FCN-Versammlung 2020: Briefwahl und andere Ideen

17.7.2020, 14:15 Uhr
Abstimmungen aus dem Publikum im dicht bestuhlten Saal dürften bei der diesjährigen Hauptversammlung nicht zu erwarten sein.

© Sportfoto Zink / Daniel Marr Abstimmungen aus dem Publikum im dicht bestuhlten Saal dürften bei der diesjährigen Hauptversammlung nicht zu erwarten sein.

Der Saal wird abgedunkelt, ein emotionales Teaser-Video wird auf einer großen Leinwand eingespielt, unterlegt von atmosphärischer Coldplay-Musik. Wenig später verkündet ein promovierter Jurist mit notarieller Nüchternheit die Eröffnung der Versammlung. Protokolle, Formalitäten, Details, graphisch aufbereitete Statistiken, Umsätze: Ranghohe Männer in gut geschnittenen Anzügen kommen zu Wort und überbieten sich gegenseitig in Rhetorik und Eloquenz. Irgendwann ertönen laute PI-NO-LA-Sprechchöre aus dem Saal, Fans stimmen Fangesänge zugunsten einer Vereins-Legende an. Ein Anhänger im Retro-Trikot nippt an seinem Weizen.

Ein solch kurioses Bild entsteht einmal jährlich in der Nürnberger Meistersingerhalle, wenn die professionelle, unternehmerische, juristische Welt des Profifußballs bei der Jahreshauptversammlung des 1. FC Nürnberg auf die inbrünstigen, leidenschaftlichen Anhänger trifft. Jenes Spektakel dürfte wohl das Sinnbild der Diskrepanz des modernen Fußballs der Neuzeit darstellen – und in diesem Jahr ausfallen.


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Angesichts der sportlichen Situation wie auch der Corona-bedingten Umstände gilt es allen voran bezogen auf die anstehende Wahl des Aufsichtsrats neue Wege zu finden. Bei der diesjährigen Hauptversammlung müssen sich die amtierenden Funktionsträger Thomas Grethlein (Vorsitzender), Stefan Müller (Stellvertreter) und Günther Koch turnusgemäß zur Wiederwahl stellen, können neue Kandidaten gegen sie antreten.

"Es geht um den Club und seine Zukunft"

Geht es nach dem Heroldsberger Pharmakologen und Club-Mitglied Fritz Sörgel, sollte jenes Votum per Briefwahl erfolgen, unabhängig davon, ob die Hauptversammlung unter Achtung der Corona-Vorschriften überhaupt durchgeführt werden kann. Die historische Möglichkeit hierfür hat die Bundesregierung durch eine Gesetzesänderung am 29. März jedenfalls eröffnet. Abweichend vom §32 des Bürgerlichen Gesetzbuches könne es der Vorstand auch ohne Ermächtigung in der Satzung Mitgliedern ermöglichen, "Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation auszuüben" oder "ohne Teilnahme an der Mitgliederversammlung ihre Stimmen vor der Durchführung [...] schriftlich abzugeben".

Voraussetzung hierfür ist laut Gesetz, dass alle Mitglieder beteiligt und bis zu dem vom Verein gesetzten Termin "mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimme in Textform abgegeben haben und der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde". Was laut Sörgel der Fall wäre, wenn alle 24.000 Mitglieder angeschrieben, informiert und die Kandidaten für den Aufsichtsrat vorgestellt würden. Als solchen schließt sich Sörgel kategorisch aus, schließlich "geht es um den Club und um seine Zukunft".

Der Aufsichtsrat und dessen Vorsitzender Thomas Grethlein installierte im vergangenen Jahr Robert Palikuca als Sportvorstand.

Der Aufsichtsrat und dessen Vorsitzender Thomas Grethlein installierte im vergangenen Jahr Robert Palikuca als Sportvorstand. © Sportfoto Zink / Daniel Marr

In dieser Verantwortung steht der ehrenamtlich tätige Aufsichtsrat als wichtigste Instanz des eingetragenen Vereins, liegt der Kern seiner Zuständigkeit doch die Installation der Sport- und Finanzvorstände. In letzterem Ressort leistete Thomas Grethlein, der aktuelle Vorsitzende des Gremiums, mit der Berufung von Niels Rossow und Michael Meeske innerhalb seiner sechsjährigen Amtszeit einen beachtlichen Kraftakt, stabilisierten die beiden Finanzvorstände doch den zuvor wirtschaftlich stark labilen 1. FC Nürnberg. Ihr Engagement lässt sich mit dem seit 2007 erstmaligen DFL-Lizenzerhalt ohne Auflagen zur Spielzeit 2018/19 ebenso wie mit der Tatsache, dass der Club selbst einen Corona-bedingten Saisonabbruch finanziell verkraftet hätte, belegen.

Auf sportlicher Ebene wird dem von den Mitgliedern gewählten Aufsichtsrat derzeit allerdings mangelhafte Kompetenz angekreidet – und somit auch indirekt die desolate Saison 2019/20 angelastet. Der Struktur geschuldet fallen Krisen nicht nur auf Vorstände, sondern eben auch in weiterer Instanz auf deren Installateure zurück. Hinzu kommt das für viele unglückliche Bild, das der Vorsitzende des Gremiums auf der Pressekonferenz zur Trennung von Robert Palikuca und beim Relegations-Hinspiel mit Zigarre und Bier abgab.


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Resultierend die Einschätzung zahlreicher Fans: Die Führungsriege muss den Weg freimachen für einen Neustart, für eine Aufräumaktion, für einen Umbruch. Losgelöst von der Frage, wer das Amt übernimmt oder fortführt, drängt sich in Zeiten der Corona-Krise und deren einschränkenden Auswirkung auf den Alltag vor allem die Frage nach dem "wie" auf: Wie soll gewählt wählen? Wie soll eine solche Mitgliederversammlung mit durchschnittlich knapp 900 anwesenden Personen unter Achtung der gesetzlichen Auflagen durchgeführt werden? Ein Ansatz ist, wie von Sörgel vorgeschlagen, die Briefwahl. Jene vermeintliche Notlösung könnte laut Sörgel jedoch nicht nur ein Ersatz sein, sondern auch ein Musterexempel der im Verein gelebten Demokratie und somit eine Chance für den 1. FC Nürnberg: "Vermutlich zum ersten Mal nach der Gründungsversammlung am 4. Mai 1900 stimmen dann alle Mitglieder über das Schicksal des Vereins ab."

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