Legendäre Spiele: Fürth steigt in die Bundesliga auf

28.5.2020, 09:00 Uhr

Der Ronhof stand nach dem Schlusspfiff Kopf (von links): Stephan Schröck, Tayfun Pektürk und Christopher Nöthe machen sich auf zur Ehrenrunde. © Foto: Wolfgang Zink

Es war vor allem ein Lied, das am Abend des 13. April 2012 bis in die Nacht hinein durch die Gustavstraße tönte: "Wir ham’ den Derbysieg, der uns am Herzen liegt, und dieses Jahr Bundesliga!" Was Mike Büskens und Mirko Reichel auf der Heimfahrt vom Derby-Pokaltriumph in Nürnberg kurz vor Weihnachten schnell getextet hatten, war vier Monate später zum Fürther Dauerschlager geworden.

Dieser für fränkische Verhältnisse fast schon kühne Songtext war die letzte Zutat, die der gelernte Koch Büskens in den Topf warf, um aus dem Kleeblatt nicht nur einen Bundesligisten, sondern auch – wie Jürgen Klopp Jahre später in Liverpool – aus Zweiflern Gläubige zu machen.

Ein Wort stach hervor: Bundesliga

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Der Fürther Anhang fand Gefallen an dem Lied, und an jenem Abend stach ein Wort aus dem Text hervor: Bundesliga. Stunden zuvor hatte die Spielvereinigung am 31. Spieltag den FC St. Pauli mit 2:1 besiegt, zehn Punkte betrug der Vorsprung auf Platz 3 – bei noch vier ausstehenden Spielen der Konkurrenz.

Es war das Spiel, in dem auch die letzten Zweifler den Aufstieg für möglich, ja sogar für unausweichlich hielten. Was hatte der Volksmund nicht alles für Legenden gestrickt, warum es einfach nie klappen wollte. Sogar das Gerückt, wonach der Präsident höchstselbst aus unerfindlichen Gründen ein Aufstiegsverbot ausgesprochen hatte, war jahrelang nicht totzukriegen.

Und jetzt das: Im ausverkauften Ronhof hatte das Kleeblatt an einem sonnigen, frühsommerlichen Freitagabend den direkten Aufstiegskonkurrenten aus Hamburg in die Schranken gewiesen. Nach dem Schlusspfiff strömten die Massen in Fürths Kneipenmeile, wo drinnen und draußen praktisch nichts mehr ging.

Männer, die sich in den Armen lagen, Grüppchen, die zwischen Pfeifndurla und Gelbem Löwen immer wieder Lieder anstimmten, lachende, ausgelassene Mitmenschen – und bei manchem lag auch ein Schuss Ungläubigkeit im Gesichtsausdruck: Sollten wir es jetzt wirklich geschafft haben?

Am Ende einer englischen Woche, die mit einem 3:0-Sieg gegen Energie Cottbus am Gründonnerstag begann und mit einem 0:0 bei bissigen Braunschweiger Löwen weiterging, war die Ausgangslage vor dem 31. Spieltag vielversprechend. Sieben Punkte Vorsprung auf die drittplatzierten Düsseldorfer, acht auf St. Pauli auf Rang vier und neun Zähler zum SC Paderborn auf Rang 5. Ein Sieg bedeutete also, dass die Spielvereinigung den FC St. Pauli sicher hinter sich lassen würde. Hinzu kam, dass das Torverhältnis im Vergleich zu Düsseldorf und Paderborn bedeutend besser war.

Nicht nur von der Nordtribüne schwappte die gute Stimmung vom Anpfiff weg auf den Rasen. Auch die anderen Tribünen schrien das Kleeblatt nach vorne. Und das erwischte einen Start nach Maß: Stephan Fürstner erzwang einen Ballverlust der Hamburger kurz vor der Mittellinie, setzte wild entschlossen nach und legte den Ball von außen in den Strafraum.

Glückssalto um 18.06 Uhr: Ronhof wird zum Hexenkessel

Den aufspringenden Ball spitzelte Heinrich Schmidtgal aus leicht spitzem Winkel mit dem schwächeren rechten Fuß traumhaft in hohem Bogen in den rechten Winkel. Als der Torschütze um 18.06 Uhr zum Glückssalto ansetzte, verwandelte sich der Ronhof zum ersten Mal in einen Hexenkessel.

Bis auf einen Freistoß von Dennis Daube, den Max Grün zur Ecke lenkte, hatte die Spielvereinigung das Spiel danach im Griff, das Tempo verflachte. Enge Zweikämpfe – wie so häufig in den umkämpften Spielen gegen die Kiezkicker – prägten das Bild. Doch der Einsatz auf Seiten der Weiß-Grünen stimmt; wenn es sein muss, grätscht ein Fürther die aufkeimenden Hamburger Angriffsversuche weg.

Edelgrätscher Pekovic kommt für Prib ins Spiel

In der 49. Minute dann auf einmal die große Chance auf den Ausgleich. Naki kommt nach feiner Daube-Vorarbeit zentral aus fünf Metern zum Abschluss, Max Grüns Knie verhindert das 1:1. Kurz darauf ein Aufschrei von der Nordtribüne: Ex-Löwe Markus Thorandt rempelt im Strafraum Heinrich Schmidtgal, doch der Elfmeterpfiff bleibt aus. Mike Büskens reagiert und bringt den robusten Edelgrätscher Milorad Pekovic für den offensiveren Edgar Prib.

Als der letzte Sonnenstrahl des Tages quer durch den Hamburger Strafraum streift, tobt der Ronhof erneut, diesmal aber aus Freude. Der agile Schmidtgal zieht eine Ecke in den Strafraum, Gerald Asamoah kommt im Getümmel aus neun Metern zum Kopfball. Der Ball fliegt aufs kurze Eck, wo Pauli-Keeper Tschauner nicht gut aussieht und den Ball nur noch an den Innenpfosten lenken kann – von wo aus der Ball hinter die Linie trudelt. Ein typisches Asamoah-Tor, unkonventionell und erzwungen.



"Nie mehr zweite Liga" und "Nächstes Jahr Bundesliga" schallten durch das Rund, das 2:0 war ein Wirkungstreffer. Fortan hatte das Kleeblatt das Spiel fest im Griff, Felix Klaus und Asamoah ließen weitere Chance aus. Dann noch mal Ecke St. Pauli in der 91. Minute: Mahir Saglik nutzt das kurzzeitige Chaos in der Fürther Hintermannschaft zum 2:1. Nochmal Spannung, noch mal das altbekannte Fürther Aufstiegsdrama? Nein. Die Spielvereinigung verteidigt geschickt die anstürmenden Hamburger, nach einem vergebenen Konter von Olivier Occean greift Tobias Stieler zur Pfeife. Aus.

Erst jetzt legt sich bei vielen auf den Rängen, die 90 Minuten Vollgas gegeben haben, langsam die Anspannung. Und langsam sickert die Bedeutung dieses Sieges ein. Es sind dieselben Gefühle, die später in den Gesichtern in der Gustavstraße zu sehen sind: Freude, Staunen, Glückseligkeit.

Noch Minuten nach Abpfiff hatte kaum einer das Stadion verlassen, der Anhang feierte seine Mannschaft lautstark. Heinrich Schmidtgal kletterte auf den Zaun der Nordtribüne und gab den Einheizer.

Stolzes Partyvolk

Es war das Vorspiel für das, was am Montag folgte. Fortuna Düsseldorf verlor vor den Augen von Mike Büskens und Rachid Azzouzi in Dresden mit 1:2, der Fürther Aufstieg war perfekt. Bis tief in die Nacht dauerte die Feier in der Gustavstraße, Büskens und Azzouzi stießen weit nach Mitternacht zu einem immer noch stolzen Partyvolk, das keinen Morgen kannte.



Es waren Szenen, wie sie die Stadt noch nie gesehen hatte und manch einer den zurückhaltenden Fürthern nie zugetraut hätte. 15 Jahre des Anrennens und Belächeltwerdens waren vorbei, das Kleeblatt zeigte, was in ihm steckt.

25.000 Menschen feiern ihre Helden auf dem Rathausbalkon, für den Aufstiegstrainer das Highlight seiner Amtszeit: "Bis zum Horizont waren nur Menschen zu sehen. So etwas hinterlassen zu haben und Teil der Fürther Geschichte zu sein, macht mich stolz."

Mike Büskens und sein Team hatten den Aufstieg nicht nur auf dem Papier klar gemacht, sondern auch in den Fürther Herzen.

Das war die Aufstellung des Kleeblatts:

Grün; Schröck, Kleine, Mavraj, Schmidtgal – Klaus (83. Pektürk), Fürstner, Prib (64. Pekovic), Sararer – Occean, Asamoah (90. Karaslavov).