Lebenszeichen der Zigarrenbürschla: Grethleins Club kann's

9.7.2020, 05:57 Uhr
Lebenszeichen der Zigarrenbürschla: Grethleins Club kann's

© Screenshot DAZN Scha/Bö

Zu einem der Höhepunkte im Leben von Thomas Grethlein dürfte der erfolgreiche Abschluss seines Philosophiestudiums gehört haben. Der Titel seiner Doktorarbeit: "Reservate der Geltung - Untersuchungen zum Verhältnis der Transzendentalphilosophie zur Hermeneutik und Pragmatik". Später wurde dieser Doktor Grethlein dann Sprecher des Aufsichtsrates des 1. FC Nürnberg, ein Amt, das in Stadt und Umland doch als einigermaßen wichtig gilt. Seit dem Dienstagabend ist Grethlein außerdem: ein Internet-Phänomen.

Die Ein-Mann-Fankurve des FCN

Grethlein ist in den Wochen nach der Corona-Zwangsunterbrechung der Fußball-Bundesligen noch ein wenig berühmter geworden, als er es vorher schon war. Das lag daran, dass Grethlein - wie viele Fußball-Funktionäre - immer relativ einsam im Stadion herumsaß, wenn seine Lieblingsmannschaft Fußball spielte. Grethlein war allerdings der erste, der das als Chance begriff und imitierte bald den Sound der Fankurve, die ihrerseits daheim vor dem Fernseher sitzen musste. Bald fanden sich Nachahmer in der Fußball-Republik, mit den Relegationsspielen zwischen Bremen und Heidenheim als traurigem Höhepunkt, als sogar Bratpfannen mitgebracht wurden, um eine Kulisse zu simulieren.

Ob Grethlein seine Vorbildfunktion gefreut hat, weiß man nicht, am Dienstagabend aber, als der Club zu seinem Relegations-Hinspiel gegen den FC Ingolstadt antrat, sah man ihn nicht mit Bratpfanne auf der Tribüne sitzen, sondern mit Zigarre und Bierflasche. Das machte Eindruck, und bald kursierte im Netz ein GIF von Grethlein, eine kleine Animation also, die ihn rauchend und bierflaschenhaltend zeigt. "Zigarrenbürschla", schrieb auf Twitter einer über das Bild - Bezug nehmend auf die mediale Rezeption eines Platzsturms der "Zigarettenbürschla" aus der Nürnberger Nordkurve.

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Auch Nürnbergs Nichtraucher freuen sich 

Grethlein nahm es schulterzuckend, als er davon erfuhr. Der Dienstagabend war so schön für den Aufsichtsratsprecher, da kann man dann auch zum Internet-Phänomen werden. Es war in den Wochen vor diesem 2:0 gegen Ingolstadt ja nichts mehr schön beim FCN. Immer schlechter spielte die Mannschaft, immer leiser wurde der Einpeitscher Grethlein, den man immer öfter seufzen hörte. Am Dienstag durfte er endlich wieder jubeln von seinem Tribünenplatz aus. Das Zigarrenbürschla sendete ein Lebenszeichen, gefreut haben wird das auch alle Zigarrettenbürschla und Nichtraucher rund um den 1. FC Nürnberg, die in letzter Zeit gehadert haben dürften mit der Liebe zu ihrem Herzensverein.

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Feuer da! Trainer-Duo erreicht die Herzen beim FCN

Jetzt dürfte diese Liebe wieder neu entflammt sein, so eindrucksvoll wie das 2:0 gegen überforderte Ingolstädter gelang. Zu tun hatte die Leistungssteigerung einer zuletzt so gleichgültig bis verängstigt daherkommenden Mannschaft sicher mit der Tatsache, dass der Drittligist einen kleinen Spielemarathon hatte absolvieren müssen in den letzten Wochen und nach der letzten Partie nur zwei Ruhetage hatte. Es lag aber auch an den Herzen, an denen der Club-Spieler. "Sie haben unsere Herzen erreicht", sagte der Torwart Christian Mathenia nämlich, als er nach dem Spiel gefragt wurde, was denn die Trainer Michael Wiesinger und Marek Mintal mit dieser Mannschaft gemacht hatten, die das Heimspiel zuvor sehr konsequent 0:6 verloren hatte.

Worum's geht, sagt der Club-Coach

Wiesinger vernahm Das-mit-dem-Herzen-Erreichen als Kompliment, wollte dann aber eigentlich nicht so recht erklären, wie man das macht innerhalb einer Woche mit einer Mannschaft, bei der zuvor Köpfe und Herzen unerreichbar schienen für Fußballtrainer. "Darum geht es nicht", sagte Wiesinger also zuerst über seine Methoden, "es geht um den 1. FCN." Das reichte ihm als Antwort aber dann selbst nicht. Also fügte er hinzu: "Manchmal muss man im Leben versuchen, selbst emotional zu sein. Das habe ich versucht."

Emotionsloser Wiesinger? Oral macht's nicht besser 

Daran, dass Wiesinger emotional sein kann, hatte im Vorfeld Thomas Oral, der Trainer des FCI, öffentlich Zweifel formuliert. So hatte das nicht nur Wiesinger verstanden, Oral aber relativierte die Sache dann in Nürnberg. Er habe gar nicht Wiesinger gemeint, sagte Oral, sondern eigentlich den ganzen Verein 1. FC Nürnberg. Besser klang das auch nicht, aber beim Club war ihnen das egal an einem Abend, an dem sie die Ingolstädter auch mit ihrer Leidenschaft überrascht hatten. "Wir sind auf einen Gegner getroffen, der uns von der ersten Minute an körperlich und fußballerisch den Schneid abgekauft hat", staunte Oral, "jetzt müssen wir schauen, dass wir am Wochenende irgendwie in die Partie zurückfinden."

 

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Dass die Ingolstädter zurückfinden könnten, sah am Dienstagabend zwar nicht so aus, ist aber eine Zukunfts-Möglichkeit, die rund um den 1. FC Nürnberg niemand bestreiten wollen würde. Schließlich handelt es sich beim FCN ja um jene Mannschaft, die kürzlich auf einen 6:0-Sieg in Wiesbaden ohne mit der Schulter zu zucken eine 0:6-Niederlage hatte folgen lassen.

Weniger Skepsis und mehr Internet-Spaß

Dass Wiesinger am Dienstagabend davon sprach, den "ersten Satz" gewonnen zu haben, passte da ins Bild der Skeptiker. Einer Gruppe aber, die merklich kleiner geworden war. Immerhin: Mathenia hängt deren Gedankenwelt zumindest noch ein wenig an. "Im Fußball hat man schon viele Sachen gesehen und erlebt", sagte Mathenia. Diesmal allerdings auch die erstaunliche Wiederauferstehung eines zuletzt so traurig daherkommenden Vereins. Der versucht sich bis zum Rückspiel am Samstag an einem Spagat zwischen der Freude am eigenen Ich und Zurückhaltung. "Wir werden demütig bleiben", versprach Wiesinger. Und nebenbei unterhalten sie noch das Internet. Nicht die schlechteste Kombination. 

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