Cheerleading emanzipiert sich vom Pausenfüller

10.4.2021, 11:22 Uhr
Cheerleading emanzipiert sich vom Pausenfüller

© Foto: Günter Distler

Junge Frauen in knappen Röcken oder Hosen und engen, bauchfreien Tops, dazu in jeder Hand einen Puschel und stets ein Lächeln im Gesicht. In den Pausen unterhalten sie tanzend die Zuschauer, während des Spiels sorgen sie für das Anfeuern der Hauptdarsteller auf dem Feld. Das ist das Bild, das nicht wenige Menschen im Kopf haben, wenn sie an Cheerleader denken. Nicht zuletzt Hollywood hat dieses Verständnis – mehr oder weniger absichtlich – geprägt. Kein Wunder, dass sich derlei Formate regelmäßig dem Vorwurf des Sexismus ausgesetzt sehen.


Kommentar: Cheerleading hat in Pausen nichts zu suchen


Für Aufsehen hat jüngst der Schritt des US-amerikanischen Football-Profiklubs aus Washington – der sich auch nicht mehr Redskins nennt – gesorgt. Die Organisation teilte mit, dass die wiederholt von Skandalen gebeutelte Cheerleading-Abteilung aufgelöst wird. Mit einer komplett anderen Ausrichtung und als gemischtes Team soll der Neustart gelingen. Dabei stellt sich die Frage nach dem Kern der Übung auch in Deutschland. Von einer nicht mehr zeitgemäßen Präsentation hatte wiederum der deutsche Basketball-Bundesligist Alba Berlin gesprochen, als er den Verzicht auf sein Programm begründete. Die mitunter zwiespältigen Eindrücke aus Film und Fernsehen prägten unter anderem die Vorstellung des Neumarkters Ralf Stagat, ehe er seine Tochter 2017 auf den süddeutschen Regionalentscheid im Cheerleading begleitet.

Knackpunkt ist fachgerechte Anleitung

"Ich war hin und weg. Das war knallharter Sport. Da wären wohl einige meiner Handballer umgefallen." Beschwingt von der atemberaubenden Unterhaltung kehrte der Handball-Abteilungsleiter mit der Idee zurück, die DJK-Sparte zeitgleich zur veränderten Namensgebung der Mannschaften in Neumarkt Vampires um eine Cheerleader-Gruppe zu erweitern. Die Neuerung findet durchweg Anklang. Allenfalls ganz zu Beginn, meint Stagat, habe er "vereinzelt etwas komische Blicke" geerntet. Monatelang rührt die DJK die Werbetrommel und versammelt über ein Dutzend interessierte Mädchen. Nachdem durch Zufall noch eine erfahrene Cheerleaderin als Trainerin gewonnen wird, folgt auf der Sportausstellung des Frühlingsfestes 2018 eine gelungene Premiere.

Schon vor den Vampires leisteten im Landkreis andere Pionierarbeit. Beim SV Postbauer gab es beispielsweise schon von 2003 bis 2007 Cheerleader, die Black Diamonds. Die Kinder- und Jugendgruppen nahmen sogar mit einigem Erfolg an Wettkämpfen und Meisterschaften teil. Und auch das Herren-Team der heutigen Fibalon Baskets Neumarkt wurde 2013 und 2014 bei seinen Heimspielen von einem Dutzend junger Frauen angefeuert. Was aus einer Wette mit den Basketballern heraus entstanden war, währte allerdings nicht allzu lange. Knapp eineinhalb Jahre, nachdem die Cheerleader-Truppe von Sabine Deinhardt und Fabiola Lindl gegründet worden war, löste sie sich aus diversen Gründen schon wieder auf. Ähnlich schnell endet die Geschichte bei den Neumarkt Vampires. Nachdem sich die Trainerin aus privaten Gründen zurückzieht, zerfällt die Formation sehr zum Bedauern von Ralf Stagat.

Männer als Unterbau für Pyramiden gefragt

Das größte Hindernis liegt also in einer fachgerechten Betreuung, die sich auf größere Standorte der Region wie Nürnberg, Erlangen und Fürth konzentriert. Doch auf dem Rückzug ist das Cheerleading in Bayern keineswegs. Laut Janine Gebauer, Vizepräsidentin des Cheerleading und Cheerdance Verband Bayern (CCVBY), sind im CCVBY rund 2450 Aktive in 45 Vereinen gemeldet. Rechnet man die in einem zweiten Verband organisierten Sportler hinzu, erhöht sich die Zahl sogar auf insgesamt 3700. Außerdem räumt sie ein weiteres Vorurteil aus: Cheerleading ist keineswegs reine Frauensache. Im Gegenteil: Auf lediglich etwa 20 bis 25 Prozent schätzt Gebauer ihren Anteil. Vor allem in ambitionierten und höherklassig aktiven Gruppen sind Männer mit von der Partie; denn die sind unter anderem als Unterbau für die meterhohen Pyramiden oder bei Stunts dringend gefragt. Und historisch gesehen waren die ersten Cheerleader sogar ausschließlich Männer – sagt Wikipedia.

Cheerleading emanzipiert sich vom Pausenfüller

Wie in anderen Disziplinen gibt eine Nationalmannschaft, ambitionierte Teams trainieren teils viermal die Woche jeweils zwei bis drei Stunden lang, um die anspruchsvollen Kombinationen aus turnerischen, tänzerischen und akrobatischen Elementen aufeinander abzustimmen. "Koordination, Ausdauer, Kraft, nicht zuletzt Vertrauen" in den eigenen Körper und das einstudierte Zusammenspiel sind laut Gebauer die zentralen Voraussetzungen.


Beim Super Bowl tanzen erstmals männliche Cheerleader


Der negative Touch oder das Sexismus-Problem spielen hierzulande nach der Einschätzung von Janine Gebauer kaum eine Rolle. Cheerleading werde in Deutschland weniger als Unterhaltung und Animation, sondern "vor allem als Sport gesehen. Da ist das nicht so das Problem". Darüber hinaus gehe man diese Themen als Verband aktiv an und versuche, Vorurteile abzubauen. So habe man etwa bei den Kindergruppen die Regelung eingeführt, dass Oberteile nicht bauchfrei und Röcke nicht zu kurz sein dürfen. Und je größer und damit bekannter der Sport werde, desto positiver werde sein Image.

Ralf Stagat hat derweil seinen Traum von einer Cheerleading-Gruppe bei den Neumarkt Vampires noch nicht ganz aufgegeben, wie er verrät: "Vielleicht greife ich das Thema nach Corona nochmal an."

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