Gleichstellungsdebatte

Audianer_Innen: In vielen Unternehmen in der Region wird gegendert

8.4.2021, 05:55 Uhr
Das generische Maskulinum, wie es derzeit für alle Geschlechter verwendet wird, steht seit längerer Zeit in der Kritik. 

© Martin Müller via www.imago-images.de, imago images/Martin Müller Das generische Maskulinum, wie es derzeit für alle Geschlechter verwendet wird, steht seit längerer Zeit in der Kritik. 

Seit 1. März arbeiten beim Autobauer Audi nur noch Audianer_innen. Das Ingolstädter Unternehmen greift damit die seit langem schwelende Debatte über sogenannte gendergerechte Sprache auf - ist in der Wirtschaft aber längst nicht mehr allein.

Das generische Maskulinum steht seit Jahren in der Kritik. Polizisten, Lehrer, Ärzte: Bislang werden überwiegend männliche Personen- und Berufsbezeichnungen genutzt, um alle Geschlechter anzusprechen. Frauen und Menschen, die sich keinem binären Geschlecht - also Mann oder Frau - zuordnen wollen oder können, werden mit gemeint.


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Bei Audi geht man einen anderen Weg, nutzt von nun an für die interne und externe Kommunikation eine andere Form, um "die Vielfalt der Geschlechter abzubilden", teilte der Konzern mit. Gendersensible Sprache sei eine Frage des Respekts und Ausdruck einer Haltung gegen Diskriminierung und für Vielfalt. Ein Jahr lang hat der Konzern an einem entsprechenden Leitfaden gearbeitet, der nun den Titel "Vorsprung beginnt im Kopf" trägt und den Audianer_innen zur Verfügung steht. Um alle Geschlechter sichtbar zu machen, wird den Mitarbeitern darin empfohlen, die Unterstrich-Schreibweise - den "Gender-Gap" - zu nutzen. Auf Nachfrage heißt es: "Der Gender Gap repräsentiert alle nicht-binären Geschlechtsidentitäten zwischen Mann und Frau (z.B. Mitarbeiter_innen) und ist damit besser als das Binnen-I."

Diese Unternehmen gendern schon

Audi ist mit seiner Umstellung aber längst nicht mehr alleine, wie eine Umfrage bei den hiesigen Unternehmen zeigt: Demnach gibt es bei der Datev seit Ende vergangenen Jahres einen Leitfaden, der für alle Kommunikationskanäle gilt und Empfehlungen für eine genderbewusste Sprache gibt. Der Leitfaden sei dabei kein "statisches Werk", sondern werde kontinuierlich weiterentwickelt. Puma verweist auf Nachfrage auf die just veröffentlichte Mitteilung der Quartalszahlen, dort habe man bereits genderneutrale Sprache verwendet. Nun arbeite man daran, dies auf andere Bereiche auszuweiten, wie etwa die Webseite des Konzerns. "Viel wichtiger für uns ist jedoch, dass alle Geschlechter bei Puma dieselben Karrierechancen haben."

Ähnlich sieht es bei Adidas in Herzogenaurach aus: Auch der Sportartikelhersteller hat bereits "konkrete Vorgaben für eine inklusive Sprache" in einem Leitfaden festgehalten; generell sei die Unternehmenssprache aber Englisch. "Entsprechend verwenden wir in der Kommunikation teilweise das geschlechtsneutrale Pronomen they." Siemens teilt mit, gendergerechte Sprache werde verwendet, "wenn auch noch nicht systematisch". Schaeffler wollte sich zu dem Thema nicht äußern.

Audi arbeitete für die Entwicklung des Leitfadens unter anderem mit der Stiftung "PrOut at Work" zusammen, eine Organisation, die die Anliegen von LGBT*IQ-Personen (Deutsch: lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Menschen) am Arbeitsplatz sichtbar machen will. Noch seien ihnen nicht viele Unternehmen bekannt, die gendersensibel kommunizieren, so Diversity-Experte und Vorstand der Stiftung Albert Kehrer. Sprache sei mächtig, deswegen müsse man aktiv werden. "Je mehr wir gendersensibel kommunizieren, desto mehr sprechen wir auch andere Geschlechter an. Das hat nicht nur einen Vorteil für unsere LGBT*IQ-Community, sondern auch für die Frauen. Ich bin überzeugt, es wird Auswirkungen haben."

Sprachwissenschaftler sind unterschiedlicher Meinung

Tatsächlich gibt es bereits repräsentative Studien, wonach sich Menschen lieber bei solchen Unternehmen bewerben, die für Vielfalt stehen. Die Online-Plattform StepOne befragte beispielsweise 11.000 Menschen, von denen 77 Prozent angaben, sich lieber bei einer Firma zu bewerben, die sich für Offenheit und Chancengleichheit einsetzt. 78 Prozent gaben an, lieber in einem diversen Umfeld zu arbeiten.

Ob es gendersensible Sprache braucht, darüber gehen die Meinungen nicht nur bei Bürgern, sondern auch unter Sprachwissenschaftlern auseinander. Rudolf Stöber, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Bamberg, sorgte mit einem Aufsatz jüngst für Diskussionen. Stöber argumentiert darin, dass sich "Realitäten hier reale Diskriminierung", nicht durch eine veränderte Sprache aus der Welt schaffen lassen. "Wer bewusst Sprache manipuliert, um zunächst das Denken zu ändern und damit die Emanzipation voranzutreiben, wacht vielleicht eines Tages erstaunt auf, weil etwas ganz anderes eingetreten ist: An die Stelle wünschenswerter Emanzipation sind Gender-* und Binnen‑I getreten – und dabei ist es geblieben." Andere Wissenschaftler verweisen dagegen auf Studien, wonach die Anwendung genderneutraler Pronomen offenbar eine Auswirkung auf die Wahrnehmung von Gleichberechtigung hat.


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Auch bei Audi blieben die Diskussionen nach der Umstellung nicht aus: "Bei knapp 59.000 Mitarbeiter_innen gibt es selbstverständlich viele Meinungen." Das zeige auch, wie persönlich Sprache wahrgenommen werde, so ein Sprecherin. "Genau das wollen wir erreichen: Einen bewussten Umgang mit Sprache. Gendersensible Sprache zu verwenden ist für die meisten Menschen eine große Umstellung, die Zeit braucht."

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