JHV, Reformen, Grethlein-Schelte! Das sagt Sörgel zum FCN

1.8.2020, 05:47 Uhr

Herr Sörgel, Sie haben das Thema Briefwahl für die anstehende Jahreshauptversammlung des 1. FC Nürnberg angeraten. Welche Reaktionen von Seiten der Verantwortlichen haben Sie erhalten?

Fritz Sörgel: In einem Schreiben haben sie sich klar dagegen ausgesprochen, aus unterschiedlichen Gründen, die ich nicht akzeptiere. Es gibt eine Alternativlösung, die sogar die weitaus bessere und einfachere ist. Die Mitglieder können dabei mit ihrem Smartphone vom heimischen Sofa aus teilnehmen und wählen, das ist Vereinsleben im Jahr 2020!

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Der Blick nach Karlsruhe und Berlin 

Und die wäre?

Sörgel: Ziel muss es sein, im Herbst die Versammlung als virtuelle Versammlung durchzuführen. Der Karlsruher SC hat jüngst seine neue Führung so gewählt, schon im Mai eine außerordentliche Mitgliederversammlung online gemacht - lief alles reibungslos. Vor einigen Wochen hat auch Hertha BSC damit sehr positive Erfahrungen gemacht und die Sitzung auf seiner Homepage sehr genau und für jeden nachvollziehbar dokumentiert.

 

"Corona bietet Chancen" 

Auch für den 1. FC Nürnberg?

Sörgel: Auch hier trifft zu: Corona bietet Chancen. Beim Club würden die Mitglieder so beteiligt werden wie noch nie. Beim KSC waren es mit 25 Prozent Beteiligung deutlich mehr als je zuvor. Beim Club waren es in der letzten Hauptversammlung weniger als fünf Prozent der Mitglieder, was hat das bitte mit Vereinsleben zu tun?

"Tricksereien" beim FCN? 

Und wer organisiert so etwas?

Sörgel: Es gibt sogar hier in Nürnberg eine Firma, die das kann. Die Führung des 1. FC Nürnberg plant eine Versammlung im Stadion, Anfang Oktober. Sie will wieder mit wohl gesonnenem Publikum tricksen, das muss unterbunden werden.

"Mich stört das Unprofessionelle" 

Wäre so eine virtuelle Versammlung aus Ihrer Sicht maximal demokratisch?

Sörgel: Genau das, natürlich. Von 24.000 Mitgliedern sind etwa 4600 aus Nürnberg. Der Club ist in der Republik sehr beliebt und hat in der Peripherie viele Anhänger. Die können nicht einfach mal nach Nürnberg fahren. Der Club war am Abgrund, hat jetzt aber die Chance, ein moderner Verein zu werden. Klar kann so eine virtuelle Versammlung auch unbequeme Fragen aufwerfen, deshalb will es die Führung nicht. Mich stört das Provinzielle, Unprofessionelle. Der Club ist ein Depp – den Spruch kennt jeder, aber genau dieses Image muss der Verein loswerden. Die Chance war selten besser.

"Das Fatale nagt an einem" 

Was ist Ihre Motivation?

Sörgel: Ich bin seit vielen Jahren ein Anhänger des 1. FC Nürnberg. In diesen 60 Jahren war ich nicht bei jedem Heimspiel, ich hab’ das Geschehen auch mal zehn Jahre lang aus der Entfernung verfolgt. Aber das Fatale nagt an einem. Auch die Freundschaft mit den Meisterspielern von 1961 und 1968 hat mich verändert, da bekommst du ein Gespür dafür, was in dem Verein seit Jahrzehnten falsch läuft und er einfach nie mehr zur alten Größe zurückkommen kann, wenn es so weitergeht. Man darf da nicht tatenlos zusehen.

Sind mit Ihrem Engagement nicht auch eigene Ambitionen verknüpft?

Mein Arbeitstag ist ausgefüllt. Wenn ich etwas tun kann, was dem Club hilft, zu einem modernen Verein zu werden, mache ich das gerne - außerhalb eines Amtes allerdings und nicht mit diesem Aufsichtsrat.

"Der schlechteste Abi-Scherz ist nicht doofer"  

Sind Sie mit der Arbeit des Aufsichtsrates zufrieden?

Die Rückkehr der Zigarrenbürschla: Ein Bild, das Fritz Sörgel so gar nicht gefiel.  © Screenshot DAZN Scha/Bö

Nein. Überhaupt nicht, um es deutlich zu sagen. Finanziell geht es dem Club ja wohl noch gut. Das erkenne ich an. Entscheidende Fehler sind schon 2018 gemacht worden. Von Köllner angefangen, dem Abstieg aus der Bundesliga, der vermeidbar gewesen wäre, das unsägliche Duo Infernale Palikuca/Canadi. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrates halte ich nicht für gut, es fehlen Visionäre, Berufe und Lebensläufe, die ich dort gerne sehen würde. Und dann der ganze Schabernack im Umfeld. Vor einem Jahr zog man Figuren an Nürnberger Brunnen Club-Trikots an, der schlechteste Abi-Scherz ist nicht doofer. Später spielte die Elf in Adventstrikots, die man wegen des Misserfolgs schnell wieder einpackte, die Mannschaft sei abergläubisch, hieß es damals. Weitere Aktionen von dem Kaliber will ich gar nicht kommentieren.

Muss Ihrer Meinung nach der Aufsichtsrat für den sportlichen Misserfolg jetzt geradestehen?

Sie müssen sich den Mitgliedern stellen, so funktioniert Demokratie. Thomas Grethlein, Stefan Müller und Günther Koch im Oktober, die anderen dann nächstes Jahr. In der Stadt schimpfen alle gerne, Tausende Co-Trainer, das war schon immer so. Das wurde aber extrem in den letzten Monaten, weil beinahe jeder merkt, dass es mit dem Verein weiter abwärts geht. Und eigentlich war der Club abgestiegen, auch das hat der Aufsichtsrat zu verantworten. Man tut so, als ob es Ingolstadt nie gegeben hätte.

"Grethlein hat den Verein zum Spott gemacht" 

Apropos Außendarstellung. Wie haben Sie das Krisenmanagement von Aufsichtsrats-Chef Thomas Grethlein wahrgenommen?

Er hat den Verein zum Spott gemacht. Ich antworte mal als Pharmakologe: Der Aufsichtsratsvorsitzende auf der Haupttribüne, bewaffnet mit den zwei schlimmsten Giften, die es für den Menschen im Alltagsleben gibt, Nikotin und Ethylalkohol – und das nicht nur einmal. Da haben mich sehr viele Menschen gerade außerhalb unserer Region darauf angesprochen. Das Bild vom Club in letzter Zeit ist Grethlein mit Zigarre und Bier und die 96 Minuten von Ingolstadt.

Opium und der Club 

Sehen Sie die Gefahr, dass die Verpflichtung von Dieter Hecking über viele Defizite hinwegtäuscht?

Ziemlich viel Pharmakologie (lacht): die Verantwortlichen verteilen Opium für das Volk. Opium ist schmerzstillend und euphorisierend, damit ist eigentlich alles gesagt. Der Club hat jetzt zwei Novizen. Hecking sitzt im Büro und lernt Sportvorstand, der neue Trainer steht erstmals in der Rolle des Chefs auf dem Platz. Hecking hat als Minimalziel Klassenerhalt vorgegeben, wie tief bist du gefallen, 1. FC Nürnberg?