Nach Bespitzelung bei H&M: Jetzt sprechen Mitarbeiter

21.12.2019, 05:49 Uhr
Hinter der Fassade des Modehändlers H&M gibt es offenbar teils großen Unmut der Mitarbeiter. Dieser richtet sich gegen eine möglicherweise systematische Bespitzelung im Nürnberger Callcenter.

© Hauke-Christian Dittrich Hinter der Fassade des Modehändlers H&M gibt es offenbar teils großen Unmut der Mitarbeiter. Dieser richtet sich gegen eine möglicherweise systematische Bespitzelung im Nürnberger Callcenter.

Heulkrämpfe wegen einer verhunzten Haarfarbe, Stress mit dem Partner und der Herzinfarkt eines nahen Verwandten: Solche, mitunter skurrilen, vor allem aber oft sehr persönlichen Informationen soll der Modekonzern H&M von seinen über 600 Callcenter-Mitarbeitern in Nürnberg ohne deren Wissen erfasst und gespeichert haben. Die Aufsichtsbehörde für Datenschutz in Hamburg, wo das schwedische Unternehmen seine Deutschlandzentrale hat, prüft nun die Vorwürfe. Sollten sich diese bestätigen, droht dem Konzern ein Bußgeld von bis zu zehn Millionen Euro, heißt es aus Rechtskreisen.

"Es ist bei H&M üblich, dass sich Vorgesetzte nach dem Befinden der Mitarbeiter erkundigen. Schon nach wenigen Tagen Urlaub oder Krankheit gibt es Welcome back-Gespräche", berichtet Shantal M. (Name von der Redaktion geändert), die vier Jahre in dem Callcenter in der Beuthener Straße tätig war, das für Bestellungen und Reklamationen deutscher und österreichischer Kunden zuständig ist. "Das Klima ist fast familiär", beschreibt die Endzwanzigerin. "Wir haben das immer als nett empfunden – bis wir von dem Datenskandal erfahren haben. Dann haben wir uns verarscht gefühlt."

Die junge Frau aus dem Landkreis Erlangen-Höchstadt bemüht sich, möglichst nüchtern über die Vorfälle zu sprechen. "Ich kann aus dem Protokoll zum Beispiel nachvollziehen, wann ich mich von meinem Freund getrennt habe", sagt sie und berichtet von einer fortlaufenden Beobachtung durch die Chefs, die sie zusehends als Mobbing empfunden habe. Egal, ob fünf Minuten zu spät im Büro, Herumlaufen auf der Freifläche im Callcenter, Handy am Arbeitsplatz oder vermeintlich zu lange Toilettengänge – alles wurde demnach feinmaschig über Jahre hinweg protokolliert, wie die Notizen zeigen, die M. zu dem Gespräch mitgebracht hat.


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"Diese Systematik, mit der über einen sehr langen Zeitraum – teilweise wohl schon seit 2012 – Mitarbeiterdaten gesammelt wurden, kann nur von oben gekommen und nicht von einzelnen Führungskräften ausgegangen sein", resümiert Verdi-Gewerkschaftssekretär Felix Bußmann. "In der Massivität, dass wohl die ganze Belegschaft des Callcenters ausgehorcht worden ist, ist der Fall H&M ungewöhnlich. Gleichwohl zeigt sich darin auch ein Trend, wie zum Teil mit Beschäftigten in der Textilbranche umgegangen wird."

Einzelne Mitarbeiter vermuten Manipulation

H&M Deutschland wird nicht müde, gegenüber den Medien zu betonen, dass es den Schutz der persönlichen Daten der Mitarbeiter sehr ernst nehme und dieser für das Unternehmen oberste Priorität habe. "Mit Entdeckung des Vorfalls wurden alle Daten umgehend gesichert", teilt eine Sprecherin von H&M weiter mit. "Es können seitdem keine Änderungen oder Löschungen vorgenommen werden." Einzelne Mitarbeiter hatten den Verdacht geäußert, die ihnen ausgehändigten Gesprächsprotokolle seien zuvor manipuliert worden.

Nachfragen zu einer besonderen Gesprächskultur bei H&M und verloren gegangenem Vertrauen lässt die Textilkette derweil unbeantwortet. Ebenso gibt sie keine Auskunft, wie viele der über 600 Mitarbeiter im Nürnberger Callcenter bislang Einsicht in die über sie gespeicherten Daten verlangt haben und ob es personelle Konsequenzen infolge des Datenlecks gab, über das erstmals die FAZ Ende Oktober berichtet hatte.

"Angst, etwas falsch zu machen"

Shantal hat für sich persönlich die Reißleine gezogen und ihre Stelle schon kurz vor Auffliegen des mutmaßlichen Datenskandals gekündigt. "Man sitzt da und hat irgendwann nur noch Angst, irgendetwas falsch zu machen", sagt M. Immer wieder hätten sie starke Bauchschmerzen geplagt, eine körperliche Ursache dafür ließ sich nicht finden.

Inzwischen hat Shantal eine Ausbildung begonnen. Ein früherer Kollege von ihr, der noch in dem Callcenter arbeitet, berichtet von Schlafstörungen: "Bei mir geht das in die Träume, wenn ich mich abends so aufrege." Auch er schaut sich nach einem neuen Job um und erklärt: "Nach allem, was passiert ist, kann ich nicht mehr dort bleiben. Das ist ganz sicher."

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