Infektionszahlen steigen

Inzidenzen von 200 Anfang September? So bereitet sich die Region auf die vierte Welle vor

30.7.2021, 06:00 Uhr
Aktuell liegt die Inzidenz im Stadtgebiet von Nürnberg bei 13,9 (Stand: 29. Juli). 72 Fälle hat es in den letzten sieben Tagen in der Frankenmetropole gegeben.

© NN Aktuell liegt die Inzidenz im Stadtgebiet von Nürnberg bei 13,9 (Stand: 29. Juli). 72 Fälle hat es in den letzten sieben Tagen in der Frankenmetropole gegeben.

Die Zahlen steigen wieder. Gerade wurde noch der monatelange Lockdown überwunden und Freiheiten zurückgewonnen, tauchen wieder Warnungen auf - Warnungen vor steigenden Corona-Inzidenzen; einem steigenden R-Wert, also der Reproduktionszahl, die anzeigt, wieviele Kontaktpersonen ein Infizierter ansteckt; und der Gefährlichkeit von Mutationen wie der Delta-Variante des Coronavirus. Viele nehmen die Warnungen aber noch nicht wahr oder überhören diese.

Aktuell liegt die Inzidenz im Stadtgebiet von Nürnberg bei 13,9 (Stand: 29. Juli). 72 Fälle hat es in den letzten sieben Tagen in der Frankenmetropole gegeben. Auf den ersten Blick klingt das wenig, wenn man bedenkt, dass Nürnberg Stand 2019 über 535.000 Einwohner hat. Dass diese Inzidenzen aber schon in den nächsten Wochen in Sphären steigen könnten, von denen wir uns aktuell weit entfernt wissen, zeigt eine Studie der TU Berlin, die sich mit der weiteren Entwicklung der Corona-Pandemie und den Einflüssen sowie den notwendigen Maßnahmen befasst. Laut der Studie ist es möglich, dass "noch vor Ende August Inzidenzen um 100 erreicht werden, die Anfang September bereits auf 200 steigen könnten", wenn sich der derzeitige Trend fortsetze.

Wie die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen erklären werden laut deren Modell die Öffnung der Schulen nach den Sommerferien und die Verlagerung von Freizeitaktivitäten in Innenräume bei niedrigen Temperaturen den Anstieg beschleunigen. Dabei gäbe es beispielsweise in Schulen einfache Möglichkeiten, um den Anstieg zu bremsen. "Laut unseren Simulationen reicht eine Kombination von manueller Lüftung, maschineller Lüftung und Testen aus, um die Weitergabe von Infektionen in den Schulen weitgehend zu vermeiden", heißt es in dem Manuskript. Nicht ausreichend seien hingegen die derzeit üblichen Maßnahmen mit ungefähr verdoppeltem manuellen Lüften verbunden mit zwei Schnelltests pro Woche, so die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.

Vierte Welle bei den Erwachsenen ab circa September

Auch wenn es gelingt an Schulen die Infektionen auf niedrigen Niveau zu halten, "ist zu erwarten, dass eine vierte Welle bei den Erwachsenen ab circa September einsetzt, getrieben durch die Verlagerung von Freizeitaktivitäten in Innenräume." In den Simulationen der Forschungsgruppe bleibe die Welle nur aus, "wenn die Impfstoffe gegen Delta deutlich besser wirken als derzeit bekannt, oder wenn eine Impfquote von 95 Prozent erreicht wird".

"Mögliche Maßnahmen zur Reduktion der Inzidenzen bei Erwachsenen sollten sich auf Innenräume konzentrieren", heißt es in der Studie. Vermutlich würde es sogar ausreichen, "die Maßnahmen nur auf Nicht-Geimpfte zu konzentrieren", wobei die Forschungsgruppe auf die Unsicherheit bei der Durchsetzbarkeit beispielsweise der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr verweist.


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Des Weiteren geht die Forschergruppe davon aus, dass nach deren Simulationen "im Oktober ein exponentieller Anstieg bei den Krankenhauszahlen starten" wird. Bei der derzeitigen Entwicklung soll das sogar früher der Fall sein und sich im Oktober noch einmal verstärken. Interessant ist das vor allem deshalb, da die Orientierung an der Belastung der Krankenhäuser als mögliche Alternative zur Inzidenz genannt wird. In der Studie jedoch nur, falls sich dazu entschieden wird, den unter 12-Jährigen keine Wahlmöglichkeit zwischen einer Impfung und einer wahrscheinlichen Infektion einzuräumen. Ein Impfstoff für die Altersklasse wird frühestens 2022 zur Verfügung stehen. Der Blick bei der Belastung der Krankenhäuser muss hier auf die Krankenhaus- und nicht die Intensivzahlen gerichtet werden, "da letztere zu klein sind und daher zu stark zufällig fluktuieren." Weiterhin sei es wichtig, neben der Belegung auch die Covid-19-bezogenen Neuzugänge zu erhalten, da nur dieser Indikator schnell genug reagiere, wenn es gleichzeitig erhöhte Zahlen von Entlassungen einer vorherigen Welle gebe, so die Forschenden.

Inzidenz und sonst nichts? Welche Parameter können herangezogen werden?

Die Frage, welche weiteren Parameter neben der Inzidenz zur Bekämpfung der Pandemie herangezogen werden können, wird häufig gestellt. Von Seiten der Stadt heißt es hierzu: "Mit Blick auf die Regionen mit neuerlichen Anstiegen der Sieben-Tages-Inzidenz erscheint es sinnvoll, über die reine Infektion mit dem Sars-CoV-2-Virus hinaus weitere Parameter in den Blick zu nehmen, wie es auch von Forschern und Statistikern (...) gefordert wird. Zu diesen Parametern gehören unseres Erachtens die Schwere der Krankheitsverläufe (Anzahl der Symptome, Schwere und Dauer der Symptome), die Hospitalisierungsrate (Krankenhauseinweisungen), die Belegung von Normal- und Intensivstationen und Todesfälle durch Covid-19."

Zudem wird erklärt: "Weiterhin müssen Altersgruppen getrennt voneinander betrachtet werden. Überdies können durch die Identifizierung von Hotspots (räumlich und zeitlich, beispielsweise durch Reisende) Maßnahmen spezifischer formuliert werden."

Und auch im Südklinikum setzt man sich mit verschiedenen Parametern auseinander. "Neben der Inzidenz wird für uns die Zahl der Krankenhaus- beziehungsweise Intensivstations-Einweisungen entscheidend sein. Hier beobachten wir sehr genau die Situation in den Ländern (zum Beispiel England), die bereits wieder hohe Inzidenzen haben. Dank der Impfungen gerade älterer Personen scheint die Zahl der Krankenhauseinweisungen bei gleicher Inzidenz bei jüngeren Personen deutlich niedriger zu liegen", erläutert Prof. Dr. Stefan John, Oberarzt und Leiter der Abteilung interdisziplinäre Intensivmedizin am Klinikum Nürnberg Süd, gegenüber nordbayern.de. "Wenn man sich auch auf die Zahl der Krankenhaus-Einweisungen konzentriert, hat man zwar einen gewissen Zeitverzug, reagieren kann man aber trotzdem noch", fügt er an.

So bereitet sich die Region auf die vierte Corona-Welle vor

Und so sieht die Vorbereitung in der Region auf die vierte Corona-Welle genau aus: "Wir bereiten uns ganz ähnlich vor wie bei den vorherigen Wellen", erklärt Prof. Dr. Stefan John vom Klinikum Nürnberg Süd. Laut seiner Aussage folgt das Klinikum einem Stufenplan, um nach Bedarf Corona-Stationen zu schaffen. Die gute Nachricht: "Schutzmaterial und medizinische Geräte sind ausreichend vorhanden", so John. "Unsere Beschäftigten wären allerdings sehr froh, wenn sie nicht noch einmal eine große Corona-Welle erleben müssten", führt der Oberarzt weiter aus.

Laut John haben die Impfungen "die Sicherheit im Personal deutlich erhöht". Außerdem berichtet der Oberarzt, "dass die Impfungen gerade auch bei Risikopatienten mit Vorerkrankungen zu einem deutlich milderen Verlauf bei einer Corona-Erkrankung führen". Im Südklinikum habe man sich noch einmal intensiv damit auseinander gesetzt, wie Aerosole vermieden und die Raumlufttechnik optimiert werden könne. Laut John werde aber auch bei einer vierten Welle der entscheidende Faktor sein, "dass wir genügend Personal haben, um möglicherweise viele schwer erkrankte Covid-19-Patienten auf einmal versorgen zu können".

Die Frage, ob es einen weiteren Lockdown geben sollte, insofern die Inzidenzen weiter steigen, überlässt John der Politik und fügt an: "Eine Überlastung der Gesundheitssysteme muss aber in jedem Fall vermieden werden." Nach Einschätzung der Stadt Nürnberg auf nordbayern-Anfrage sollte mit Blick auf die gesundheitlichen Folgen der vorherigen Lockdowns "die Maßnahme jedoch nur die Ultima Ratio insbesondere für Kinder und Jugendliche darstellen". Die Stadt verweist aber auch auf die "sehr stark" ansteigende Arbeitsbelastung in der Nachverfolgung bei Beibehaltung des bisherigen "Containment" - also den Sicherheitsmaßnahmen, "ausgehend von der bisherigen Beobachtung, dass positiv Getestete bei fehlendem Lockdown eine deutlich höhere Zahl an Kontaktpersonen benennen, die unter die Quarantäneüberwachung fallen".

Diese Vorsichtsmaßnahmen ergreift die Stadt Nürnberg

Die Stadt Nürnberg hat angekündigt, im Gesundheitsamt das Epidemie-Management-System Sormas (Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System) einzuführen, eine Software, die als Werkzeug für das Management von Infizierten und Kontaktpersonen genutzt werden soll. Wie es in einer Pressemitteilung heißt, soll die Umstellung abgeschlossen sein, bevor eventuell eine vierte Welle die Zahl Infizierter und deren Kontaktpersonen ansteigen lässt. "Wir führen das bundesweit einheitliche System Sormas ein, obwohl noch wichtige Bausteine fehlen. Mit Sormas gelingt es uns, für die betroffenen Infizierten und Kontaktpersonen Erleichterungen und eine Möglichkeit zur Mitarbeit zu schaffen“, so Britta Walthelm, Referentin für Umwelt und Gesundheit.


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Das bleibt jedoch nicht die einzige Maßnahme der Stadt, um einer möglichen vierten Welle vorzubeugen. Wie das Gesundheitsreferat auf nordbayern-Anfrage erklärt, trifft sich trotz der Aufhebung des Katastrophenalarms weiterhin regelmäßig der Teilnehmerkreis der Führungsgruppe Katastrophenschutz (FüKG) zur Vorbereitung auf eine vierte Welle. Ein besonderes Augenmerk liege auf der Sicherung von Personal und der entsprechenden Raumkapazitäten, um für alle Unterstützer Arbeitsplätze vorhalten zu können, so die Stadt. "Im Zuge der Schätzung des Personalbedarf hat das Gesundheitsamt in vier Szenarien unterschiedlichen Infektionsgeschehens Bereiche identifiziert, in denen ein hoher Bedarf erwartet werden kann", so die Erklärung.

Von Seiten des Gesundheitsamts werde das Infektionsgeschehen sowohl auf lokaler als regionaler und überregionaler Ebene, welches insbesondere im Zuge der erhöhten Mobilität in der Ferienzeit von Relevanz ist, beobachtet. In diesem Zuge wird auch das Statistik-Team, das unterstützend bei der Aufbereitung der Fallzahlen zur Einschätzung des lokalen Infektionsgeschehens tätig ist, personell ausgebaut. Generell können zukünftige Maßnahmen und Vorgaben, die von der bayerischen Landesregierung oder der Bundesregierung beschlossen werden, nur schwer vorhergesagt werden. "Entsprechend kann eine präventive Vorbereitung auf die Umsetzung dieser unbekannten Maßnahmen nur eingeschränkt getroffen werden", heißt es von der Stadt.

"Endlich ist genügend Impfstoff vorhanden!"

"Wichtig aus hausärztlicher Sicht ist es, dass wir jetzt alles dafür tun, um eine eventuelle neue Infektionswelle möglichst flach zu halten, damit keine erneuten Einschränkungen und Schulschließungen erforderlich werden", sagt Dr. Markus Beier, Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes gegenüber nordbayern.de. "Ob und in welcher Intensität eine vierte Infektionswelle kommen wird", darüber möchte Beier derzeit nicht spekulieren.


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Drei Punkte hält er für unabdingbar: Eine möglichst hohe Impfquote; effektive Testkonzepte; und eine Verbesserung der sogenannten TTI-Prozesse (testing, tracing, isolation (testen, verfolgen, isolieren). "Die Isolation positiv Getesteter muss schneller und kontrollierter erfolgen und auch rückwirkend Kontaktpersonen einschließen, um Infektions-Cluster zu verhindern", so Beier. Die Impfquote sei wichtig, "um die Fallzahlen niedrig zu halten beziehungsweise zu reduzieren", erklärt der Mediziner und appelliert an die ungeimpfte Bevölkerung: "Nehmen Sie Kontakt zu Ihrer Hausarztpraxis auf und vereinbaren Sie einen Impftermin – endlich ist genügend Impfstoff vorhanden!"

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