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Präzedenzfall: KI-Avatar eines Mordopfers spricht vor Gericht

Andreas Hofbauer

Online-Redakteur

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05.06.2025, 07:00 Uhr
Der KI-generierte Avatar wurde vor Gericht zugelassen.

© Screenshot: Youtube.com/ Stacey Wales Der KI-generierte Avatar wurde vor Gericht zugelassen.

Ein Richter in Arizona hat weltweit einen Präzedenzfall geschaffen, indem er die Aussage eines KI-generierten Avatars eines Mordopfers während einer Strafmaßanhörung zugelassen hat. Das geht aus einem Bericht des britischen „Guardian“ hervor. Der Fall markiert das erste bekannte Beispiel, bei dem künstliche Intelligenz eingesetzt wurde, um ein verstorbenes Opfer in einem Gerichtsverfahren zu repräsentieren.

Mann wurde auf offener Straße erschossen

Christopher Pelkey wurde 2021 auf einer Straße in Arizona erschossen. Laut dem Bericht des Lokalsenders „ABC15 im Zuge einer sogenannten „Road-Rage“-Auseinandersetzung. Road-Rage steht für „Wut im Straßenverkehr“. Im US-Bundesstaat Arizona, genauer gesagt in der Stadt Chandler, sei es zwischen Pelkey und einem anderen Autofahrer zu einer Auseinandersetzung gekommen. Pelkey soll an einer Ampel ausgestiegen und in Richtung des Autos der anderen Person gelaufen sein. Dieser feuerte daraufhin mehrmals seine Pistole in Richtung Pelkey ab. Der Militärveteran ist wenige Stunden später in einem Krankenhaus verstorben. Im März 2024 wurde der Täter bereits für schuldig befunden und erhielt bei einer kürzlich stattgefundenen Anhörung zum Strafmaß die Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis.

Stacy Wales, Pelkeys Schwester, und ihr Ehemann, die beide in der Technologiebranche arbeiten, entwickelten einen KI-Avatar, nachdem sie Schwierigkeiten hatten, ihre eigene Opfererklärung zu formulieren. Zum Hintergrund: In den meisten Bundesstaaten der Vereinigten Staaten können Opfer von Straftaten sogenannte „Impact Statements“ abgeben. Das sind Stellungnahmen, in denen sie sich selbst direkt an den Richter und die Beteiligten wenden können. In Arizona ist es möglich, dass diese Stellungnahme von den Opfern in einer selbst gewählten Form gegeben werden kann. „Eine KI-Nachbildung ist also legal“, wird die Anwältin der Familie Pelkeys von „npr“ zitiert.

„Ohne das richtige Skript wird es nicht funktionieren“, erklärten sie während des Erstellungsprozesses. „Es könnte flach und kitschig werden, aber wir zeigen es nur, wenn es authentisch ist“, heißt es von den beiden.

Das Video beginnt mit dem Hinweis, dass der Avatar künstlich erstellt wurde und Pelkeys Bild sowie Stimme verwendet wurden. Gezeigt wurden auch reale Aufnahmen von Pelkey, in denen er über seinen Militärdienst und seinen Glauben spricht, gefolgt von dem KI-generierten Teil, der sich an das Gericht und den Täter wendet.

KI-Avatar mit überraschenden Aussagen - Richter ist bewegt

Der Avatar richtete unerwartete Worte an den Täter: „Ich glaube an Vergebung und an Gott, der vergibt. Das habe ich immer getan und tue es immer noch. In einem anderen Leben hätten wir wahrscheinlich Freunde sein können“, so die computergenerierte Stimme in dem Video. Trotz der versöhnlichen Botschaft verhängte das Gericht die von der Staatsanwaltschaft geforderte Höchststrafe von zehneinhalb Jahren Haft.

Der Richter zeigt sich sichtlich bewegt. Er sprach den Toten auch mit seinem Vornamen an. Er erklärte, das Gefühl zu haben, Christopher jetzt zu kennen. Außerdem respektiere er Pelkeys Vergebung gegenüber dem Verurteilten. Der Richter stellte auch klar, dass diese Sätze von Pelkeys Familie stammten und er respektiere, dass diese trotz des Verbrechens nicht vom Zorn übermannt die Maximalstrafe verlangten. Er meinte, der Mann im Video treffe das Herz von Pelkey.

Was bedeutet das rechtlich?

Der Verteidiger des Angeklagten bezeichnete die KI-Präsentation als „schwierig“ und deutete an, dass sie starke Gründe für eine Berufung schaffen würde. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei diesem Fall um einen Präzedenzfall handelt, der einigen rechtlichen Herausforderungen gegenüberstehen wird. Denn es ist das erste Mal, dass die Aussage einer „KI“ vor Gericht zugelassen wurde.

Wachsende Bedenken wegen KI in Gerichtssälen

Dieser Fall ereignet sich inmitten zunehmender Bedenken bezüglich künstlicher Intelligenz im rechtlichen Umfeld. Anfang des Jahres rügte ein Richter in Wyoming einen Anwalt für das Zitieren nicht existierender, von KI generierter Fälle. In einem anderen Vorfall versuchte ein Kläger in New York, sich selbst durch KI vor Gericht vertreten zu lassen, was die Richterin veranlasste, das Verfahren zu unterbrechen.

Rechtsexperten warnen, dass KI-basierte Beweisführung falsche Informationen enthalten und Vertraulichkeitsregeln verletzen könnte. Laut dem Universitätsprofessor Bruce Green: „Die Regeln für Anwälte in den USA sagen klar: Sie müssen souverän mit neuen technischen Werkzeugen umgehen und die Gefahren und Fallstricke kennen.“

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