Neuer DFB-Beauftragter: So steht es um die Vielfalt im Fußball

10.3.2021, 06:00 Uhr
Das "Fußballfans gegen Homophobie"-Banner bei einem Spiel zwischen Werder Bremen und Borussia Dortmund im Jahr 2011.

© Malte Schrader, NN Das "Fußballfans gegen Homophobie"-Banner bei einem Spiel zwischen Werder Bremen und Borussia Dortmund im Jahr 2011.

Herr Rudolph, vor kurzem haben über 800 Fußballprofis, darunter ganze Mannschaften, homosexuellen Fußballern im Falle eines Outings ihre Unterstützung zugesichert. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von der 11Freunde-Aktion "Ihr könnt auf uns zählen" erfahren haben?

Ich würde sagen: "Endlich!" Ich habe mich schon sehr über die Aktion gefreut und dass ein Fußballmagazin so eine Kampagne initiiert hat. Ich finde diese Stimmen super wichtig.

Wieso das?

Alle, die im Fußball aktiv sind, egal in welcher Funktion, sind letztendlich in der Verantwortung, Haltung zu zeigen und Unterstützung anzubieten. Wenn wir nicht darüber sprechen, fühlen sich die Leute allein. Das müssen wir aufbrechen, wir dürfen die Leute damit nicht alleine lassen.


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Das Outing von Thomas Hitzlsperger nach seinem Karriereende ist schon sieben Jahre her. Manche hatten sich damals ähnlich wie jetzt von der 11Freunde-Aktion eine Signalwirkung erhofft. Wieso hat sich bis heute noch kein aktiver männlicher Profi geoutet?

Wir wissen alle, dass der Fußball sich lange Zeit schwer damit getan hat, erst seit kurzem werden die Stimmen lauter. Auch gibt es einen großen öffentlichen Druck. Letztendlich muss man es den Menschen selbst überlassen. Was ich schwierig finde, ist wie wir darüber diskutieren, denn es geht darum, dass Menschen in ihrem gesamten Sein leben und lieben können. Das wird immer wieder vergessen, wenn von einem Coming-Out abgeraten wird. Wer das tut, sagt ja gleichzeitig, dass die Menschen sich nicht lieben sollen, dass sie keine Liebe erfahren sollen.

Die Rolle der Fans

Wundert Sie die große Aufmerksamkeit, die das Thema Vielfalt im Fußball in der letzten Zeit erfährt? Noch vor fünf Jahren sagten Sie in einem Interview, dass antirassistische Fußballfans und Ultras den wesentlichen Teil der Arbeit leisten.

Ich freue mich, dass wir jetzt die Unterstützung bekommen. Lange Zeit wurden Fans in ihrem Engagement nicht unterstützt oder teilweise sogar ausgebremst. Zumindest bei dem Thema haben wir es geschafft, dass zugehört wird und dass die Vereine aktiv werden. Ich glaube, dazu hat das jahrelange Engagement beigetragen: Die schwul-lesbischen Fanclubs, die Fußballfans gegen Homophobie. Heute ist es zum Glück so, dass die Vereine nicht mehr davon überzeugt werden müssen, sondern dass sie heute es auch proaktiv mit unterstützen oder selbst sogar Kampagnen umsetzen. Aber trotzdem: Dass es wirklich selbstverständlich ist, davon sind wir noch eine ganze Ecke entfernt.

Zur gestiegenen Aufmerksamkeit passt auch, dass Sie seit Jahresanfang die Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt des Deutschen Fußball-Bundes leiten. Die Stelle wurde erstmals geschaffen – ziemlich spät, oder?

Ja, definitiv. Theo Zwanziger war einer der ersten Fußballpräsidenten, der sich mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Wir könnten heute schon weiter sein. Ich habe aber das Gefühl, dass Theo Zwanziger damals innerhalb des DFB noch relativ alleine war und wenig Unterstützung bekommen hat. Wenn ich mir heute anschaue, wie das Thema im Fußball unterstützt wird, dann hat da ein zwar sehr langsamer Prozess stattgefunden, aber er hat stattgefunden. Heute fragen wir nicht mehr, ob es ein Thema ist, sondern: Wie packen wir es an?

Was sind ihre Aufgaben als Leiter der Anlaufstelle?

Uns ist wichtig, dass wir Sichtbarkeit schaffen, dass wir Expertise sammeln und bereitstellen. Wir wollen eine Anlaufstelle seien für LSBTI+, also für lesbische, schwule, Bi-, Trans-, Inter- und nichtbinäre Personen. Eine ganz große Aufgabe ist natürlich auch, weiter aufzuklären und zu sensibilisieren, dass wir Ansprechpersonen in den Landesverbänden bekommen. Wir wollen auch über Sprache sprechen und erreichen, dass Diskriminierung auch wirklich als Diskriminierung wahrgenommen wird. Im Endeffekt wollen wir allen eine Teilhabe im Fußball ermöglichen.

Spielrechte für Transpersonen

Mit welchen Anliegen wurden Sie in den ersten Wochen konfrontiert?

Es gab jetzt schon die ersten Anfragen, etwa zum Geschlechtseintrag Divers, wie wir das im Spielrecht umsetzen können. Der Berliner Fußball-Verband hat da 2019 eine Regelung geschaffen für Trans-, Inter- und nichtbinäre Personen.

Wie kam es dazu?

Wir hatten damals zum Verbandstag einen Antrag gestellt, das Transpersonen am Spielbetrieb teilnehmen können, und zwar je nachdem, was in ihren Personaldokumenten steht. Personen mit dem Eintrag Divers können sich es dann aussuchen, ob sie bei den Männern oder Frauen spielen wollen. Bedacht haben wir auch die Transition, also die Phase der Geschlechtsangleichung, während der es ja auch zu körperlichen Veränderungen kommt. Auch dafür haben wir eine Regelung gefunden, um den Menschen den Spielbetrieb zu ermöglichen, auch wenn das ein bisschen eine Grauzone war.

Christian Rudolph (37) leitet die vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) initiierte und finanzierte Anlaufstelle für  geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Angestellt ist er beim Lesben- und Schwulenverband (LSVD), wo er seit 2011 mit dem Berliner Fußball-Verband kooperiert. Zudem ist er Mitbegründer der "Fußballfans gegen Homophobie".

Christian Rudolph (37) leitet die vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) initiierte und finanzierte Anlaufstelle für  geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Angestellt ist er beim Lesben- und Schwulenverband (LSVD), wo er seit 2011 mit dem Berliner Fußball-Verband kooperiert. Zudem ist er Mitbegründer der "Fußballfans gegen Homophobie". © Caro Kadatz

Geht das auch in anderen Bundesländern?

In anderen Landesverbänden ist das nicht geregelt, manche dulden es. In der Vergangenheit gab es auch schon Vereine, die vor dem Sportgericht geklagt haben. Das ist eine Diskriminierung und Unsicherheit, die wir niemandem antun möchten.

Im Vergleich zu den Profis: Wie weit ist Homophobie im Amateurfußball verbreitet?

Diskriminierung findet überall statt, in unserer Gesellschaft und auch im Fußball. Auch im Amateurfußball gibt es Beschimpfung auf dem Platz und von Seiten der Zuschauer. Die Frage ist ja: Wie gehen wir damit um? Ich denke, dass sich der Amateurfußball schon sehr lange damit auseinandersetzt. Wenn wir das Beispiel Berlin nehmen: Seit zehn Jahren haben wir dort eine Kooperation mit dem Lesben- und Schwulenverband. Oder auch, wer in den letzten Jahren Initiativen wie die Fußballfans gegen Homophobie unterstützt hat. Deren Transparent ist ja auf zahlreichen Amateurplätzen unterwegs gewesen. Ich glaube, dass die Diskussion auf der Amateurebene schon früher da war als in der Bundesliga. Wir haben viel mehr Unterstützung von den kleineren Amateurvereinen in den letzten Jahren erfahren als von Profiklubs.

Was in Bayern fehlt

Wie ist die Lage in Bayern?

Leider hat der Bayerische Fußball-Verband keine direkte Ansprechperson für LSBTI+, was sehr wünschenswert wäre. Es gibt aber die Streetboys, die als queeres Fußballteam im Ligabetrieb mitspielen und für viel Sichtbarkeit sorgen. Ansonsten kann ich auf Fanaktivitäten verweisen, zum Beispiel auf die Schickeria oder die schwul-lesbischen Fanclubs Queerpass Bayern, MonacoQueers oder auch die Löwenfans gegen rechts.

Wo sehen Sie Ansatzpunkte im Amateurfußball?

Ich denke, dass der Amateurfußball nicht nur mehr Menschen direkt erreicht als der Profibereich, sondern auch nahbarer ist. Die Menschen, die sich in den Vereinen engagieren, sind wirklich mit Herzblut bei der Sache. Wenn wir uns darauf berufen, dann kann der Amateurfußball ganz viel beitragen. Dazu müssen wir es schaffen, uns zuzuhören, also nicht nur auf Verbandstagen kurz mal über Anträge sprechen. Wir müssen erfahren, was in den Vereinen passiert, wie Vereine Dinge anpacken, wo Vereine unterstützt werden können. Dieses Zuhören ist der Schlüssel für mich.


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Haben Sie konkrete Beispiele dafür?

Wir haben hier in Berlin einen runden Tisch zum Thema Homo- und Transphobie, der sich nicht nur an die Vorstandsvorsitzenden richtet, sondern an alle, die in Vereinen aktiv sind, von der Jugendtrainerin bis zum Schiedsrichter. Das ist ein gutes Format, um über mögliche Aktivitäten zu sprechen und voneinander zu lernen. Etwas anderes sind unsere Fachtage. Da geht es zwar auch um Hallenzeiten, aber vor allem um Fragestellungen von gesellschaftlichem Engagement und Zusammenleben. Und wir waren zum Beispiel auch beim schwul-lesbischen Straßenfest, um den Austausch zu suchen.

Wunsch nach positiven Geschichten

Welche Rolle spielen Medien?

Gerade Medien haben eine große Verantwortung. Ich finde es zum Beispiel schade, dass die 11Freunde-Kampagne nicht genutzt wird, um weitere Geschichten zu erzählen. Neben der rein sportlichen Berichterstattung gibt es da nur wenig Diversität. Wir könnten jetzt auch auf die Positivbeispiele bei den Frauen kommen, wir könnten über 40 Jahre queeren Sport erzählen. Wir können über das Engagement der Fans berichten, die seit 20 Jahren die Regenbogenflaggen in die Stadien tragen. Da wünsche ich mir, dass auch die positiven Geschichten erzählt werden. Zudem stellt sich mir die Frage, wie divers Redaktionen personell besetzt sind. Mir fallen nicht viele offen lesbische oder schwule Sportjournalistinnen und -journalisten ein.


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Noch einmal zurück zur starken, aber doch eher symbolischen "Ihr könnt auf uns zählen"-Aktion: Was muss jetzt ganz konkret der nächste Schritt sein, damit sich langfristig etwas verändert?

Ich wünsche mir, dass alle, die sich an der Kampagne beteiligt haben, auch zukünftig genauso dahinterstehen, und dass die Fußballprofis Kontakt aufnehmen zu den schwul-lesbischen Fanclubs zum Beispiel.


Info: Heute (18.30 Uhr) lädt das Projekt "Mikrokosmos Amateurfußball" zu einer Online-Diskussion über "Sexuelle Vielfalt im Amateurfußball". Auch Christian Rudolph wird auf dem Podium sitzen. Weitere Infos unter: www.mikrokosmos-amateurfussball.de

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