Corona-Krise: Ex-Ifo-Chef Sinn sieht Gefahr einer Inflation

14.4.2020, 06:00 Uhr
Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise mit der Druckerpresse lösen? Ex-Ifo-Chef Hans-Werner Sinn erinnert diese Maßnahme fatal an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.

© Michael Kappeler (dpa) Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise mit der Druckerpresse lösen? Ex-Ifo-Chef Hans-Werner Sinn erinnert diese Maßnahme fatal an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.

Die Corona-Krise wird zu einer tiefen Rezession und zu einer großen Ausweitung der Staatsverschuldung führen. Wird danach von der Euro-Zone noch etwas übrig bleiben?

Hans-Werner Sinn: Ich hoffe, dass sie überlebt. Ich hoffe aber auch, dass dabei nicht alle Probleme mit Geld aus der Druckerpresse gelöst werden sollen. So wie das Programm der Europäischen Zentralbank angelegt ist, werden wir bis zum Ende des Jahres eine Vervierfachung der Zentralbank-Geldmenge gegenüber 2008 bekommen. Eine Verdreifachung haben wir schon erreicht. Wo soll das hinführen?

Wo führt das hin?

Sinn: Im Moment werden mit dem Geld die Portfolios der Anleger gerettet. Die EZB nutzt dieses Geld, um Staatspapiere zu kaufen, damit die Kurse hochzuhalten und die Anleger – im Wesentlichen Banken – zu retten. Das ist in der Krise vielleicht vertretbar, obwohl ich meine Bedenken habe. Langfristig entfernen wir uns aber immer mehr vom Gebot einer am Geldwert orientierten Zentralbankpolitik. Der Überhang der Geldmenge über die reale Ökonomie wird immer größer. Ich fühle mich in fataler Weise an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erinnert, als man eine kaputte Wirtschaft hatte, die Spanische Grippe kam und Deutschland versuchte, sich mit frisch gedrucktem Geld zu retten.

Sie sehen die Gefahr einer Hyperinflation in ganz Europa?

Sinn: Wir reden über Gefahren, nicht über Wahrscheinlichkeiten. Eine Gefahr ist etwas, was hoffentlich nicht eintritt. Um mit der wissenschaftlichen Einschätzung der Corona-Krise für den Bundestag zu sprechen: "bedingt wahrscheinlich". Es gibt aber auch die Gefahr, dass dieser riesige Geldüberhang durch negative Zinsen auf das Bargeld eliminiert werden könnte. Da der Löwenanteil der Liquidität im Austausch für deutsche Vermögenswerte und Güter zu uns floss, sind das keine schönen Aussichten.

Der Druck, Geld durch Kauf von Immobilien oder anderem loszuwerden, um Verluste zu vermeiden, könnte sich erhöhen?

Sinn: Der würde sich erhöhen. Ich sage nicht, dass wir dieses oder nächstes Jahr eine Inflation bekommen. Wenn wir uns aber immer nur im Krisenmodus bewegen und glauben, wir müssten auch kleinere Probleme mit der Druckerpresse lösen, wird es irgendwann einmal ein böses Erwachen geben. Wir sind in den letzten Jahren schon so verfahren. Die EZB hat verantwortungslos gehandelt. Als der Höhepunkt der Krise von 2012 schon überwunden war, hat sie 2015 das Kaufprogramm unter dem Begriff "Quantitative Lockerung" eingeleitet. Dafür wurden in vier Jahren für 1900 Milliarden Euro Staatspapiere gekauft. Das deutsche Verfassungsgericht hatte dies zu Recht moniert, aber man macht jetzt immer weiter damit. Das beunruhigt mich.

Sinn: "Können unsere Nachbarn nicht im Stich lassen"

Schon vor der Corona-Krise war Italien das Sorgenkind der Euro-Zone. Müssen wir jetzt mit einer Art "Griechenland mal zehn" rechnen?

Sinn: Ausschließen kann man heute nichts mehr. Auf jeden Fall müssen wir Italien helfen, und ich plädiere sehr dafür, dass speziell Deutschland ein Hilfsprogramm für Italien auflegt, um die italienischen Krankenhäuser und die Versorgung zu unterstützen. Wir können unsere Nachbarn im Süden nicht hängen lassen.

Sie haben dazu ein 20-Milliarden-Geschenk vorgeschlagen. Auch um eine Vergemeinschaftung der Schulden in Form von Corona-Bonds – die ja nun vom Tisch sind – abzuwenden?

Sinn: Ich habe das vorgeschlagen, um den Italienern zu helfen. Punkt. Von Corona-Bonds halte ich nichts, weil sie uns in eine neue Verfassung der EU hineinführen würden. Auch die Altschulden, die noch in guten Zeiten aufgebaut wurden und jetzt schwer bedient werden können, würden im Nachhinein vergemeinschaftet. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage. Ich halte eine solche Vergemeinschaftung auch für gefährlich, weil dadurch Zinsunterschiede nicht mehr vorhanden sind. Länder mit niedriger Bonität würden dieselben Zinsen zahlen wie Länder mit hoher Bonität, obwohl sie gar nicht die Kraft zur Rückzahlung haben. Sie würden dann gar nicht aufhören, sich zu verschulden.

Sinn erklärt: "Der Euro ist nich wirklich funktionsfähig"

Könnte die Corona-Krise der Auslöser für ein Zerbrechen des Euro-Raums und des Euros werden?

Sinn: Der Euro ist nicht wirklich funktionsfähig, weil Länder zusammengekommen sind, die ganz verschiedene Vorstellungen von Geldpolitik haben. In Südeuropa hat der Euro durch die niedrigen Zinsen, die ihnen der Euro in den ersten zehn Jahren verschaffte, eine inflationäre Blase verursacht, die Torsos einst halbwegs wettbewerbsfähiger Länder hinterlassen hat. Diese Länder sind zu teuer geworden. Sie können nicht billiger werden, weil sie nicht abwerten können. Das ist das Hauptproblem. Ich weiß nicht, ob es gelingen wird, dieses Problem durch immer mehr Transfers vom Norden in den Süden zu lösen. Damit werden Abhängigkeiten geschaffen. Die Wettbewerbsfähigkeit wird so nie wieder hergestellt.

Also besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende aus Ihrer Sicht?

Sinn: Nein, ich bin nicht der Meinung, dass wir den Euro aufgeben sollten. Aber wir sollten harte Regeln und Budgetbeschränkungen einhalten, so wie sie im Maastrichter Vertrag formuliert wurden. Dann muss jedes Land selbst entscheiden, ob es weiter beim Euro mitmachen will oder auch nicht.

Können Sie sich vorstellen, dass in der EU solche Regeln tatsächlich eingehalten werden?

Sinn: Wir erwarten im Mai das Urteil des deutschen Verfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank. Warten wir doch mal ab, was das Gericht dazu sagt. Ich habe Vertrauen in das Gericht.


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