Zehn Jahre, sechs Vorstände, 14 Trainer: Der FCN in der Analyse

14.7.2020, 06:00 Uhr
Der 1. FC Nürnberg hat einmal mehr eine unfassbare Saison hinter sich.

Der 1. FC Nürnberg hat einmal mehr eine unfassbare Saison hinter sich.

Als er für einen Platz im Aufsichtsrat seines Lieblingsvereins kandidierte, hatte der damalige Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly, wie alle Kandidaten, drei Minuten Zeit für die Werbung in eigener Sache. Maly brauchte bloß ein paar Sekunden. Er stellte sich namentlich vor und wählte nur einen Nachsatz. Sportliche Qualifikationen: keine, sagte er – und wurde mit überwältigender Mehrheit gewählt.

 

 

Der Aufsichtsrat, das von den Mitgliedern gewählte, ehrenamtlich tätige Gremium, ist die wichtigste Instanz des 1.FC Nürnberg, gerade stehen die Herren sehr in der Kritik – ob zu recht oder nicht, ist Ansichtssache, der Vorwurf indes, dem Gremium fehle es an sportlicher Kompetenz, greift ins Leere. Der Aufsichtsrat ist dafür gar nicht zuständig, auch wenn es in der Praxis nicht selten anders aussieht. "Im Aufsichtsrat finden manchmal Ersatztrainerdebatten statt", sagte Maly einmal im Gespräch mit dieser Zeitung.

Der Aufsichtsrat bewertet nicht das fußballerische Tagesgeschäft, er kontrolliert die Arbeit der von ihm berufenen Vorstände für Sport und Finanzen, die es seit knapp zehn Jahren gibt – seit dem 7. Oktober 2010, da trat die von den Mitgliedern beschlossene Satzungsreform in Kraft, die den Verein, bis dahin geführt von einem Präsidenten, dessen Präsidium und einem später als Sportdirektor bezeichneten Manager, zeitgemäß aufstellen sollte. Die Idee war, das hauptamtliche Kräfte für Sport und Finanzen ein Fußball-Unternehmen besser als ehrenamtliche Funktionäre. Dass es beiden Ressorts einigermaßen gut geht, kam in den vergangenen Jahrzehnten aber selten vor, wenn, dann hielt dieser Zustand nicht lange an.

Das war in den vier Jahrzehnten zuvor zwar nicht anders, feststellen lässt sich, dass der zeitgemäße Fußball dabei ist, den 1.FC Nürnberg abzuhängen. Seit die Satzungsreform greift, verbringt der Club mehr Zeit in der 2. Liga (sechs Jahre einschließlich der Saison 2020/21) als in der Bundesliga (vier Jahre). Ob das an der Vereinsstruktur liegt, lässt sich nur überlegen, es könnte auch andere Gründe haben; und am Mitgliederverein und damit am Ehrenamt festzuhalten, scheint ein übergeordneter Wille im Club zu sein. Die vor vier Jahren angedachte Ausgliederung des Profifußballs in eine für Investoren offene Kapitalgesellschaft blieb ein flüchtiges Gedankenspiel, die Begeisterung dafür hielt sich in Grenzen.

In einer Art Mischform führen ehren- und hauptamtliche Kräfte den Verein, in der Praxis sichern sich die Vorstände auch dann beim Kontrollgremium ab, wenn das die Satzung gar nicht erfordert (Vorgabe ist das zum Beispiel bei Personalien ab einem bestimmten Finanzvolumen). Sportliche und finanzielle Krisen fallen auf beide zurück, häufig wechselten darüber die Vorstände. Niels Rossow ist nach Ralf Woy und Michael Meeske schon der dritte Finanzchef, Robert Palikuca nach Martin Bader und Andreas Bornemann der dritte Sportchef – in nur zehn Jahren (im gleichen Zeitraum brauchte es inklusive Interimslösungen 14 Trainer).

Wie findet man Kompetenz?

Wie man sieht: Mit dem Austausch von Personen ist es nicht getan, die im Aufsichtsrat geführte Diskussion um eine Beurlaubung Palikucas ist eine Oberflächen-Debatte (mit offenem Ausgang). Der in letzter Sekunde verhinderte Absturz in die Drittklassigkeit wird von einem nicht geringen Teil der Fans und Mitglieder Palikuca angelastet – und damit auch dem Aufsichtsrat, der den Sportvorstand berief. Spielte man den Gedanken weiter, wären an der sportlichen Talfahrt der Horror-Saison 2019/20 am Ende auch die Mitglieder schuld, weil sie die Aufsichtsräte kürten (was natürlich eine abwegige Theorie wäre, auch wenn darüber die ganze Struktur klarer wird).

Dass Palikucas Amtszeit vor einem vorzeitigen Ende steht, ist nicht unwahrscheinlich. Bloß: Welche Gewähr sollte es geben, dass es ein Nachfolger besser macht? Und wie sollen Mitglieder nach Drei-Minuten-Bewerbungen während oft turbulenter Versammlungen erahnen können, welche potenziellen Aufsichtsräte besonders geeignete Vorstände auswählen? Haben zum Beispiel ehemalige Fußballer dafür einen besseren Instinkt? Über welche Zeiträume lässt sich Kompetenz bemessen? Das alles sind Fragen, auf die es keine Antworten gibt, aber diskutiert wird derzeit auch über die Struktur – über zu berufende Aufsichtsräte, die, ergänzend zu den gewählten, nach bestimmten Kriterien ausgewählt werden könnten. Laut Satzung ließe sich auch ein weiterer Vorstand installieren, eine andere Überlegung ist es, die vorhandene sportliche Kompetenz besser zu bündeln.

Thomas Grethlein warnt aus guten Gründen vor "übereilten Kurzschlusshandlungen", in seiner sechsjährigen Amtszeit ist es dem Aufsichtsrat, dem Grethlein vorsitzt, in einem beträchtlichen Kraftakt gelungen, einen Verein, der nah am wirtschaftlichen Kollaps stand, zu sanieren. Der 1.FC Nürnberg erhielt die Lizenz ohne Auflagen, als einer von wenigen Zweitligisten hätte der Club selbst einen pandemie-bedingten Saisonabbruch finanziell überstanden.

Aber der gewaltige sportliche Schiefstand fällt stark ins Gewicht, weshalb die Zeit drängt. Ein Sportvorstand – vielleicht Palikuca, vielleicht ein anderer – muss einen Trainer berufen, möglichst bald, der Aufsichtsrat den Verein so aufstellen, dass dieser Trainer sich auf seine Arbeit konzentrieren kann. Dass dieser Trainer Marek Mintal heißt, ist weiterhin gut möglich. Ulrich Maly würde es freuen, Mintal war ein Lieblingsspieler der Familie Maly. Aber Ersatzdebatten führt der (mittlerweile EX-)OB natürlich nicht.

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