Geis und der Club: Was kann Nürnbergs Star-Transfer?

23.7.2020, 05:41 Uhr
Johannes Geis war in der abgelaufenen Spielzeit Top-Scorer beim Club, dennoch wusste er letzlich nicht zu überzeugen.

© Sportfoto Zink / Daniel Marr Johannes Geis war in der abgelaufenen Spielzeit Top-Scorer beim Club, dennoch wusste er letzlich nicht zu überzeugen.

In der zurückliegenden Saison avancierte der 26-Jährige mit fünf Toren und elf Assists zum Top-Scorer beim 1. FC Nürnberg, weit vor den Zweitplatzierten Hack und Behrens (je elf Punkte). Statistisch wusste der Unterfranke zu überzeugen. Wer den Sechser jedoch spielen sah, den ließ das Gefühl nicht los, dass da mehr kommen könnte. Eigentlich. Und mehr kommen müsste. Geis war irgendwie Hemmschuh und Hoffnungsträger zugleich, seine Saison 2019/20 offenbarte nahezu symptomatisch, warum die Karriere des Mittelfeld-Taktgebers so verlief, wie sie bisher verlief - und warum ein solch namhafter Spieler nach Nürnberg wechselte.

Seine Schusstechnik zählt zu den besten der 2. Bundesliga.

Seine Schusstechnik zählt zu den besten der 2. Bundesliga. © Sportfoto Zink / Daniel Marr

Für 900 Tausend von Fürth nach Mainz, für das Zehnfache weiter auf Schalke, für zwei Millionen Euro Leihgebühr nach Sevilla, dann für 500 Tausend nach Köln und im vergangenen Sommer ablösefrei an den Valznerweiher. Allein der Blick auf die Transferhistorie des Johannes Geis lässt vermuten, dass irgendwas im Karriereverlauf des einstigen Ausnahmetalents nicht stimmt. Noch im März 2014 feierte der Spiegel den damals 20-Jährigen als "den Jungstar in der Kommandozentrale" beim 1. FSV Mainz 05, dem selbst ältere, routinierte Kollegen - ihm und seinen Fähigkeiten vertrauend - bedingungslos folgten. In seiner zweijährigen Regentschaft bei den Rheinhessen verzehnfachte der aus Fürth gekommene Stratege seinen Marktwert, der nach dem steilen Anstieg und dem Höhepunkt zu Schalker Zeit rapide wieder abnahm und sich mittlerweile im niedrigen Millionenbereich eingependelt hat.

Einen nahezu kongruenten Verlauf nahm der Marktwert von WM-Held Mario Götze: ein rapides Wachstum zu Beginn des abgelaufenen Jahrzehnts, ein Peak in dessen Mitte und seitdem ein kontinuierlicher Abfall. Wenngleich sich Götze trotz allem freilich in anderen - nicht nur finanziellen - Sphären bewegt, weist der einstige Dortmunder Glanzspieler diverse Parallelen zu "Geisinho", wie sich der Nürnberg-Profi auf Instagram nennt, auf: Beide verfügen über eine ähnliche Statur, durchschnittlich groß, nicht dick, aber auch nicht schmächtig. Beide sind in ihren Grundzügen die gleichen Spielertypen: spielintelligente Taktgeber, die eher mit einem guten Auge, einem feinen Füßchen und einem cleveren Pass Tempo ins Spiel bringen als durch eigene Dynamik. Es ist nicht so, dass diese Trümpfe im modernen Fußball nicht mehr gefragt sind, in Zeiten des Pressings, des schnellen Umschaltens, des Tempos und der Athletik sind sie scheinbar aber zu wenig, um sich einen Namen im Geschäft zu machen.

Und so wirkt Geis' Spielweise wie auch seine Rückennummer, die einst ruhmreiche und von großen Spielern getragene Fünf, wie ein Relikt früherer Zeiten, das über die Jahrzehnte seinen Glanz und seine Bedeutung im Spiel verloren hat. Die Fähigkeit, die Darbietung einer Mannschaft zu strukturieren, zu verlagern, aus der Distanz wuchtig und dennoch präzise abzuschließen, punktgenaue Flanken zu schlagen, elegant den Ball zu verteilen – all das beherrscht Geis ebenso wie die wohl größte und filigranste Kunst im Fußball, die Standards. Und auch Kompetenzen, die der moderne Fußball einem Sechser, beziehungsweise einem "Sechseinhalber", wie der ehemalige Sportvorstand Palikuca den 26-Jährigen bezeichnet, abverlangt, finden sich im Spielerprofil des 26-Jährigen. Drei bis vier Kilometer lief beispielsweise ein Franz Beckenbauer durchschnittlich pro Partie, heutzutage wird mindestens das dreifache Pensum erwartet. Und das leistet Johannes Geis auch, war in seinen 29 Zweitliga-Einsätzen der abgelaufenen Spielzeit zumeist mindestens zehn Kilometer unterwegs.


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Dass der gebürtige Schweinfurter dennoch von dem ein oder anderen Club-Fan als "lauffaul" wahrgenommen wird, ist demnach eine Fehldeutung, die aber aus einem anderen, tatsächlichen Defizit rührt. Gemeint ist die? Fehlende Dynamik! Zu behäbig, zu schwerfällig, zu langsam bei Richtungswechseln - Geis gelang es in der zurückliegenden Zweitliga-Runde oftmals nicht, rechtzeitig die Lücken im Umschaltspiel zu stopfen. Zudem wurde er zu häufig zu leicht ausgespielt. Hinzu kommt, dass er die Rolle des Taktgebers, des Führungsspielers, des Strukturgebers nur in den seltenen Fällen, in denen der Club generell überzeugte, auszufüllen verstand. Lief es bei der Mannschaft schlecht, tauchte Geis ab. Exemplarisch sind die beiden Duelle mit dem SV Wehen Wiesbaden: Beim 0:2-Debakel im Hinspiel versuchte er es mehrfach vergeblich, zumeist harmlos und eher aus Verzweiflung aus der Distanz, erhielt vom kicker die Note Fünf. Beim 6:0-Auswärtssieg in der Brita-Arena zeigte Geis die wohl beste Leistung der Saison, bereitete drei Treffer direkt vor.

Ähnlich überzeugend spielte der bei den "Galliern" des TSV Großbardorf großgewordene Geis, der als D-Junior vergebens am Neuen Zabo anheuerte und sich anschließend dem unbeliebten Nachbarn aus Fürth anschloss, zuletzt bei seinem Debüt im Trikot des 1. FC Nürnberg. Nach nur drei Trainingseinheiten trumpfte der Mittelfeldspieler im Pokalspiel gegen den FC Ingolstadt mächtig auf, hielt wider Erwarten die gesamten 90 Minuten durch und präsentierte sich als genialer Freistoß- und Eckballschütze, als dominanter Spielgestalter, der das Mittelfeld ordnet und mit seinem starken rechten Fuß Akzente setzt. "Dem Geisi muss man nicht viel sagen, der weiß, was er zu tun hat, der weiß, wie Fußball geht, der weiß, wo die Bälle hingehören", lobte Kollege Kerk das Spielverständnis des Neuzugangs nach der Partie.

Stark angefangen, stark nachgelassen

Insgesamt zehn Assists verbuchte "Geisi", der somit durchschnittlich alle 246 Minuten ein Tor vorbereitete und damit auch maßgeblich daran beteiligt war, dass der Club 37,8 Prozent seiner Treffer nach ruhenden Bällen erzielte und damit in jenem Ranking ligaweit Platz vier einnimmt. Auffällig ist allerdings, dass der Mann mit der Fünf auf dem Rücken - mit wenigen Ausnahmen - im Laufe der Saison nachließ und besonders nach der Corona-Pause weniger Spielzeit bekam. Die Ursachen für jene Entwicklung dürften vielfältig sein: Sicherlich zehrte die lange Saison an den Kräften des 26-Jährigen, der die Sommervorbereitung bekanntlich individuell absolvierte, hinzu kommt das regelmäßige Abtauchen des eigentlichen Taktgebers in schwierigen Phasen sowie die Tatsache, dass im Laufe der Spielzeit und mit zunehmenden Abstiegssorgen schlichtweg andere Qualitäten - wie beispielsweise die nüchterne, robuste Spielweise eines Patrick Erras - gefragt waren.


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Und somit schlägt sich einmal mehr das Problem, dass die Kompetenzen des Unterfranken zwar geschätzt aber nicht gefordert werden, auf dessen Karriereverlauf aus. Vielleicht ist es für den zuletzt erfolglosen Altmeister derzeit schlichtweg unmöglich, einen Spieler an den Valznerweiher zu lotsen, der jung und dennoch erfahren, technisch versiert und zugleich dynamisch ist. Der viel wert sein kann und ausreichend wenig kostet. Vielleicht ist ein Spielertypus wie Johannes Geis, der über die Fähigkeit verfügt, ruhende Bälle zu gefährlichen Waffen umzufunktionieren und somit auch in Partien, in denen dem Club offensiv wenig gelingt, Torchancen kreieren kann, gerade für den 1. FC Nürnberg trotzdem noch von großer Bedeutung. Sofern er einen Trainer findet, der Geis' vorhandene und statistisch bereits nachgewiesene Qualitäten einzubinden weiß.

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