An den Rand gedrängt: Ist die Amateursport-Lobby zu schwach?

20.11.2020, 11:02 Uhr
An den Rand gedrängt: Ist die Amateursport-Lobby zu schwach?

© Foto: Harald Sippel

Im Nachhinein ist Jörg Bergner froh, so gehandelt zu haben, wie er es im März getan hat. Als der erste Corona-Lockdown verhängt wurde, hofften viele Sportvereine auf ein schnelles Ende der Krise. Und so sei er von Kollegen aus anderen bayerischen Großvereinen teils ein wenig belächelt worden, als er 25 Mitarbeiter in Kurzarbeit schickte und eine Haushaltssperre verhängte, erzählt der Vorsitzende des TV 48 Erlangen.

Nun fühlt er sich bestätigt. "Hätten wir nicht so massiv auf die Kostenbremse getreten, wären wir nicht mehr in der Lage, zu bezahlen, ohne zur Stadt oder zur Bank zu rennen", sagt er. Und doch: Allen Sparmaßnahmen zum Trotz bangt auch Bergner um die langfristige Existenz des TV.

Deshalb sind Großvereine besonders betroffen

Dass gerade Großvereine von der Krise am heftigsten getroffen werden, hat verschiedene Gründe. Sie unterhalten oft mehrere Standorte und Gebäude, die ausgelastet werden müssen, um sie finanzieren zu können. Dazu kommt das Sportangebot: Gewachsen ist der TV 48 in den vergangenen Jahren vor allem im Freizeit- und Gesundheitssport, doch genau dort – etwa beim vereinseigenen Fitnessstudio – schlägt der Lockdown am härtesten zu. "Dieses Jahr haben wir unterm Strich 500 Mitglieder weniger", erklärt Bergner.

"Der Sport ist zu brav": Amateurvereine bangen um ihre Existenz

Bereits für 2020 fürchtet er einen Rückgang der Einnahmen um bis zu 700 000 Euro, einem Viertel im Vergleich zum Vorjahr. "Das einzige Ziel ist es, bis August einigermaßen zu überleben – in Hoffnung auf einen Impfstoff und einen normalen Sportbetrieb im Sommer", sagt er.

Frust über die Kommunikation

Neben dem finanziellen Verlust schmerzt Bergner aber auch der Umgang der Politik mit den Sportvereinen. Und so geht es nicht nur ihm. Über die Kommunikation hat sich schon nach Ende des ersten Lockdowns Frust aufgebaut. "Es wird in die Kameras gesprochen, der Sport ist wieder möglich. Die Mitglieder scharren am nächsten Tag mit den Hufen. Aber wir warten zwei Wochen auf die genaue Infektionsschutzverordnung, bevor wir überhaupt wissen, was möglich ist", kritisiert Bergner. Immerhin sei es nach den ersten Lockerungen besser geworden. "Im Sommer war Sport organisatorisch und finanziell sinnvoll machbar", sagt der TV-Vorsitzende.

Dann kam im November der zweite Lockdown. Und die Probleme glichen wieder den alten. "Was ich in der ersten Phase noch entschuldigen konnte, kann ich jetzt nicht mehr entschuldigen. Es war genug Zeit und die Vereine haben die Probleme bei praxisfernen Richtlinien gespiegelt", sagt Matthias Thurek, Vorsitzender des Erlanger Sportverbandes. Doch aus Sicht der Vereine kamen wieder neue – etwa, dass Individualsport einzeln und zu zweit kurz wieder erlaubt war. "Ein Großverein mit tausenden Mitgliedern kann nicht einem oder zwei erlauben, eine 500-Quadratmeter-Halle für sich zu nutzen", sagt Bergner. "Lieber schließe ich ganz, das ist klar für alle, als dieses Wischi-Waschi", sagt Thurek.

"Die Politik unterschätzt die gesellschaftliche Bedeutung des Sports"

Dass sich nach über einem halben Jahr Krise die gleichen Fehler wiederholen, sieht Thurek vor allem in zwei Dingen begründet: "Die Politik unterschätzt die gesellschaftliche Bedeutung des Sports", sagt er. Doch auch die eigenen Interessensvertreter, die in Bayern maßgeblich der Landes-Sportverband für die Vereine stellt, drängen offenbar nicht durch. "Der BLSV rühmt sich damit, fast fünf Millionen Mitglieder zu haben. So viele Mitglieder, das ist eine brutale Lobby. Das spiegelt sich momentan aber nicht wider", sagt Thurek.

Corona im Amateursport: So reagieren die Landesverbände auf die Pause

Wofür er plädiert: Differenzierung. Zum einen bei den Maßnahmen. "Man könnte jede Sportart ganz konkret anschauen, wo wie viel Risiko ist. Ich sehe ein, dass kein Mannschafts- oder Hallensport mit großen Gruppen möglich ist. Aber Tennis spielen?", fragt Thurek.

Zum anderen aber auch bei den Hilfen. Selbst bei Großvereinen ist nicht jeder gleich betroffen. "Das macht es so wichtig, nicht alle über einen Kamm zu scheren. Auch bei Ausgleichszahlungen muss man schauen, wie man das Geld verteilt", sagt Thurek. Und geben müsse es sie, fordert Bergner: "Wenn der Sport etwas wert ist, dann muss er die Unterstützung bekommen, die andere Branchen auch kriegen. Ich kann nachvollziehen, wenn unsere Anlagen geschlossen werden. Doch die Politik muss die Auswirkungen ihrer Entscheidungen anerkennen."

Hoffen auf weitere Hilfen der Stadt

Die außerordentlichen Wirtschaftshilfen, mit denen der Bund vom November-Lockdown betroffenen Unternehmen 75 Prozent des Umsatzes ersetzen will, sollen auch für Sportvereine gelten. "Es weiß aber noch keiner, wie genau dieses Angebot aussieht", kritisiert Bergner.

Neben dem Bund hoffen die Vereine auf zusätzliche Hilfen der Stadt. Der Sportausschuss hatte bereits im Juli die Mieten für kommunale Hallen- und Freisportflächen für 2020 und 2021 halbiert. "Grundsätzlich positiv", sei das immer noch, sagt Bergner, doch die Ersparnis beziffere sich für die meisten Vereine auf wenige tausend Euro. In den kommenden zwei Wochen ist ein runder Tisch mit der Stadt geplant. "Die Erkenntnis ist da, dass die Situation andere Ausmaße hat als gedacht", gibt sich Thurek optimistisch.

Weniger optimistisch stimmt die Vereinsvertreter die Aussicht auf die Zukunft. Denn was momentan Großvereine betrifft, könnte bald den kleinen Vereinen blühen, glauben sie. Wenn die Vereinsgaststätten geschlossen bleiben, wenn die Eintritte fehlen. "Wir haben zwar den wirtschaftlichen Betrieb nicht, aber auch bei uns zeichnet sich ein Mitgliederverlust ab", sagt Peter Scholten, Vorstand der SpVgg Erlangen. Darüber hinaus müsse man sich in einem ehrenamtlich organisierten Verein fragen, wie es weitergehen soll. "Da geht gerade ein Stück weit Lust am Verein verloren."

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