklich Vitamin D der Grund für eine Verbesserung war, lässt sich so nicht beantworten.

Vitamin-D-Mangel bei schweren Verläufen

Eine andere Untersuchung ebenfalls aus Spanien kommt zu dem Ergebnis, dass bei 80 Prozent der rund 200 beteiligten Patienten ein Vitamin-D-Mangel festzustellen war. Ebenso zeigt eine Meta-Analyse der Uni Hohenheim, die mehrere Studien zusammengefasst hat, dass bei schweren Covid-19-Verläufen häufig sehr wenig Vitamin D im Blut der Betroffenen ist.

"In fast allen Beobachtungsstudien korreliert zu Beginn einer Infektion ein niedriger Vitamin-D-Wert mit einem schlechten Verlauf", sagt Michael Fink, früherer Arzt um Klinikum Fürth und heute Vorsitzender des Fördervereins für Onkologie und Palliativmedizin. "Beweisend für eine ursächliche Wirkung des Vitamin-D-Mangels ist dies allerdings noch nicht", räumt er ein. "Da auch eine schwere entzündliche Erkrankung selbst den Wert senkt."


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Trotzdem empfiehlt Fink die Einnahme von Vitamin D, besonders für Altenheimbewohner, die gerade in diesem Jahr wenig in der Sonne unterwegs waren. Außerdem lässt mit zunehmendem Alter die Eigenproduktion des Körpers nach.

"Ja, wir hätten gerne noch mehr Daten, aber eine Nutzen-Risiko-Kalkulation ist schon jetzt möglich", sagt Fink. "Über Dosierungen kann man noch diskutieren." Schätzungen in verschiedenen Ländern gehen davon aus, dass zwischen einem und zwei Dritteln aller Covid-19-Toten Bewohner von Langzeitpflegeeinrichtungen waren.

Vor allem ältere Menschen proftieren

"Viele ältere Menschen haben einen schweren Mangel an Vitamin D, so sehr, dass es kaum noch im Blut nachweisbar ist", sagt auch Markus Gosch. "Sie profitieren von Vitamin D als Nahrungsergänzung, sowohl ihr Immunsystem als auch ihre Muskeln." Gemeinsam mit einer Kollegin der Uni Erlangen-Nürnberg hat der Arzt Leitlinien für Pflegeheime herausgegeben, wie die ihre Bewohner besser vor dem Coronavirus schützen können. Die Empfehlungen richten sich an Heimleitungen, Ärzte aber auch Politiker, "um die erforderlichen Rahmenbedingungen sicher zu stellen".

Die Autoren raten darin unter anderem, dass Vitamin D3 einen positiven Einfluss für einen milderen Verlauf der Erkrankung haben könnte. Auch ein Zinkmangel sollte untersucht werden. Dazu empfehlen sie Bewegung: "Wenn es der Gesundheitszustand des Bewohners zulässt, ermöglichen Sie ihm körperliche Übungen, motivieren Sie ihn mobil zu bleiben und geben Sie ihm Empfehlungen für mögliche Übungen im Zimmer", heißt es in dem zwölfseitigen Maßnahmenkatalog.

"Unsere Empfehlungen bauen auf der aktuell zur Verfügung stehenden Literatur sowie unserer klinischen Expertise aus der Sichtweise der Geriatrie auf", sagt Gosch. Bei Jüngeren, etwa unter 60-Jährigen, empfiehlt er zusätzliches Vitamin D hingegen nicht. "Bei normal gesunden Personen hat das keinen Effekt." Sie sind ausreichend versorgt, auch im Winter.

"Niemand sollte von Vitamin D irgendwelche Wunderdinge erwarten, wer es nimmt, ist keinesfalls automatisch vor Covid-19 geschützt", sagt Gosch. Im Handel seien sogar hochdosierte Kapseln mit bis zu 20.000 Einheiten erhältlich. Über mehrere Tage eingenommen, kann das giftig sein.

Das Robert-Koch-Institut warnt vor Vergiftung

Auch das Robert-Koch-Institut warnt vor zu viel Vitamin D. "Bei einer übermäßig hohen Einnahme entstehen im Körper erhöhte Kalziumspiegel, die zu Übelkeit, Appetitlosigkeit, Bauchkrämpfen, Erbrechen oder in schweren Fällen zu Nierenschädigung, Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit und Tod führen können", schreiben die Experten.

"Da Vitamin D im Körper gespeichert werden kann, ist neben einer akuten auch eine schleichende Überdosierung möglich." Daher sollte vor einer Einnahme immer erst mit einem Arzt gesprochen werden.

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