Förderprogramm

Nachsitzen in der Sommerschule?

24.6.2021, 14:30 Uhr
In den Sommerferien zwei Wochen lang in der Schule büffeln - ist es das, was Kindern und Jugendlichen fehlt?

© Thomas Koehler/photothek.net via www.imago-images.de, NNZ In den Sommerferien zwei Wochen lang in der Schule büffeln - ist es das, was Kindern und Jugendlichen fehlt?

Das hat die pandemiebedingte Not von Schülerinnen und Schülern erkannt und ein Förderprogramm mit dem Namen "gemeinsam.Brücken.bauen" ins Leben gerufen. Der Projektname klingt hübsch. Aber hält die Konstruktion, was sie verspricht?

Das Programm

Neben der Lern- steht auch die Sozialkompetenzförderung im Fokus. Unter anderem wird die Schulpsychologie in den nächsten beiden Schuljahren in Bayern um 65 Vollzeitkapazitäten aufgestockt (derzeit: 960; dazu kommen 1800 Beratungslehrkräfte).

Zusätzlich zum Unterricht und einer Analyse der Lernstände soll es Brückenkurse, Tutorenprogramme („Schüler helfen Schülern“) und eben die Sommerschule 21 geben. Die stellt sich Kultusminister Michael Piazolo so vor: Der Bedarf wird eruiert, zusätzliches Personal eingestellt, die Ferienkurse in Form einer zweiwöchigen Blockveranstaltung am Beginn oder Ende der Sommerferien durchgeführt.


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Für das Programm werden 40 Millionen Euro in Aussicht gestellt, 20 Millionen Euro davon stehen bis Ende der Sommerferien zur Verfügung. Für die Durchführung wird über ein zentrales Bewerbungsportal („Jetzt Unterstützungskraft im Förderprogramm werden!“) nach Personal gesucht.

Bewerben kann sich, wer ein abgeschlossenes Hochschulstudium hat (am liebsten Lehramt, muss aber nicht), studiert (am liebsten Lehramt, muss aber nicht) oder Erfahrungen auf dem Gebiet Kinder- und Jugendarbeit hat. Die Akquise – Auswahl, Bewerbungsgespräch, Einarbeitung – erfolgt über die Schulen beziehungsweise Schulämter.

Die Reaktionen

...sind verhalten: Gut gemeint, das durchaus. Vor allem, weil auch die außerschulische Förderung berücksichtigt werde. Aber am Ende sei das Konzept kurzsichtig und kurzfristig. Simone Fleischmann, Präsidentin des bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands, spricht von einer „Showpolitik“: „Applaus bekommt der Kultusminister und der Ministerpräsident. Die Watschen fangen sich wieder die Lehrkräfte ein, wenn sie vor Ort nicht das bieten können, was vollmundig verkündet wurde.“

So urteilt Martina Borgendale, GEW-Vorsitzende Bayern: „Sommerschule – das hat für mich den Duktus ,Nachsitzen in den Sommerferien‘. Ist es das, was Kindern und Jugendlichen jetzt vor allem fehlt? Wer wird die Ferienkurse in Anspruch nehmen? Mit Sicherheit nicht diejenigen, die sie wirklich brauchen. Und dann soll in zwei Wochen von einem fremden Menschen, deren pädagogische Qualifikation nicht vorausgesetzt wird, aufgefangen werden, was eineinhalb Jahre versäumt wurde? Das Programm ist eine Augenwischerei.“

Zwei Wochen sind zu kurz gegriffen

So urteilt Michael Schwägerl, Vorsitzender bayerischer Philologenverband: „Ich erwarte keinen nachhaltigen Effekt der Sommerschule. Die Lernrückstände sind in zwei Wochen niemals aufholbar. Gefragt ist ein Marathon, kein Sprint. Die Konsequenzen der Corona-Maßnahmen sind regional, von Schulart zu Schulart und Schule zu Schule sehr unterschiedlich.

20 Millionen Euro sind da auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, und das Geld mit der Gießkanne zu verteilen der falsche Weg. Was jetzt wichtig ist: eine korrekte Diagnose, um dann mittel- und langfristig gezielt fördern zu können.“


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So urteilen Simone Fleischmann (BLLV) und Sandra Schäfer (NLLV): „Was kommt bei den Lernstandsanalysen raus? Dass Achtklässler in Deutsch auf dem Stand von Viertklässlern sind. Und jetzt? Stehen sie mit diesem Wissen wieder alleine da. Förderstunden? Wer soll sie halten? Was wir also wirklich brauchen vom Kultusministerium, ist ein belastbarer Rahmen, der jeder Schule finanzielle und personelle Mittel sichert, um nach individuellem Ermessen eigenverantwortlich arbeiten zu können“, sagt Simone Fleischmann.

„Was jetzt wichtig ist: Mit den Kindern in den Tiergarten gehen oder in die Fränkische Schweiz, zusammen sein und lachen. Sie müssen erst wieder aufnahmefähig sein und raus aus der Lähmung zurück in die Gemeinschaft kommen“, sagt Sandra Schäfer.

Die Umsetzung, ein Beispiel

Schulleiter Rudi Groh hat entschieden: „Ich brauche keine Lösung, die mein Kollegium noch mehr belastet. Die haben in den vergangenen Monaten geackert ohne Ende“, sagt er. „Ich kann keinem meiner Lehrkräfte schon wieder was Neues aufdrücken.“

Und auch für ihn sei die Umsetzung von Ferienkursen nicht leistbar. Noch laufen die Abschlussprüfungen, Zeugnisse müssen geschrieben, Lernstände dokumentiert werden. In wenigen Wochen sind Sommerferien. Da bleibt keine Zeit, um externes Personal zu betreuen. „Und ehrlich: Vor meine Schülerklientel kann ich nicht einfach irgendjemanden stellen.“


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Er hat Glück. Zwei Lehramtsstudierende, die mit der Uhland-Schule vertraut sind, haben sich zur Verfügung gestellt. Sie werden 35 bis 40 Jugendliche vor allem aus den Jahrgangsstufen fünf und sechs in acht bis zehn Kursen zweimal in der Woche ab jetzt bis Anfang August fördern. „Bei diesen Kursen geht es nicht ums Aufholen. Wir müssen erst einmal eine Basis für das kommende Schuljahr aufbauen. Die Defizite in Deutsch, Mathe und Englisch sind enorm.“

Groh weiß, dass die Realität in Schwabach anders ist als in Nürnberg, in einer Grundschule in Erlenstegen anders als in der Südstadt. Deshalb sei Spielraum und Autonomie notwendig, „damit jede Schule bedarfsorientiert handeln kann“.

Auch das Förderprogramm nutze Groh nach seinem Ermessen. Es sei aber nur ein Anfang. „Denn was ich hier dringend brauche, ist ein Schulpsychologe, der nicht für acht, sondern nur für meine Schule zuständig ist. Ich brauche für jede Klasse zwei Lehrkräfte und zwei Räume.“

Eine Sommerschule braucht er nicht.

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